Bauernregeln

Volkssprüche über das Wetter

Bauernregel Dienstag 26. Februar 2008

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Dienstag, 26 Februar 2008 Posted by | 2008-02-26 | | 2 Kommentare

Bauernregel Montag 25. Februar 2008

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Montag, 25 Februar 2008 Posted by | 2008-02-25 | | Hinterlasse einen Kommentar

Bauernregel Sonntag 24. Februar 2008

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Sonntag, 24 Februar 2008 Posted by | 2008-02-24 | | Hinterlasse einen Kommentar

Bauernregel Sonnabend 23. Februar 2008

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I

Weit fort, im südlichen Italien war es. –
Du schautest vom Altane in den Garten
Auf weiterhellte, festbelebte Wege.
Dann hob dein Auge sich, und deine Seele
Verlor sich in das Schweigen ferner Landschaft:
Im Meer des Mondenlichtes liegen still
Die weißen Schlösser, Schiffen gleich, vor Anker.
Es dunkeln, Inseln, die Zypressenhaine,
Wo Liebesworte und Gitarrenklang
Im gleichen Fall der Brunnen sich vermischen.
Wie lange willst du träumen, deutsche Frau,
Von glutdurchtränkter Nacht des Romeo?
Weckt dir Erinnerung nicht liebe Bilder
Aus unbarmherzig strenger Winternacht,
Die mit gesenktem Augenlid umdämmert
Die Hünengräber deines rauhen Strandes?

 

II

Im Nebelnorden, an der Ostseeküste,
Abseits der Städte und der großen Straßen,
Schläft einsam und vergessen, halb verweht
Im Schnee, von harten Stürmen oft gezaust,
Ein kleines Gut. Zwei ungeschlachte Riesen,
Uralte Tannen, strecken ihre Arme
Wie Speere vor zum Schutz des Herrenhauses.
Unhörbar, drinnen auf dem Smyrnateppich,
Geht eine junge Dame auf und nieder.
Bisweilen bleibt sie stehn, schraubt an der Lampe,
Schiebt auf dem Bechstein an das Notenpult
Die schweren Bronzekandelaber näher,
Zupft im Vorübergehen an der Decke
Des Sofatisches, horcht, und wandert, horcht,
Die grauen Augen auf die Tür gerichtet.
Bis endlich ihre schwere Stirn ein Schwarm
Von Sommervögeln lustig überflattert.
Nun schreitet langsam auf dem warmen Teppich
Ein Pärchen, angeschmiedet, auf und nieder.
Behaglichkeit, das Kätzchen, schnurrt im Zimmer,
Indessen draußen in der Winternacht,
Ein Abglanz von den Schilden Schlachterschlagner,
Die fleißig in Walhall den Humpen schwingen,
Die blassen Strahlenbündel eines Nordlichts
Am strengen Himmel Odins sich ergießen.
Und auf der toten Heide bellt der Fuchs.

Quellenangabe
Name Wert
author Projekt Gutenberg-DE
type poem
booktitle Gedichte
author Detlev von Liliencron
year 1997
publisher Philipp Reclam jun.
address Stuttgart
isbn 3 15 007694 3
title Italienische Nacht
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Hugo von Hofmannsthal

Das Märchen der 672. Nacht

Ein junger Kaufmannssohn, der sehr schön war und weder Vater noch Mutter hatte, wurde bald nach seinem fünfundzwanzigsten Jahre der Geselligkeit und des gastlichen Lebens überdrüssig. Er versperrte die meisten Zimmer seines Hauses und entließ alle seine Diener und Dienerinnen, bis auf vier, deren Anhänglichkeit und ganzes Wesen ihm lieb war. Da ihm an seinen Freunden nichts gelegen war und auch die Schönheit keiner einzigen Frau ihn so gefangen nahm, daß er es sich als wünschenswert oder nur als erträglich vorgestellt hätte, sie immer um sich zu haben, lebte er sich immer mehr in ein ziemlich einsames Leben hinein, welches anscheinend seiner Gemütsart am meisten entsprach. Er war aber keineswegs menschenscheu, vielmehr ging er gerne in den Straßen oder öffentlichen Gärten spazieren und betrachtete die Gesichter der Menschen. Auch vernachlässigte er weder die Pflege seines Körpers und seiner schönen Hände noch den Schmuck seiner Wohnung. Ja, die Schönheit der Teppiche und Gewebe und Seiden, der geschnitzten und getäfelten Wände, der Leuchter und Becken aus Metall, der gläsernen und irdenen Gefäße wurde ihm so bedeutungsvoll, wie er es nie geahnt hatte. Allmählich wurde er sehend dafür, wie alle Formen und Farben der Welt in seinen Geräten lebten. Er erkannte in den Ornamenten, die sich verschlingen, ein verzaubertes Bild der verschlungenen Wunder der Welt. Er fand die Formen der Tiere und die Formen der Blumen und das Übergehen der Blumen in die Tiere; die Delphine, die Löwen und die Tulpen, die Perlen und den Akanthus; er fand den Streit zwischen der Last der Säule und dem Widerstand des festen Grundes und das Streben alles Wassers nach aufwärts und wiederum nach abwärts; er fand die Seligkeit der Bewegung und die Erhabenheit der Ruhe, das Tanzen und das Totsein; er fand die Farben der Blumen und Blätter, die Farben der Felle wilder Tiere und der Gesichter der Völker, die Farbe der Edelsteine, die Farbe des stürmischen und des ruhig leuchtenden Meeres; ja, er fand den Mond und die Sterne, die mystische Kugel, die mystischen Ringe und an ihnen festgewachsen die Flügel der Seraphim. Er war für lange Zeit trunken von dieser großen, tiefsinnigen Schönheit, die ihm gehörte, und alle seine Tage bewegten sich schöner und minder leer unter diesen Geräten, die nichts Totes und Niedriges mehr waren, sondern ein großes Erbe, das göttliche Werk aller Geschlechter.

Doch er fühlte ebenso die Nichtigkeit aller dieser Dinge wie ihre Schönheit; nie verließ ihn auf lange der Gedanke an den Tod und oft befiel er ihn unter lachenden und lärmenden Menschen, oft in der Nacht, oft beim Essen.

Aber da keine Krankheit in ihm war, so war der Gedanke nicht grauenhaft, eher hatte er etwas Feierliches und Prunkendes und kam gerade am stärksten, wenn er sich am Denken schöner Gedanken oder an der Schönheit seiner Jugend und Einsamkeit berauschte. Denn oft schöpfte der Kaufmannssohn einen großen Stolz aus dem Spiegel, aus den Versen der Dichter, aus seinem Reichtum und seiner Klugheit, und die finsteren Sprichwörter drückten nicht auf seine Seele. Er sagte: »Wo du sterben sollst, dahin tragen dich deine Füße«, und sah sich schön, wie ein auf der Jagd verirrter König, in einem unbekannten Wald unter seltsamen Bäumen einem fremden wunderbaren Geschick entgegengehen. Er sagte: »Wenn das Haus fertig ist, kommt der Tod« und sah jenen langsam heraufkommen über die von geflügelten Löwen getragene Brücke des Palastes, des fertigen Hauses, angefüllt mit der wundervollen Beute des Lebens.

Er wähnte, völlig einsam zu leben, aber seine vier Diener umkreisten ihn wie Hunde und obwohl er wenig zu ihnen redete, fühlte er doch irgendwie, daß sie unausgesetzt daran dachten, ihm gut zu dienen. Auch fing er an, hie und da über sie nachzudenken.

Die Haushälterin war eine alte Frau; ihre verstorbene Tochter war des Kaufmannssohns Amme gewesen; auch alle ihre anderen Kinder waren gestorben. Sie war sehr still und die Kühle des Alters ging von ihrem weißen Gesicht und ihren weißen Händen aus. Aber er hatte sie gern, weil sie immer im Hause gewesen war und weil die Erinnerung an die Stimme seiner eigenen Mutter und an seine Kindheit, die er sehnsüchtig liebte, mit ihr herumging.

Sie hatte mit seiner Erlaubnis eine entfernte Verwandte ins Haus genommen, die kaum fünfzehn Jahre alt war; diese war sehr verschlossen. Sie war hart gegen sich und schwer zu verstehen. Einmal warf sie sich in einer dunklen und jähen Regung ihrer zornigen Seele aus einem Fenster in den Hof, fiel aber mit dem kinderhaften Leib in zufällig aufgeschüttete Gartenerde, so daß ihr nur ein Schlüsselbein brach, weil dort ein Stein in der Erde gesteckt hatte. Als man sie in ihr Bett gelegt hatte, schickte der Kaufmannssohn seinen Arzt zu ihr; am Abend aber kam er selber und wollte sehen, wie es ihr ginge. Sie hielt die Augen geschlossen und er sah sie zum ersten Male lange ruhig an und war erstaunt über die seltsame und altkluge Anmut ihres Gesichtes. Nur ihre Lippen waren sehr dünn und darin lag etwas Unschönes und Unheimliches. Plötzlich schlug sie die Augen auf, sah ihn eisig und bös an und drehte sich mit zornig zusammengebissenen Lippen, den Schmerz überwindend, gegen die Wand, so daß sie auf die verwundete Seite zu liegen kam. Im Augenblick verfärbte sich ihr totenblasses Gesicht ins Grünlichweiße, sie wurde ohnmächtig und fiel wie tot in ihre frühere Lage zurück.

Als sie wieder gesund war, redete der Kaufmannssohn sie durch lange Zeit nicht an, wenn sie ihm begegnete. Ein paarmal fragte er die alte Frau, ob das Mädchen ungern in seinem Hause wäre, aber diese verneinte es immer. Den einzigen Diener, den er sich entschlossen hatte, in seinem Hause zu behalten, hatte er kennengelernt, als er einmal bei dem Gesandten, den der König von Persien in dieser Stadt unterhielt, zu Abend speiste. Da bediente ihn dieser und war von einer solchen Zuvorkommenheit und Umsicht und schien gleichzeitig von so großer Eingezogenheit und Bescheidenheit, daß der Kaufmannssohn mehr Gefallen daran fand, ihn zu beobachten, als auf die Reden der übrigen Gäste zu hören. Um so größer war seine Freude, als viele Monate später dieser Diener auf der Straße auf ihn zutrat, ihn mit demselben tiefen Ernst, wie an jenem Abend, und ohne alle Aufdringlichkeit grüßte und ihm seine Dienste anbot. Sogleich erkannte ihn der Kaufmannssohn an seinem düsteren, maulbeerfarbigen Gesicht und an seiner großen Wohlerzogenheit. Er nahm ihn augenblicklich in seinen Dienst, entließ zwei junge Diener, die er noch bei sich hatte, und ließ sich fortan beim Speisen und sonst nur von diesem ernsten und zurückhaltenden Menschen bedienen. Dieser Mensch machte fast nie von der Erlaubnis Gebrauch, in den Abendstunden das Haus zu verlassen. Er zeigte eine seltene Anhänglichkeit an seinen Herrn, dessen Wünschen er zuvorkam und dessen Neigungen und Abneigungen er schweigend erriet, so daß auch dieser eine immer größere Zuneigung für ihn faßte.

Wenn er sich auch nur von diesem beim Speisen bedienen ließ, so pflegte die Schüsseln mit Obst und süßem Backwerk doch eine Dienerin aufzutragen, ein junges Mädchen, aber doch um zwei oder drei Jahre älter als die Kleine. Dieses junge Mädchen war von jenen, die man von weitem, oder wenn man sie als Tänzerinnen beim Licht der Fackeln auftreten sieht, kaum für sehr schön gelten ließe, weil da die Feinheit der Züge verloren geht; da er sie aber in der Nähe und täglich sah, ergriff ihn die unvergleichliche Schönheit ihrer Augenlider und ihrer Lippen und die trägen, freudlosen Bewegungen ihres schönen Leibes waren ihm die rätselhafte Sprache einer verschlossenen und wundervollen Welt.

Wenn in der Stadt die Hitze des Sommers sehr groß wurde und längs der Häuser die dumpfe Glut schwebte und in den schwülen, schweren Vollmondnächten der Wind weiße Staubwolken in den leeren Straßen hintrieb, reiste der Kaufmannssohn mit seinen vier Dienern nach einem Landhaus, das er im Gebirg besaß, in einem engen, von dunklen Bergen umgebenen Tal. Dort lagen viele solche Landhäuser der Reichen. Von beiden Seiten fielen Wasserfälle in die Schluchten herunter und gaben Kühle. Der Mond stand fast immer hinter den Bergen, aber große weiße Wolken stiegen hinter den schwarzen Wänden auf, schwebten feierlich über den dunkelleuchtenden Himmel und verschwanden auf der anderen Seite. Hier lebte der Kaufmannssohn sein gewohntes Leben in einem Haus, dessen hölzerne Wände immer von dem kühlen Duft der Gärten und der vielen Wasserfälle durchstrichen wurden. Am Nachmittag, bis die Sonne hinter den Bergen hinunterfiel, saß er in seinem Garten und las meist in einem Buch, in welchem die Kriege eines sehr großen Königs der Vergangenheit aufgezeichnet waren. Manchmal mußte er mitten in der Beschreibung, wie die Tausende Reiter der feindlichen Könige schreiend ihre Pferde umwenden oder ihre Kriegswagen den steilen Rand eines Flusses hinabgerissen werden, plötzlich innehalten, denn er fühlte, ohne hinzusehen, daß die Augen seiner vier Diener auf ihn geheftet waren. Er wußte, ohne den Kopf zu heben, daß sie ihn ansahen, ohne ein Wort zu reden, jedes aus einem anderen Zimmer. Er kannte sie so gut. Er fühlte sie leben, stärker, eindringlicher, als er sich selber leben fühlte. Über sich empfand er zuweilen leichte Rührung oder Verwunderung, wegen dieser aber eine rätselhafte Beklemmung. Er fühlte mit der Deutlichkeit eines Alpdrucks, wie die beiden Alten dem Tod entgegenlebten, mit jeder Stunde, mit dem unaufhaltsamen leisen Anderswerden ihrer Züge und ihrer Gebärden, die er so gut kannte; und wie die beiden Mädchen in das öde, gleichsam lustlose Leben hineinlebten. Wie das Grauen und die tödliche Bitterkeit eines furchtbaren, beim Erwachen vergessenen Traumes, lag ihm die Schwere ihres Lebens, von der sie selber nichts wußten, in den Gliedern.

Manchmal mußte er aufstehen und umhergehen, um seiner Angst nicht zu unterliegen. Aber während er auf den grellen Kies vor seinen Füßen schaute und mit aller Anstrengung darauf achtete, wie aus dem kühlen Duft von Gras und Erde der Duft der Nelken in hellen Atemzügen zu ihm aufflog und dazwischen in lauen übermäßig süßen Wolken der Duft der Heliotrope, fühlte er ihre Augen und konnte an nichts anderes denken. Ohne den Kopf zu heben, wußte er, daß die alte Frau an ihrem Fenster saß, die blutlosen Hände auf dem von der Sonne durchglühten Gesims, das blutlose, maskenhafte Gesicht eine immer grauenhaftere Heimstätte für die hilflosen schwarzen Augen, die nicht absterben konnten. Ohne den Kopf zu heben, fühlte er, wenn der Diener für Minuten von seinem Fenster zurücktrat und sich an einem Schrank zu schaffen machte; ohne aufzusehen, erwartete er in heimlicher Angst den Augenblick, wo er wiederkommen werde. Während er mit beiden Händen biegsame Äste hinter sich zurückfallen ließ, um sich in der verwachsensten Ecke des Gartens zu verkriechen und alle Gedanken auf die Schönheit des Himmels drängte, der in kleinen leuchtenden Stücken von feuchtem Türkis von oben durch das dunkle Genetz von Zweigen und Ranken herunterfiel, bemächtigte sich seines Blutes und seines ganzen Denkens nur das, daß er die Augen der zwei Mädchen auf sich gerichtet wußte, die der Größeren träge und traurig, mit einer unbestimmten, ihn quälenden Forderung, die der Kleineren mit einer ungeduldigen, dann wieder höhnischen Aufmerksamkeit, die ihn noch mehr quälte. Und dabei hatte er nie den Gedanken, daß sie ihn unmittelbar ansahen, ihn, der gerade mit gesenktem Kopfe umherging, oder bei einer Nelke niederkniete, um sie mit Bast zu binden, oder sich unter die Zweige beugte; sondern ihm war, sie sahen sein ganzes Leben an, sein tiefstes Wesen, seine geheimnisvolle menschliche Unzulänglichkeit.

Eine furchtbare Beklemmung kam über ihn, eine tödliche Angst vor der Unentrinnbarkeit des Lebens. Furchtbarer, als daß sie ihn unausgesetzt beobachteten, war, daß sie ihn zwangen, in einer unfruchtbaren und so ermüdenden Weise an sich selbst zu denken. Und der Garten war viel zu klein, um ihnen zu entrinnen. Wenn er aber ganz nahe von ihnen war, erlosch seine Angst so völlig, daß er das Vergangene beinahe vergaß. Dann vermochte er es, sie gar nicht zu beachten oder ruhig ihren Bewegungen zuzusehen, die ihm so vertraut waren, daß er aus ihnen eine unaufhörliche, gleichsam körperliche Mitempfindung ihres Lebens empfing.

Das kleine Mädchen begegnete ihm nur hie und da auf der Treppe oder im Vorhaus. Die drei anderen aber waren häufig mit ihm in einem Zimmer. Einmal erblickte er die Größere in einem geneigten Spiegel; sie ging durch ein erhöhtes Nebenzimmer: In dem Spiegel aber kam sie ihm aus der Tiefe entgegen. Sie ging langsam und mit Anstrengung, aber ganz aufrecht: Sie trug in jedem Arme eine schwere hagere indische Gottheit aus dunkler Bronze. Die verzierten Füße der Figuren hielt sie in der hohlen Hand, von der Hüfte bis an die Schläfe reichten ihr die dunklen Göttinnen und lehnten mit ihrer toten Schwere an den lebendigen zarten Schultern; die dunklen Köpfe aber mit dem bösen Mund von Schlangen, drei wilden Augen in der Stirn und unheimlichem Schmuck in den kalten, harten Haaren, bewegten sich neben den atmenden Wangen und streiften die schönen Schläfen im Takt der langsamen Schritte. Eigentlich aber schien sie nicht an den Göttinnen schwer und feierlich zu tragen, sondern an der Schönheit ihres eigenen Hauptes mit dem schweren Schmuck aus lebendigem, dunklem Gold, zwei großen gewölbten Schnecken zu beiden Seiten der lichten Stirn, wie eine Königin im Kriege. Er wurde ergriffen von ihrer großen Schönheit, aber gleichzeitig wußte er deutlich, daß es ihm nichts bedeuten würde, sie in seinen Armen zu halten. Er wußte es überhaupt, daß die Schönheit seiner Dienerin ihn mit Sehnsucht, aber nicht mit Verlangen erfüllte, so daß er seine Blicke nicht lange auf ihr ließ, sondern aus dem Zimmer trat, ja auf die Gasse, und mit einer seltsamen Unruhe zwischen den Häusern und Gärten im schmalen Schatten weiterging. Schließlich ging er an das Ufer des Flusses, wo die Gärtner und Blumenhändler wohnten, und suchte lange, obgleich er wußte, daß er vergeblich suchen werde, nach einer Blume, deren Gestalt und Duft, oder nach einem Gewürz, dessen verwehender Hauch ihm für einen Augenblick genau den gleichen süßen Reiz zu ruhigem Besitz geben könnte, welcher in der Schönheit seiner Dienerin lag, die ihn verwirrte und beunruhigte. Und während er ganz vergeblich mit sehnsüchtigen Augen in den dumpfen Glashäusern umherspähte und sich im Freien über die langen Beete beugte, auf denen es schon dunkelte, wiederholte sein Kopf unwillkürlich, ja schließlich gequält und gegen seinen Willen, immer wieder die Verse des Dichters: »In den Stielen der Nelken, die sich wiegten, im Duft des reifen Kornes erregtest du meine Sehnsucht; aber als ich dich fand, warst du es nicht, die ich gesucht hatte, sondern die Schwestern deiner Seele.«

Quellenangabe
Name Wert
type narrative
booktitle Das Märchen der 672. Nacht / Reitergeschichte / Erlebnis des Marschalls von Bassompierre
author Hugo von Hofmannsthal
year 1998
publisher Fischer Taschenbuch Verlag
address Frankfurt am Main
isbn 3-596-13136-7
title Das Märchen der 672. Nacht
pages 01.07.17
created 19990530
sender gerd.bouillon@t-online.de
firstpub 1895
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Nacht

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Dieser Artikel erläutert die astronomische Zeitgröße Nacht; zu dem altägyptischen Beamten und dessen bekannten Grab siehe Grab des Nacht.
Die Erde bei Nacht (Fotomontage)

Die Erde bei Nacht (Fotomontage)

Einbruch der Nacht in Europa. Künstliches Bild für 7. Mai, 18:45 Weltzeit (20:45 MESZ)

Einbruch der Nacht in Europa. Künstliches Bild für 7. Mai, 18:45 Weltzeit (20:45 MESZ)

Als Nacht bezeichnet man allgemein den Teil eines Tages zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang, also den Zeitraum, in dem die Sonne für den Standort eines Beobachters unter dem Horizont steht.

Im streng astronomischen Sinn ist die Nacht die Zeit völliger Dunkelheit, also zwischen dem Ende der astronomischen Dämmerung am Abend (etwa 1½ Stunden nach Sonnenuntergang) und deren Beginn am Morgen. Der Übergang zwischen Tag- und Nachtseite der Erde oder von Planeten heißt Terminator (Tag-Nacht-Grenze); er verbreitert sich zu einer Dämmerungszone, wenn der Himmelskörper eine merkliche Atmosphäre besitzt.

Nachthimmel ist eine Bezeichnung für den Anblick des Himmels bei Nacht. Am Nachthimmel zeigen sich zumindest in klaren Nächten die Sterne, die tagsüber von der Sonne überstrahlt werden (siehe Sternhimmel).

Für die meisten Menschen ist die Nacht die Zeit des Schlafes, hingegen für nachtaktive Tiere wie Eulen, Fledermäuse, viele Insekten usw. die Zeit der Aktivität. Die meisten Länder haben eine Reihe von Lärm- und anderen Schutzbestimungen für die Nachtzeit und für notwendige Nachtdienste.

Inhaltsverzeichnis

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Dunkelheit am Nachthimmel

Zodiakallicht am Abendhimmel (orig.Zeichnung Étienne Léopold Trouvelot)

Zodiakallicht am Abendhimmel (orig.Zeichnung Étienne Léopold Trouvelot)

Die wichtigste Eigenschaft der Nacht ist die Dunkelheit und damit zusammenhängende biologische Vorgänge wie Nachtruhe, Stille und die Einschränkung des menschlichen Sehens auf die Wahrnehmung von Schwarz-Weiß. Zur Farbwahrnehmung kommt es nur bei Flächenhelligkeiten über einigen Hundertstel Lux und bei den hellsten Sternen (siehe auch photopisches Sehen).

Selbst bei klarem, mondlosem Nachthimmel ohne Fremdbeleuchtung ist der Himmel nicht vollständig schwarz. Verantwortlich für die Aufhellung sind das Rekombinationsleuchten der Moleküle der Atmosphäre, die tagsüber von der Sonne ionisiert wurden. Dies tritt insbesondere bei Sauerstoff, Stickstoff und Natrium auf. Weitere natürliche Lichtquellen sind das Zodiakallicht und die Streuung von terrestrischem und Sternenlichts in niedrigen Atmosphärenschichten (Troposphäre). Die Helligkeit des Nachthimmels ist dadurch vergleichbar der eines Sterns der scheinbaren Helligkeit von 22m, weshalb lichtschwächere Sterne von der Erde aus nicht beobachtet werden können.

Eine wesentliche Frage für die Fortentwicklung der Astronomie war die von Heinrich Wilhelm Olbers: Warum ist der Nachthimmel dunkel? Sie führt zum Olbersschen Paradoxon. Der dunkle Nachthimmel ist mit der Newtonschen Physik nicht oder nur sehr schwer zu erklären, da man bei einem unendlich großen Universum in jeder Richtung irgendwann auf einen Stern stoßen müsste, die insgesamt einen taghellen Nachthimmel ergäben.

Die Angst vor der Nacht bzw. der Dunkelheit bezeichnet man als Nyktophobie; sie wird auch durch Schutzmaßnahmen wie Nachtwächter oder sonstige Überwachung kaum geringer. Im übertragenen Sinn spricht man auch von Nacht, wenn jemand durch eine Phase seelischer Dunkelheit hindurchmuss.

Beleuchtung

Der Mond bei Nacht (mit Halo)

Der Mond bei Nacht (mit Halo)

Natürliche Beleuchtung

Am Nachthimmel ist eine Reihe von natürlichen Lichtquellen – ständig oder zeitweise – sichtbar. Dazu gehören neben dem bereits erwähnten Zodiakallicht:

die je nach Standort, Zustand der Atmosphäre und Bewölkung unterschiedliche Lichtstärken entfalten können.

AS

AS „Lehrte“ an der A2 bei Nacht (Rtg. Berlin)

Das Sternenlicht ist heute durch die zunehmende Luft– und Lichtverschmutzung stellenweise stark eingeschränkt. In unseren Breiten liegt dessen Lichtstärke in der Regel unter 0,03 Lux, das heißt die Grenze wird unterschritten, bei der das menschliche Auge noch Einzelheiten unterscheiden und Farben sehen kann. Das Mondlicht hat eine Stärke zwischen 0,2 und 1,0 Lux, zum Vergleich: ein sonniger Tag erreicht 32.000 bis 100.000 Lux. In den Bereichen um die beiden Pole, seltener auch bis in mittlere Breiten, sorgt in manchen Nächten das Polarlicht für eine Lichtstärke, die 1,0 Lux deutlich überschreiten kann.

Künstliche Beleuchtung

Im Laufe der Menschheitsgeschichte wurden Lichtquellen entwickelt, um die Dunkelheit der Nacht aufzuheben. Zuerst wurde die Dunkelheit mit Feuern, dann mit Fackeln und Kerzen, später mit Glühlampen, Leuchtstoffröhren, und vor allem im Außenbereich mit bläulichen Quecksilberdampflampen oder Natriumdampflampen mit ihrem charakteristischen, gelblichen Licht erhellt. Quecksilber- und Natriumdampflampen sind auf dem nebenstehenden Bild gut zu erkennen.

Dresden bei Nacht

Dresden bei Nacht

Diese Entwicklung veränderte viele Lebensbereiche der Menschen. Sie gingen nicht mehr mit Anbruch der Dunkelheit schlafen, sondern konnten mit dem Licht bis spät in die Nacht aktiv bleiben.

Siehe auch: Subjektiver Tag

Außenbereiche werden mit Laternen beleuchtet, damit sich der Verkehr auch nachts ungehindert bewegen kann, um ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln oder aus dekorativen Gründen. Die ersten Städte, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine künstliche Straßenbeleuchtung mit Gaslampen einführten, waren London, Amsterdam und Paris. Heute spricht man bereits von „Lichtverschmutzung„. Durch die vielen Beleuchtungen macht der Mensch die Nacht zum Tag. Die Reflexionen aller Lichtquellen am Boden erhellt den Himmel so stark, dass in größeren Städten die Sterne kaum mehr sichtbar sind. Ein weiteres Problem der Lichtverschmutzung ist der störende Einfluss auf nachtaktive Tiere, insbesondere auf Insekten, die von den Lichtquellen angezogen werden.

Hinderlich ist der aufgehellte Himmel auch für Astronomen, weil er trotz größer werdender Teleskope immer mehr Sterne und insbesondere flächenhafte Himmelsobjekte überstrahlt. Hobbyastronomen müssen sich entlegene Winkel suchen, und moderne Observatorien können nur noch fernab der Zivilisation errichtet werden.

Siehe auch: Lichtstreuung, Lichtverschmutzung

Meteorologie

Aus Sicht der Meteorologie ist die Nacht vor allem mit der Ausstrahlung der Erdoberfläche und der damit einhergehenden Erniedrigung der Boden– und Lufttemperatur verbunden. Es kommt daher in der Nacht bei ausreichender Luftfeuchtigkeit zu Phänomenen wie Tau, Nebel, Frost oder Reif. Am frühen Morgen, also wenn all diese Phänomene mit zunehmender Helligkeit auch für den Menschen sichtbar werden, hat sich i.a. das 24-stündige Temperaturminimum eingestellt. Es tritt meist knapp vor Sonnenaufgang ein und lässt sich annähernd über die Taupunktregel errechnen.

Nacht in der Jagd

Für bestimmte Wildarten gilt in Deutschland zur Nacht ein Jagdverbot, hierfür wird die Nacht folgendermaßen definiert: Der Zeitraum 1,5 Stunden nach Sonnenuntergang bis 1,5 Stunden vor Sonnenaufgang. (§19 BJG)

Nacht in der Luftfahrt

Aufgrund erhöhter Anforderungen an den Luftfahrzeugführer während eines Nachtfluges, bedarf es zum Führen eines Luftfahrzeuges bei Nacht einer besonderen Einweisung zum Erwerb der so genannten Nachtflugqualifikation (NFQ).

In Europa (im Zuständigkeitsbereich der europäischen Luftfahrtbehörde JAA) wird die Nacht für die Luftfahrt durch die Joint Aviation Requirements in JAR-FCL 1.001 deutsch wie folgt definiert: „Der Zeitraum zwischen dem Ende der bürgerlichen Abenddämmerung und dem Beginn der bürgerlichen Morgendämmerung oder jeder andere Zeitraum zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang, der von der zuständigen Behörde festgelegt wird.“

In der Bundesrepublik Deutschland gilt nach der LuftVO als Nacht „der Zeitraum zwischen einer halben Stunde nach Sonnenuntergang und einer halben Stunde vor Sonnenaufgang“.

Félix Vallotton, Die Nacht

Félix Vallotton, Die Nacht

Nacht in den Geistes- und Sozialwissenschaften

Neben der Astronomie befassen sich zahlreiche Wissenschaften mit der Nacht, etwa die Literaturwissenschaft, weil es ein bedeutendes Motiv der Dichtung ist, oder die unter anderem von Hans-Werner Prahl bearbeitete „Soziologie der Nacht“. Auch viele Zusammensetzungen mit nahe liegender Bedeutung (zum Beispiel „Nachtseite“) oder fern liegender Bedeutung existieren (zum Beispiel „Nachtreiter“).

Nott, in der germanischen Mythologie die  Personifikation der Nacht (Gem. von Peter Nicolai Arbo)

Nott, in der germanischen Mythologie die Personifikation der Nacht (Gem. von Peter Nicolai Arbo)

Mythische Aspekte

Die Nacht war im Volksglauben seit alters die Zeit der Geister, Teufel und Gespenster. Zwischen Mitternacht und Morgengrauen hatten die dunklen Wesen besondere Macht. Im Englischen heißt diese Periode „dead of night“ oder „death hour“ (Todesstunde), im Lateinischen „intempesta“ (ohne Zeit) und man nahm an, dass zu dieser Zeit der Tod besonders viele Menschen zu sich nähme. Nach der Überlieferung trieben gerade in dieser Zeitspanne Dämonen und Hexen ihr Unwesen und die Herrschaft des Teufels auf Erden dauerte, wie zahlreichen Märchen und Sagen zu berichten wissen, von Mitternacht bis zum ersten Hahnenschrei bzw. bis zum ersten Glockenschlag 1 Uhr. Dabei galten bestimmte Nächte als besonders gefahrvoll, zum Beispiel die Nächte vor Johannis und Allerheiligen.

Es gab auch besonders gefürchtete Orte, die man nachts besonders zu meiden versuchte, zum Beispiel Kreuzwege, Galgen und Friedhöfe.

Literatur

Roger Enkirch; In der Stunde der Nacht, 2005 Lübbe-Verlag Bergisch Gladbach, ISBN 3-7857-2246-X
Nachts – Wege in andere Welten, Begleitband zur gleichn. Ausstellung im Hannoverschen Historischen Museum, 2004 Schmerse, V, ISBN 3926920351

Weblinks

Commons

Commons: Nacht – Bilder, Videos und Audiodateien

Wiktionary

Wiktionary: Nacht – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen und Grammatik

Wikiquote

Wikiquote: Nacht – Zitate

Siehe auch

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Bibliografische Angaben für „Nacht

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Samstag, 23 Februar 2008 Posted by | 2008-02-23 | , , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Bauernregel Freitag 22. Februar 2008

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Nun ging der waltende Christ,
Der gute, von Galiläa zu einer Judenburg.
Da fanden sie in Kapharnaum einen Königsdiener,
Der brüstete sich prahlerisch, ein gewaltiger Bote
Des Kaisers zu sein. Er kam und sprach
Zu Simon Petrus: »Ich bin gesandt hieher,
Daß ich mahnen solle der Männer jeglichen
Des Kopfgelds wegen, das an des Kaisers Hof
Als Zins zu zahlen ist. Es zögert niemand
Der Gaubewohner, sie geben es willig
Aus der Menge der Schätze; euer Meister allein
Hat es unterlassen. Übel geliebt das wohl
Meinem hohen Herrn, wenn es am Hofe kund wird
Dem edeln Kaiser.« Da beeilte sich
Simon Petrus: er wollt es sagen gleich
Seinem holden Herrn. Da hatt es im Herzen
Schon der Waltende gewahrt: ihm mochte kein Wort
Verborgen bleiben: bis aufs kleinste wußt er
Der Menschen Gedanken. Dem hehren Degen gebot er,
Dem Simon Petrus, in den See sogleich
Eine Angel zu werfen: »Den ersten, den du da
Fängst, den Fisch, zieh aus der Flut zu dir
Und klüft ihm die Kinnlade: zwischen den Kiemen wirst du
Goldmünzen finden: mit diesem Gelde
Magst du den Mann befriedigen für meinen und deinen
Und jeglichen Zins, den er uns zahlen heißt.«
Das braucht‘ er nicht erst zum andern Male
Ihm zu befehlen. Der gute Fischer ging,
Simon Petrus, und warf in den See
Hinab die Angel, und herauf zog er
Einen Fisch aus der Flut; sofort mit beiden Händen
Klüftet‘ er ihm die Kinnlade und nahm aus den Kiemen
Die goldenen Münzen: damit tat er, wie des Gottessohns
Wort ihn angewiesen. Da ward des Waltenden
Kraft aufs neue kund, und daß künftig jeder
Willig und unweigerlich seinem weltlichen Herrn
Schoß und Schatzung, soviel ihm beschieden ist,
Zahle und zinse. Er zögere nicht damit,
Murre nicht mit seinem Mut, sondern sei ihm mild im Herzen,
Dien ihm in Demut: darin mag er Gottes
Willen wirken und des weltlichen Herrn
Huld sich erhalten.

Quellenangabe

Name Wert
type poem
booktitle Der Heliand
author Anonym
translator Karl Simrock
year 1959
publisher Insel Verlag
address Leipzig
title Der Heliand
created 20050523
sender gerd.bouillon
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368px-jesus_und_petrus_matthaus_418-20.jpg

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Summary
Description
Deutsch: Jesus und Apostel Simon Petrus, Matthäus-Evangelium 4.18-20
English: Jesus and Saint Peter, Gospel of Matthew 4.18-20
Français : Jésus et Saint Pierre, Évangile selon Matthieu 4.18-20
Source http://www.bbf.dipf.de/cgi-opac/bil.pl?t_direct=x&f_IDN=b0002285berl
Date 1787
Author Ziegler
Diese Bild- oder Mediendatei ist gemeinfrei, weil ihre urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist.
Dies gilt für die Europäische Union, die Vereinigten Staaten, Kanada und alle weiteren Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers.

Karl Simrock

Die Fußwaschung

Zuvor sah da niemand
Wohl der Minne mehr, als er den Mannen erwies,
Den guten Jüngern. Ein Gastmahl bereitet‘ er,
Setzte sie zu sich und sagt‘ ihnen viel
Wahrer Worte. Gen Westen schritt der Tag,
Die Sonne zur Küste. Sieh, da gebot
Des Waltenden Wort, daß man ihm lautres Wasser
Im Becken brächte. Auf stand der Geborne des Herrn,
Der gute, vom Gastmahl und wusch den Jüngern
Mit seinen Händen die Füße, rieb mit dem Handtuch
Und trocknete sie verehrlich. Da sprach der Getreue,
Simon Petrus, zu dem Herrn: »Nicht paßlich scheint es mir,
Mein Fürst, du guter, daß du die Füße mir wäschest
Mit den heiligen Händen.« Da sprach sein Herr zu ihm,
Der Waltende: »Wenn du den Willen nicht hast,
Den Dienst zu empfangen, daß ich dir die Füße wasche
Aus gleicher Minne, wie ich diesen Männern
Verehrlich tue, so hast du nicht teil mit mir
Am Himmelreiche.« Da war das Herz gewandt
Dem Simon Petrus; er sprach: »So gebiete
Über meine Hände und Füße und über mein Haupt zumal,
Sie nach Gefallen zu waschen, daß ich fürder nur
Deine Huld habe und des Himmelreiches
Solchen Teil, wie mir, teurer Herr,
Deine Güte geben will.« Die Jünger Christs
Duldeten da die Diensterweisung,
Die Degen, geduldig, und was ihr Dienstherr tat,
Der mächtige, aus Minne. Noch mehr gedachte den Menschen
Fürder zu frommen das Friedenskind Gottes.
Er setzte sich zu den Gesellen und sagt‘ ihnen viel
Langfördernden Rats.

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Simon Petrus

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Simon Petrus (* in Galiläa, Datum unbekannt; † vermutlich in Rom um 65) war einer der ersten jüdischen Apostel, die Jesus von Nazaret in seine Nachfolge rief. Informationen über sein Leben überliefert hauptsächlich das Neue Testament. Dort ist Petrus erster Bekenner, aber auch Verleugner Jesu Christi, dann, nach den ältesten NT-Texten, der erste männliche Augenzeuge des Auferstandenen sowie Sprecher der Apostel und Leiter der Jerusalemer Urgemeinde.

Hinzu kommen spätantike Schriften von Kirchenvätern, wonach Petrus erster Bischof von Antiochia sowie Gründer und Haupt der Gemeinde von Rom gewesen und dort als Märtyrer hingerichtet worden sein soll. Ihre Historizität ist umstritten. Der Katholizismus führt den Primatsanspruch des römischen Bischofs und damit das Papsttum auf Petrus zurück („petrinisches Prinzip“). Innerhalb der katholischen und orthodoxen Tradition wird Petrus als Heiliger verehrt.

Albrecht Dürers Simon Petrus auf dem Apostelbild in der Münchner Alten Pinakothek

Albrecht Dürers Simon Petrus auf dem Apostelbild in der Münchner Alten Pinakothek

Inhaltsverzeichnis

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Neues Testament

Name

Nach allen Evangelien lautete sein Name Simon, nach Apg 15,14 EU und 2_Petr 1,1 EU in der Version Symeon. Paulus von Tarsus dagegen nannte ihn stets Kephas ohne Vornamen. Dieser Ausdruck ist eine Gräzisierung des aramäischen Wortes kefa כיפא, griechisch übersetzt πετρος (petros), latinisiert Petrus. Es bedeutet in beiden Sprachen gewöhnlich „Stein“, griechisch auch „Fels“ sowohl für Naturstein wie für einen behauenen Steinblock.[1]

Diesen Beinamen soll Jesus persönlich Simon verliehen haben; wo und wann er dies tat, überliefern die Evangelien unterschiedlich. Mt 16,18 EU erklärt den Beinamen mit Jesu Zusage an Petrus: Auf diesen Felsen will ich meine ecclesia bauen. Der Begriff ecclesia bedeutet „die Herausgerufene“ und wird auf die Gemeinschaft der erstberufenen Jesusanhänger, dann auch auf die Kirche insgesamt bezogen.

In Mt 16,17 EU spricht Jesus Simon als barjona an. Das aramäische bar jona bedeutet wörtlich „Sohn des Jona“. Joh 1,42 EU nennt jedoch einen Johannes als Vater Simons; dieser Name könnte den aramäischen Namen gräzisieren. Ob die Stelle auf den leiblichen oder den geistlichen Vater – hier Johannes der Täufer – anspielt, ist nicht klar. Als Adjektiv bedeutet barjona auch „impulsiv“, „unbeherrscht“. Dies gilt einigen Exegeten als Indiz für eine mögliche frühere Zugehörigkeit Simons zu den Zeloten. Denn im späteren Talmud wurden jüdische Freiheitskämpfer als barjonim (Plural) bezeichnet.

Herkunft und Berufung

Simon Petrus war Jude und stammte wie Jesus aus Galiläa. Er gehörte nach allen Evangelien zu den ersten Jüngern, die Jesus in seine Nachfolge berief. Alle Nachrichten über ihn folgen auf diese Berufung. Nur wenige Notizen beziehen sich auf seine Herkunft. Von seinem Vater wird nur der Name erwähnt; seine Mutter wird nicht genannt. Er hatte einen Bruder namens Andreas, den Jesus mit ihm berief. Diesen Bruder nennen alle Apostellisten an zweiter Stelle neben Simon: Daraus schließt man, dass er wohl der Jüngere von beiden war.

Nach der Apostelgeschichte wurde Petrus im traditionellen jüdischen Glauben erzogen. Er beachtete jüdische Speisevorschriften und verkehrte nicht mit Nichtjuden (Apg 10,14.28 EU). Den synoptischen Evangelien zufolge wohnte er in Kafarnaum am See Genezareth. Dort besaßen er und sein Bruder Andreas ein Haus, wo auch seine Schwiegermutter lebte (Mk 1,29ff EU; Lk 4,38 EU). Auf dessen Überresten kann eine der ersten Pilgerstätten des Urchristentums errichtet worden sein, die Archäologen in Kafarnaum ausgegraben haben.[2]

Jesus soll Simons Schwiegermutter geheilt haben, worauf sie den Jüngern gedient habe (Mk 1,31 EU). Den Namen ihrer Tochter, seiner Frau, erwähnen die Evangelien nicht. Daher glauben manche Exegeten, Petrus habe sie gemäß der Aufforderung Jesu, alles zu verlassen (Mk 10,28f EU), in Kafarnaum zurückgelassen. Nach Paulus, der ihn um das Jahr 39 in Jerusalem traf, wurden Petrus und andere Apostel jedoch von ihren Ehefrauen begleitet (1_Kor 9,5 EU). Da Jesus nichts gegen Ehe bzw. Ehestand äußerte und außerdem die Ehescheidung verbot (Mt 5,32 EU), kann Simons Frau auch vorher schon, wie andere Frauen aus Galiläa (Mk 15,41 EU; Lk 8,2 EU), mit ihrem Mann umhergezogen sein.

Nach den Synoptikern, die hier wohl dem Markusevangelium folgten, arbeiteten Simon (noch ohne Zuname) und Andreas als Fischer. Am See Genezareth habe Jesus sie beim Auswerfen ihrer Fischernetze getroffen und aufgefordert, ihm nachzufolgen. Daraufhin hätten die Brüder die Netze verlassen und seien ihm gefolgt (Mk 1,16 EU). Bei der Berufung der übrigen Zwölf habe Jesus Simon dann den Beinamen „Petrus“ gegeben (Mk 3,16 EU).

Nach dem Lukasevangelium wurde Simon zum „Menschenfischer“ berufen, nachdem Jesus seine Antrittspredigt in der Synagoge von Kafarnaum gehalten und seine Schwiegermutter geheilt hatte. Die Berufung ist hier Abschluss eines unerwartet großen Fischfangs, nach dem Simon bekennt: Herr, gehe von mir fort! Ich bin ein sündiger Mensch (Lk 5,1-11 EU). Hier nennt Lukas erstmals seinen Beinamen Petrus, dann auch bei der Auswahl der Zwölf (Lk 6,14 EU). Beide Evangelisten erklären den Beinamen nicht.

Auch das Matthäusevangelium nennt Simon ab seiner Berufung Petrus (Mt 4,18 EU). Er stellt diesen Beinamen besonders heraus, nachdem Simon bekannte: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn! Als Antwort erhält er eine Seligpreisung und Zusage, dass Jesus seine ecclesia auf „diesen Felsen“ bauen wolle (Mt 16,18 EU).

Nach dem Johannesevangelium kamen Petrus und sein Bruder aus Bethsaida. Ob hier der Geburts- oder der zeitweise Wohnort gemeint ist, bleibt offen. Andreas soll als ein Jünger Johannes des Täufers Jesus zuerst getroffen, ihn als Messias erkannt und dann seinen Bruder Simon zu ihm geführt haben. Jesus habe ihm sofort, als er ihn sah, den Beinamen Kephas verliehen (Joh 1,35-44 EU).

Nach allen Evangelien hatte Simon Petrus im Jüngerkreis eine Führungsrolle inne. Er steht in allen Apostellisten im NT an erster Stelle und zählt, zusammen mit Jakobus dem Älteren und Johannes, zu den drei Aposteln, die Jesus besonders nahe standen. Sie galten nach Mk 9,2-13 EU (Verklärung Christi) als die Einzigen der Zwölf, denen Gott die Göttlichkeit und künftige Auferstehung seines Sohnes bereits vor dessen Tod offenbarte. Sie begleiteten Jesus zudem in seinen letzten Stunden im Garten Getsemani (Mk 14,33 EU).

Christusbekenner und Christusverleugner

Nur Petrus bekannte sich nach den Evangelien schon vor Jesu Auferstehung ausdrücklich zu dessen Messiaswürde (Mk 8,29ff EU): Du bist der Christus! Doch gleich darauf, nachdem Jesus den Jüngern erstmals seinen vorherbestimmten Leidensweg ankündigte, nahm Petrus ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren (V. 32). Er habe also versucht, Jesus von diesem Weg ans Kreuz abzubringen, so dass sein Glaubensbekenntnis als Missverständnis der Sendung Jesu erscheint. Daraufhin habe Jesus ihn schroff zurechtgewiesen (V. 33):

Weiche von mir, Satan! Denn Du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.

„Satan“ bedeutet im Hebräischen „Gegner“ oder „Widersacher“. Petrus wird hier mit dem Versucher Jesu in der Wüste verglichen, der den Sohn Gottes ebenfalls von seinem Leidensweg abhalten wollte (Mt 4,1-11 EU); er wird auch an anderen Stellen des NT in die Nähe des Satans gerückt (Lk 22,31 EU). Hier folgt die Jüngerbelehrung Jesu (Mk 8,34):

Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer es aber verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird es erhalten.

Diese paradoxe Einladung zur Kreuzesnachfolge ist Hintergrund für das später erzählte Versagen des Petrus im Verlauf der Passion Jesu, als er, um sein Leben zu retten, nicht sich, sondern Jesus verleugnete (Mk 14,66-72 EU).

Der Widerspruch zwischen Reden und Handeln zeigte sich bei Petrus schon in Galiläa: Einerseits vertraute er dem Ruf Jesu in die Nachfolge („Komm her!“), andererseits schwand sein Glaube beim ersten Gegenwind, so dass nur Jesus ihn vor dem Versinken im Meer retten konnte (Mt 14,29ff EU).

Laut Joh 13,6-9 EU widersprach er auch Jesu Ansinnen, ihm die Füße zu waschen. Diese Handlung war damals ein typischer Sklavendienst: Petrus wehrte sich also dagegen, sich von Jesus als seinem Herrn wie von einem Sklaven bedienen zu lassen. Aber nur dieser Dienst gab ihm vorweg Anteil an dem am Kreuz Jesu erwirkten Heil und deutete auf die „Taufe in den Tod“ voraus. Das war mit der Verpflichtung an alle Jünger verbunden, einander ebenso zu dienen.

Im Verlauf der Passion Jesu spitzen alle Evangelien das Versagen des ersten Jüngers und Christusbekenners zu. Jesus kündete Petrus beim letzten Mahl Jesu an, er werde ihn noch in derselben Nacht dreimal verleugnen. Dies wies er wie alle übrigen Jünger weit von sich (Mk 14,27-31 EU par.):

Wenn ich auch mit Dir sterben müsste, so wollte ich Dich doch nicht verleugnen. Ebenso sprachen sie alle.

Doch kurz darauf schlief er ein, als Jesus in Getsemani den Beistand der Jünger besonders nötig brauchte und erbat (Mt 26,40.43f EU). Dann wiederum soll er nach Joh 18,10 EU mit Waffengewalt die Verhaftung Jesu zu verhindern versucht haben: Er wird hier mit jenem namenlosen Jünger identifiziert, der einem Soldaten der Tempelwache laut Mk 14,47 EU ein Ohr abhieb. Sein Versagen gipfelt in der Verleugnung Jesu, während dieser sich vor dem Hohen Rat als Messias und kommender Menschensohn bekannte und sein Todesurteil empfing (Mk 14,62 EU). Als das Krähen eines Hahnes im Morgengrauen Petrus an Jesu Vorhersage erinnerte, habe er zu weinen begonnen (Mk 14,66-72 EU).

Petrus fehlte also nach neutestamentlicher Darstellung die Kraft, seinem Glauben gemäß zu handeln, als es darauf angekommen wäre. Dennoch erhielt gerade er auf sein Christusbekenntnis hin von Jesus den Namen „Fels“ und die Zusage der Gemeindegründung (Mt 16,16-23 EU).

Die Apostelgeschichte stellt Petrus nach Pfingsten demgemäß als todesmutigen Bekenner vor dem Hohen Rat dar, der die Sendung des Heiligen Geistes als Missionar und Leiter der Urgemeinde vorbildlich erfüllte (Apg 5,29 EU). Paulus dagegen zeigt ihn auch als wankelmütig: Er berichtet, dass Petrus aus Furcht vor den Judenchristen um Jakobus die Tischgemeinschaft mit Heiden aufgab und vor einigen Juden Gesetzestreue „heuchelte“, statt nach der „Wahrheit des Evangeliums“ zu wandeln (Gal 2,11-14 EU).

Einige Exegeten schließen daraus auf seinen ambivalenten Charakter. Andere sehen Petrus als Beispiel für das Verhalten aller Jünger, die Jesus angesichts seines bevorstehenden Todes verließen (Mk 14,50 EU). Er steht im NT für das dichte Beieinander von Glauben und Unglauben, Zeugendienst und schuldhaft verweigerter Kreuzesnachfolge in der ganzen Kirche.

Zeuge der Auferstehung

Petrus ist für das NT einer der Ersten, dem der auferstandene Jesus begegnete. Als Ausgangspunkt der Osterüberlieferung des NT gelten frühe Bekenntnissätze der Urchristen wie Lk 24,34 EU:

Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und dem Simon erschienen!

Der in der Versammlung der Jünger vor ihrer gemeinsamen Vision des Auferstandenen situierte Satz legt nahe, dass Petrus noch vor den übrigen Jüngern eine eigene, nur ihm geltende Erscheinung (Vision) des auferweckten Jesus hatte. Die älteste, von Paulus aus der Jerusalemer Urgemeinde übernommene Zeugenliste der Ostererscheinungen Jesu bestätigt dies (1_Kor 15,5 EU):

Er wurde gesehen von Kephas, danach von den Zwölfen.

Die von Lukas überlieferte Credoformel nennt ihn „Simon“, die Zeugenliste „Kephas“ und stellt seine Jesusvision neben die der Zwölf: Daraus folgern manche Exegeten, dass dieser Titel ihm nach Ostern beigelegt und dann in seine vorherige Jesusnachfolge zurück verlegt wurde.

Ort und Inhalt der Petrusvision lassen die synoptischen Evangelien jedoch unbestimmt. Nach dem Markusevangelium erhielten die Frauen, die das leere Grab Jesu entdeckten, dabei die Botschaft eines Engels, dass Jesus den Jüngern in Galiläa erscheinen werde. Dabei wird Petrus namentlich neben den übrigen Jüngern genannt (Mk 16,6 EU).

Das Matthäusevangelium berichtet von keiner Einzelvision des Petrus. Hier begegnet Jesus zuerst den Frauen, die unterwegs vom leeren Grab nach Galiläa waren (Mt 28,9 EU). Danach erscheint er den erstberufenen Jüngern (Elf ohne Judas Ischariot) gemeinsam (Mt 28,17ff EU).

Auch das Lukasevangelium beschreibt keine Erstvision des Petrus. Es deutet an, dass die Jünger nach Jesu Tod auf getrennten Wegen in ihre Heimat zurückkehrten. Unterwegs seien einige von ihnen Jesus begegnet, deshalb wieder umgekehrt und hätten sich in einem Haus in Jerusalem versammelt. Dort habe Jesus sich ihnen gemeinsam offenbart und ihnen den Auftrag zur Völkermission gegeben. Dabei kündet er hier die Ausschüttung des Heiligen Geistes nur an, die 50 Tage später an Pfingsten erfolgte (Lk 24,13-50 EU).

Im Johannesevangelium geschah eine gemeinsame Jüngervision ebenfalls in der Tempelstadt. Dabei erhielten alle Jünger den Geist und damit die Vollmacht zum „Binden und Lösen“ der Sünder (Joh 20,19-23 EU). Dem ging die Begegnung Jesu mit Maria Magdalena voraus: Sie, nicht Petrus, sah und verkündete den Auferstandenen hier zuerst. Petrus habe zuvor das leere Grab Jesu betreten und darin das aufgewickelte Schweißtuch des Gekreuzigten entdeckt. Weil er sich dies nicht habe erklären können, sei er zunächst „nachhause“ gegangen. Nicht die Entdeckung des leeren Grabes, sondern erst die Selbstoffenbarung des Auferstandenen konnte demnach seinen Glauben wecken (Joh 20,1-18 EU).

Daran anknüpfend berichtet das später ergänzte Schlusskapitel Joh 21,1-19 EU, Jesus sei Petrus und sechs weiteren Jüngern aus dem Zwölferkreis nochmals erschienen. Wie er anfangs in Galiläa nach einem wunderbaren Fischzug berufen wurde (Lk 5,1-11 EU), so erkennt er auch diesmal durch den übergroßen Fischfang, dass Jesus der auferstandene Kyrios ist. So wie er Jesus dreimal verleugnet hatte, so fragt dieser ihn nun dreimal: Liebst du mich?, was er jedesmal bejaht. Daraufhin erhält Petrus dreimal den Befehl: Weide meine Schafe! und den erneuten Ruf Folge mir nach. Dabei kündet Jesus ihm an, dass er als Märtyrer sterben werde.

Die Lokalisierung am See Genezareth bestätigt, dass die ersten Jüngervisionen in Galiläa, nicht in Jerusalem stattfanden. Sie wurden als Versöhnung mit Jesus und erneute Nachfolgeberufung verstanden: Das gemeinsame Mahl mit dem Auferstandenen bedeutete für Juden Vergebung und Anteilgabe am endzeitlichen Heil. Ostererinnerung und Abendmahl waren im Gottesdienst der Urchristen eng verbunden.

Der später angehängte Schluss des Markusevangeliums (Mk 16,9-20 EU) versuchte – wahrscheinlich bei der beginnenden Kanonisierung des Neuen Testaments (um 180) -, die verschiedenen Erscheinungsberichte in eine harmonische Abfolge zu bringen. Er folgt Joh 20 und nennt Maria Magdala als erste Augenzeugin des Auferstandenen.

Aus den Unterschieden in den Ostertexten der Evangelien schließen NT-Historiker meist, dass Erscheinungen und Grabentdeckung ursprünglich unabhängig voneinander überliefert und dann auf verschiedene Weise kombiniert wurden, um das Jüngertreffen in Jerusalem zu erklären.

Missionarische Tätigkeit

Aus der Apostelgeschichte stammen fast alle Nachrichten vom nachösterlichen Wirken der zwölf Apostel. Danach soll Petrus sich mit ihnen in Jerusalem versteckt haben, bis ihn mit der anwesenden Menge zu Pfingsten die Kraft des Heiligen Geistes erfasste. Darauf habe er die erste öffentliche Predigt in Jerusalem gehalten. Sie legte Jesu Erscheinen als Gottes vorherbestimmte Erfüllung der Geistverheißung in Israels Heilsgeschichte aus und gipfelte in der Aussage (Apg 2,36 EU):

So wisse nun das ganze Haus Israel gewiss, dass Gott diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Christus gemacht hat!

Nach Lukas bekannten sich daraufhin noch am selben Tag 3.000 Menschen zum neuen Glauben. So sei dort die Urgemeinde der Christen entstanden, die nach Apg 2,5 EU Angehörige verschiedener Völker und Sprachen umfasste.

Petrus könnte deshalb einen solchen Erfolg unter seinen jüdischen Landsleuten gehabt haben, weil seine Missionspredigt sie zwar für Jesu Kreuzigung haftbar machte, aber nicht verurteilte, sondern ihnen Gottes Versöhnung zusagte und anbot (Apg 3,17 EU). Er geriet jedoch bald in Konflikt mit den Jerusalemer Behörden und musste sich vor dem Hohen Rat verantworten (Apg 4,8ff EU; Apg 5,29 EU). Dabei soll er seinen Glauben diesmal nicht verleugnet, sondern freimütig bekannt haben.

Nach der Verfolgung der Urgemeinde im Anschluss an die Hinrichtung des Stephanus missionierten einige Apostel, darunter Petrus, offenbar auch außerhalb Jerusalems. Laut Apg 8,14-25 EU kam er dabei auch nach Samaria, um bereits Neugetauften den Heiligen Geist zu spenden. Dies unterstreicht seine Autorität über die Urgemeinde hinaus. Er war wohl anfangs der Hauptvertreter der Israelmission, die der universalen Völkermission vorausgehen sollte (Gal 2,8 EU; Mt 10,5 EU; vgl. Lk 24,47 EU). Nach Apg 10 EU predigte er erstmals auch Nichtjuden das Evangelium.

Von Petrus werden auch Spontanheilungen und sogar Totenerweckungen analog zu denen Jesu berichtet, etwa in Lydda und Joppe (Apg 9,32-43 EU). Damit wird die Kontinuität zwischen dem Heilwirken Jesu und dem der Urchristen betont, das zu ihrem Auftrag gehörte (Mk 16,15-20 EU; Mt 10,8 EU).

Wie er in seiner ersten Predigt Christus ganz als Erfüllung jüdischer Verheißungstraditionen verkündete, so hielt er auch an der jüdischen Tora inklusive der Speise- und Reinheitsgesetze fest (Apg 10,13f EU). Doch dann habe er nahe der Römerstadt Cäsarea Philippi eine Vision Gottes erhalten, der ihm die Tischgemeinschaft mit dem Hauptmann Kornelius, einem der „gottesfürchtigen“ Römer, befohlen habe. Damit begann nach lukanischer Darstellung die urchristliche Heidenmission.

Diese führte zu Konflikten mit den Judenchristen, die von Heiden die Beschneidung und Einhaltung jüdischer Gebote verlangten. Petrus habe sie mit Hinweis auf seine göttliche Autorisierung überwunden (Apg 11,17 EU):

Wenn nun Gott ihnen die gleiche Gabe gegeben hat wie auch uns, die da gläubig geworden sind an den Herrn Jesus Christus: Wer wäre ich, dass ich könnte Gott widerstehen?

Nach dem Ende der Regentschaft des Pontius Pilatus ließ der jüdische König Herodes Agrippa I. (41-44) die Urgemeinde in Jerusalem verfolgen und den Apostel Jakobus den Älteren enthaupten. Auch Petrus wurde verhaftet und zwischen zwei Kriegsknechten in eine Gefängniszelle geworfen und an Ketten gelegt. Doch laut Apg 12,1-19 EU verhalf ihm ein Engel auf wunderbare Weise zur Freiheit. Er ließ dies Jakobus und den übrigen Aposteln mitteilen und verließ Jerusalem, um seine Mission fortzusetzen.

Patristische Notizen des 3. Jahrhunderts (s.u.) deuteten diese Nachricht als Übergabe der Leitung der Urgemeinde an Jakobus. Dem widerspricht Paulus, der Petrus, Jakobus den Gerechten und Johannes beim Apostelkonzil (um 48) gemeinsam als „Säulen“ der Urgemeinde antraf (Gal 2,9 EU). Dort wurde über seine gesetzesfreie Heidenmission entschieden. Petrus sei dabei als deren Fürsprecher aufgetreten (Apg 15,7-11 EU). So betont Lukas den Einklang zwischen beiden in dieser Frage.

Paulus bestätigt Angaben wie Apg 9,32 EU, wonach Petrus als Vertreter der Urgemeinde neue Gemeinden, darunter auch Antiochia, besuchte und mit den Heidenchristen dort die Tischgemeinschaft pflegte: Das bedeutet, dass er die Heidenmission anerkannte. Dann aber hätten Anhänger des Jakobus aus Jerusalem dies kritisiert (vgl. Apg 11,3 EU). Daraufhin sei Petrus vor ihnen zurückgewichen und habe die Tischgemeinschaft mit den Heiden beendet. Deshalb habe er, Paulus, ihn öffentlich für seine Inkonsequenz gerügt und an den beim Apostelkonzil erreichten Konsens erinnert, wonach den getauften Heidenchristen die Einhaltung der Tora ganz erlassen worden sei (Gal 2,11-14 EU).

Paulus zeichnet also ein anderes Bild von Petrus als Lukas. Er sah ihn als Vertreter des „Evangeliums an die Juden“ an, der den Heidenchristen bis zum Apostelbeschluss zur gesetzesfreien Heidenmission bestimmte Toragebote auferlegte. Als er danach zur Befreiung nichtjüdischer Christen von den Speisevorschriften hätte stehen müssen, wurde er unter dem Druck strengerer Judenchristen wieder schwankend. Diese Angaben aus dem Galaterbrief werden meist als Hinweis auf nach dem Apostelkonzil fortbestehende Spannungen gesehen, die die spätere lukanische Darstellung zu beschönigen versucht habe.

Notizen zum Ende

Darstellung der Kreuzigungslegende Petri aus dem 15. Jhd., Ausschnitt eines Freskos von Filippino Lippi

Darstellung der Kreuzigungslegende Petri aus dem 15. Jhd., Ausschnitt eines Freskos von Filippino Lippi

Das NT erwähnt weder eine Romreise des Petrus noch seinen Tod. Zwar wird in der synoptischen Tradition allen Jüngern Jesu Verfolgung und Tod vorhergesagt (u.a. Mk 10,39 EU; Mk 13,12 EU); aber nur ein Redaktor des Johannesevangeliums lässt Jesus dem Petrus dessen Hinrichtung ankündigen, ohne deren Ort und Umstände zu nennen (Joh 21,18f EU).

Wäre Petrus nach dem Apostelkonzil nach Rom gereist, so argumentieren viele Historiker, hätte sich dies an vielen Stellen des NT niedergeschlagen: vor allem im Römerbrief des Paulus (um 56-60), der Christen in Rom namentlich grüßt und bereits auf dortige Verfolgung hinweist, sowie in der Apostelgeschichte. Diese, so entgegnen andere, sei als periodisierende Missionsgeschichte nicht an lückenloser Chronologie interessiert. Doch sie stelle den Übergang von der Judenmission des Petrus und der Jerusalemer Apostel zur Heidenmission des Paulus dar und berichte am Ende über dessen ungehinderte Missionstätigkeit in Rom (Apg 28,17-31 EU): Wäre er Petrus dort begegnet, hätte der Autor dies sicher vermerkt.

Zudem, so etwa Hans Conzelmann (Geschichte des Urchristentums S. 136), setze das Petrusbekenntnis nach Mt 16,16-19 EU eine Gemeinde in Syrien oder Kleinasien voraus, die von Petrus gegründet wurde und schon auf seinen Tod zurückblickt. Denn hier werden die „Pforten der Unterwelt“, die sich laut Jes 38,10 EU hinter jedem Sterblichen („Fleisch und Blut“) schließen, in den Gegensatz zur Auferstehung der Christusbekenner und Fortdauer ihrer Gemeinschaft über den Tod des Einzelnen hinaus gestellt. Dennoch schließt Conzelmann einen Romaufenthalt des Petrus nicht aus, da vielleicht schon der 1. Petrusbrief mit dem Hinweis auf „Babylon“ indirekt davon ausgehe.

Petrus zugeschriebene Schriften

Petrusbriefe

Das Neue Testament enthält unter dem Namen des Petrus zwei Briefe:

Einige Exegeten deuten den „Gruß aus Babylon“ in 1_Petr 5,13 EU als versteckten Hinweis auf Rom. Denn Babylon ist in der Bibel häufig Metapher für eine besonders verdorbene, sündige Weltstadt: So identifiziert auch die Offenbarung des Johannes „die Hure Babel“ mit Rom. Dort könnte der Brief demnach abgefasst worden sein.

Wird Petrus als Autor angenommen, dann wäre der Brief um 65 entstanden. Meist wird der Brief aufgrund inhaltlicher und sprachlicher Indizien jedoch auf den Zeitraum um 100 datiert, als es bereits Christenverfolgungen im Römischen Reich gab. Darauf weisen die in Kapitel 4,12-16 angesprochenen Motive der Märtyrertheologie, z.B. das „Leiden mit Christus“ und das „Geschmäht werden für den Namen Christi“ hin.

Andere, darunter die Zeugen Jehovas, verstehen den Gruß aus Babylon wörtlich und nehmen an, dass Petrus tatsächlich dort missionierte, da er auch sonst jüdische Diasporagemeinden wie Antiochia bereiste. Ob Babylon damals überhaupt noch existierte, ist unbekannt.

Der Brief autorisiert kurz vor dem Tod des Autors als sein „Testament“ die Lehren des Paulus (2_Petr 1,14 EU; 2_Petr 3,15 EU). Heute wird er meist auf 100-130 datiert. Die Aufnahme in den Kanon des NT war wegen ungewisser Autorschaft des Petrus umstritten.

Markusevangelium

Die Kirchenväter bringen Petrus auch in Verbindung mit dem Markusevangelium. Papias von Hierapolis führt das Buch auf Johannes Markus zurück, der im Neuen Testament zuerst in Jerusalem (Apg 12 EU), dann im Umkreis von Barnabas und Paulus (Apg 15 EU; Kol 4,10 EU; 2_Tim 4,11 EU; Phlm 1,24 EU) erscheint. Nur in 1_Petr 5,13 EU erscheint er als Begleiter des Petrus. Papias zufolge diente Markus dem Petrus als Dolmetscher in Rom und verfasste aufgrund von dessen Reden sein Evangelium am gleichen Ort. Daher galt Petrus traditionell als „Koautor“ dieses Evangeliums.

Die Gleichsetzung von Johannes Markus mit dem Autor des ältesten Evangeliums und seine Bekanntschaft mit Petrus sind außer diesen Notizen nirgends belegt und gelten Christentumshistorikern heute meist als patristische Konstruktion. Der Autor des Markusevangelium wird eher dem hellenistischen Urchristentum zugerechnet, während Petrus nach den als zuverlässig geltenden Notizen der Paulusbriefe eher eine Position vertrat, die den „Judaisten“ nahestand (Gal 1,12-14).

Didache und Apokryphen

Die Didache, ein um 100 entstandener frühchristlicher Katechismus, wird in einer Handschrift als „Zeugnis des Petrus“ bezeichnet. Sie könnte inhaltlich von der von Petrus dominierten Theologie der Urgemeinde abhängig sein. Denn sie besteht hauptsächlich aus einer von Christen umgeformten jüdischen Morallehre, die auf judenchristliche Traditionen Judäas zurückgeht.

Hinzu kommen einige Apokryphen, die von der frühen Kirche aus theologischen Gründen nicht in den Kanon aufgenommen wurden oder verschollen sind:

Kirchenväter

Die wenigen antiken Informationen zum späteren Schicksal des Petrus stammen alle aus Schriften des 2. bis 4. Jahrhunderts, als die frühe Kirche den monarchischen Episkopat entwickelte und sich von Häresien abgrenzte. Entscheidende Schritte dazu waren die Kanonisierung des Neuen Testaments und die Idee der Apostolischen Sukzession.

Romaufenthalt und Märtyrertod

Zwei Randbemerkungen von zwei Kirchenvätern gelten als Indizien dafür, dass Petrus gegen Ende seines Lebens nach Rom gekommen sein und dort zwischen 64 und 67 den Tod als christlicher Märtyrer gefunden haben könnte.

Der 1. Clemensbrief, der wahrscheinlich in oder bald nach der Regierungszeit Domitians zwischen 90 und 100 in Rom verfasst wurde, stellt in Kapitel 5 und 6 das vorbildliche Leiden des Petrus und Paulus heraus, dem viele Christen gefolgt seien:

Wegen Eifersucht und Neid sind die größten und gerechtesten Säulen verfolgt worden und haben bis zum Tode gekämpft. […] Petrus, der wegen ungerechtfertigter Eifersucht nicht eine und nicht zwei, sondern viele Mühen erduldet hat und der so – nachdem er Zeugnis abgelegt hatte – ist gelangt an den (ihm) gebührenden Ort der Herrlichkeit.

Dies wird als Hinweis auf ein Martyrium der Apostel gedeutet. Dessen Ort und Umstände werden nicht erwähnt. Da die Notiz als Rückblick des Bischofs Clemens von Rom erscheint und es vor Domitian keine größeren Christenverfolungen gab, könnte sie sich auf die kurze Christenverfolgung unter Nero im Jahr 65 beziehen.

Ignatius von Antiochien schrieb in seinem Brief an die Römische Gemeinde (um 110):[3]

Nicht wie Petrus und Paulus befehle ich euch. […][4]

Auch dies weist auf eine bereits etablierte Tradition vom Märtyrertod der Beiden in Rom hin. Notizen, die dieser widersprechen, gibt es laut Hans Küng nicht.

Laut Eusebius von Caesarea (Anf. 4. Jhd.) soll der Bischof Dionysius von Korinth (ca. 165-175) über Petrus und Paulus gesagt haben:

Und sie lehrten gemeinsam auf gleiche Weise in Italien und erlitten zur gleichen Zeit den Märtyrertod.

Diese Notizen legen nahe, dass in der Kirche ab etwa 150 der beispielhafte Märtyrertod von Petrus und Paulus in Rom zur Zeit Neros angenommen wurde. Sie wären dann gemeinsam mit anderen Christen hingerichtet worden, Paulus als römischer Bürger durch das Schwert, Petrus als Jude durch Kreuzigung wie es bei ausbleibender Fürsprache von Angehörigen für Peregrine (also Reichsangehörige ohne Bürgerrecht) üblich war. Der Legende nach wurde Petrus mit dem Kopf nach unten gekreuzigt (Petruskreuz).

Eusebius folgerte daraus (2, XXV.):

Es ist daher aufgezeichnet, dass Paulus in Rom selbst enthauptet wurde und dass Petrus ebenso unter Nero gekreuzigt wurde. Dieser Bericht über Petrus und Paulus wird gestützt durch die Tatsache, dass ihre Namen in den Grabstätten bis zum heutigen Tag bewahrt wurden. Es ist ebenso durch Gaius bestätigt, ein Mitglied der Kirche unter Bischof Zephyrinus von Rom [199-217], … der über die Orte, wo die heiligen Leichname der Apostel liegen, sagt: Aber ich kann die Trophäen der Apostel zeigen. Denn wenn du zum Vatikan [-hügel] oder zur Via Ostia gehst, wirst du die Trophäen derer finden, die diese Kirche gründeten.

Hier zeigt sich ein grundlegender Wandel im Verständnis des Apostolats: Aus der akuten Naherwartung des Reiches Gottes aufgrund der Ostererscheinungen Jesu wurde die apostolische Sukzession, die aus dem Besitz leiblicher Reliquien der Apostel einen ewigen Bestand der Kirche ableitete.

Archäologie

Kaiser Konstantin der Große begann nach 324 auf dem vatikanischen Hügel den Bau der Petersbasilika. Sie wurde als Grabkirche über der Stelle errichtet, die spätestens seit 200 als Petrusgrab – genannt Tropaion des Apostels, so der christliche Römer Gaius – verehrt wurde.

Archäologische Grabungen der 1940er Jahre ergaben, dass der bauliche Kern des Grabes darunter aus einem um das Jahr 160 errichteten kleinen Grabmonument besteht, unter dem ein schlichtes Erdgrab aus dem späten 1. Jahrhundert lag. Während die Frage nach der Identität der dort gefundenen Gebeine offen bleibt, gilt die seit etwa 70 n. Chr. erfolgte ungewöhnliche und dichte Anordnung christlicher Erdgräber rings um dieses Zentralgrab als Hinweis auf den Beginn einer Verehrung als Petrusgrab.

Diese Verehrung bestätigen Grabinschriften aus der Zeit um 300. Die Reste des Grabmonuments sind heute hinter dem Christusmosaik der Pallien-Nische in der Confessio verborgen, über der sich der Papstaltar des Petersdoms befindet.

Petrus als Bischof

Kreuzigung des Petrus von Caravaggio

Kreuzigung des Petrus von Caravaggio

Die späteren Patriarchate von Alexandria, Antiochia und Rom, später auch Jerusalem und Konstantinopel, führten ihre Gründung direkt oder indirekt auf den Apostel Petrus zurück und beanspruchten ihn als ersten Bischof ihrer Gemeinde. Da es allgemein üblich war, den Rang der eigenen Gemeinde durch die Inanspruchnahme eines apostolischen Gründers zu erhöhen, werden die meisten dieser Nachrichten von Historikern bezweifelt.

Nach Apg 1,2ff EU entstand die Urgemeinde durch das Wirken des Heiligen Geistes, der Jesu Auferstehung allen Jüngern offenbarte, die sie dann gemeinsam den Jerusalemern verkündeten. Petrus hatte dabei die Vorreiterrolle (Apg 2,41 EU). Wegen seiner Hervorhebung im Zwölferkreis und seines Auftretens als erster Verkünder der Auferstehung Jesu (Apg 2 EU) wird er als Gründer und einer der Leiter der Jerusalemer Urgemeinde angesehen. Dass er darüber hinaus weitere Gemeinden gegründet und geleitet hätte, berichtet das NT jedoch nicht.

Nach Apg 11,20 EU wurde die Gemeinde in Antiochia nicht von ihm, sondern von hellenistischen Anhängern des Stephanus gegründet, die nach dessen Martyrium nach Syrien versprengt worden waren. Die Gemeinde bestand wohl überwiegend aus Heidenchristen und wurde so erstmals als eigene, vom Judentum verschiedene Gruppe wahrnehmbar. Eventuell erhielt sie deshalb von dortigen Griechen oder Römern den Namen „Christiani“ (Apg 11,26 EU).

Das von Paulus geschilderte Zurückweichen des Petrus vor denen, die die gesetzesfreie Heidenmission auch nach dem Apostelkonzil ablehnten, spräche eher dagegen, dass er in Antiochien ein Führungsamt innehatte. Davon unabhängig wurde er dort in späterer Zeit als Bischof verehrt.

Irenäus von Lyon (ca. 135 – 202) berichtet, die Apostel hätten die Kirche in der ganzen Welt „gegründet und festgesetzt“ [5]. Um diese Zeit kam die Ansicht auf, dass Petrus auch die Kirche in Rom als Bischof geleitet habe. Sie baut auf der etwas älteren Tradition seines Romaufenthalts auf. Sie trifft jedoch historisch nicht zu, da Petrus noch in Jerusalem wirkte, als Paulus nach Apg 18,1 EU in Korinth Christen aus Rom traf (um 50). Daher nimmt man an, dass dort bereits eine von keinem der beiden gegründete Gemeinde bestand.

Eusebius zitiert in seiner Kirchengeschichte (2,I.) Clemens von Alexandria (150-215):

Denn sie sagen, dass Petrus und Jakobus und Johannes nach der Himmelfahrt unseres Erlösers, obwohl sie von unserem Herrn bevorzugt waren, nicht nach Ehre strebten, sondern Jakobus den Gerechten zum Bischof von Jerusalem wählten.

Demnach sollen die drei „Säulen“ der Urgemeinde (Gal 2,9 EU) Jakobus den Gerechten schon früh zum alleinigen Leiter der Urgemeinde ernannt haben. Nach Hieronymus (348-420) soll schon Hegesippus (90-180) davon gewusst haben. Diese Amtsübergabe hätte die Romreise des Petrus ermöglicht.

Doch wie die Nachwahl des Matthias (Apg 1,26 EU) zeigt, sollte der Zwölferkreis anfangs als gemeinsames Leitungsorgan erhalten bleiben. Nicht Apostel, sondern die Vollversammlung aller Mitglieder der Urgemeinde wählte laut Apg 6,5 EU und Apg 15,22 EU neue Führungspersonen. In den synoptischen Texten vom Rangstreit der Jünger (u.a. Mk 10,35-45 EU) wird ein Führungsprivileg für Einzelne – hier die Zebedaiden Jakobus und Johannes, zwei der im NT hervorgehobenen Lieblingsjünger Jesu – ausdrücklich abgelehnt und der Wunsch danach scharf kritisiert.

Eine spätere Leitung des Jakobus lässt sich aus Apg 21,15ff EU folgern, wo er mit den „Ältesten“ zusammen auftrat. Das Testimonium Flavianum überliefert, dass er – offenbar als Leiter der Urgemeinde – im Jahr 62 vom Hohen Rat gesteinigt wurde. Seine Enkel sollen nach Zitaten Hegesipps bei Eusebius unter Domitian verhaftet worden sein: Dann hatten sie noch zwei Generationen später eine Führungsrolle im Christentum.

Viele Historiker folgern daraus, dass erst im 2. Jahrhundert ein teilweise dynastisches Bischofsamt entstand, das dann nachträglich auf die apostolische Autorität zurückgeführt wurde. Die um 100 entstandenen Ignatiusbriefe wissen noch nichts von einem solchen Amt. Es war den ersten Christengenerationen unbekannt und in ihrem Selbstverständnis nicht vorgesehen: Alle Christen waren gemäß Jesu Gebot des gemeinsamen Dienens ohne Rangordnung gleichermaßen die „Heiligen“ (Röm 15,25 EU). Zwar hatten die Apostel als Zeugen der Ostererscheinungen Jesu die unumstrittene Autorität; aber der monarchische Episkopat lässt sich schwerlich direkt daraus ableiten. Jedoch hält die katholische Kirche an der Tradition fest und geht weiterhin von Petrus als erstem römischen Bischof aus.

Im späten 4. Jahrhundert, als sich der monarchische Episkopat allgemein durchgesetzt hatte und der römische Bischof zunehmend eine Sonderrolle beanspruchte, erwähnt Hieronymus eine römische Amtszeit des Petrus von 25 Jahren: Das setzt einen Romaufenthalt des Petrus vom Jahr 40 an voraus. Dem widerspricht allerdings Apg 15,7 EU, wonach Petrus mindestens bis 48 einer der Leiter der Jerusalemer Urgemeinde war.

Bedeutung 

„Simon Petrus als Papst“ (Peter Paul Rubens)

„Simon Petrus als Papst“ (Peter Paul Rubens)

in der katholischen Theologie

Die katholische Tradition betrachtet Petrus als ersten Vorsteher (Papst) der ecclesia catholica, das heißt, einer „universalen Kirche“. Sie leitet daraus das Amt des Papstes und den Führungsanspruch des Heiligen Stuhls für die Gesamtkirche ab. Diese Autorität des Petrus begründet sie vor allem mit Jesu Zusage nach Mt 16,18f EU:

Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.
Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein.

Die Patristik, u.a. Augustin von Hippo, hatte den Ausdruck petra noch nicht auf Simon Petrus, sondern auf Christus bezogen.

Weitere Stellen, mit denen ein besonderes Petrusamt begründet wird, sind:

Joh 21,15ff EU: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese? Er antwortete ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe. Jesus sagte zu ihm: Weide meine Lämmer! Zum zweitenmal […]. Zum drittenmal fragte er ihn: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? […] Er gab ihm zur Antwort: Herr, du weißt alles, du weißt, dass ich dich liebhabe. Jesus sagte zu ihm: Weide meine Schafe!

Lk 22,31f EU: Simon, Simon, der Satan hat verlangt, dass er euch wie Weizen sieben darf. Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder.

Nach römisch-katholischer Auffassung ist der Papst als Bischof von Rom demnach ein Nachfolger Petri. Linus wäre dann sein unmittelbarer Nachfolger gewesen. Die besondere Vollmacht des Petrus als Stellvertreter Christi auf Er

[Bearbeiten]

Die protestantischen und anglikanischen Kirchen lehnen seit der Reformation wie zuvor bereits die orthodoxe Kirche seit dem frühen Mittelalter die römisch-katholische Lehre eines „Petrusamtes“ und damit den Anspruch der römischen Kirche auf die Führung der Christenheit ab.

Petrus ist auch nach evangelischem Verständnis ein besonderer Jünger Jesu, aber nur als Ur- und Vorbild aller gläubigen Menschen, die trotz ihres Bekenntnisses zu Christus immer wieder versagen und trotz ihres Versagens von Gott die Zusage der gegenwärtigen Vergebung und zukünftigen Erlösung erhalten. Auch der Glaube ist nach evangelischem Verständnis keine Eigenleistung des Petrus, sondern reines Gnadengeschenk der stellvertretenden Fürbitte Jesu, des Gekreuzigten (Lk 22,31 EUff):

Simon, Simon, siehe, der Satan hat euer begehrt, dass er euch möchte sichten wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dich einst bekehrst, so stärke deine Brüder.

Dieses Gebet Jesu sei, so eine verbreitete evangelische Exegese, mit der Versöhnung des auferstandenen Jesus mit seinen Jüngern und der dadurch bewirkten Neukonstituierung des Jüngerkreises nach Ostern in Erfüllung gegangen. Die Kirche basiere daher nicht auf einer historischen Amtsnachfolge einzelner Petrusnachfolger. Sondern alle, die wie Petrus zu Jüngern Jesu werden, seien seine Nachfolger und damit Teil der Gemeinschaft, die Christus berufen habe, seine Zeugen zu sein. Gott sei in Christus allen Menschen gleich nahe („Äquidistanz“), so dass außer Christus keine weiteren Mittler nötig und möglich seien. Dieses „Priestertum aller Gläubigen“ verbot für Martin Luther jeden Rückfall in das seit dem stellvertretenden Sühnopfer des Gekreuzigten überwundene hierarchisch-sakrale, aus dem Tempelkult des Judentums stammende Amtsverständnis.

Eine Sondervollmacht Petri lasse sich aus dem NT nicht herleiten: Die „Schlüsselgewalt“ zum Binden und Lösen der Sünden werde nach Mt 18,18 EU und Joh 20,21ff EU allen Jüngern gegeben. Besonders das Matthäusevangelium lasse keinen Zweifel daran, dass die christliche Gemeinde nur auf dem Glaubensgehorsam aller ihrer Mitglieder erbaut sein könne. Denn dort wird die Bergpredigt Jesu mit dem Zuspruch eröffnet (Mt 5,14 EU):

Ihr seid das Licht der Welt!

Sie endet mit dem Anspruch (Mt 7,24 EU):

Darum, wer diese meine Rede hört und tut, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf den Felsen (petra) baute.

Demgemäß habe Petrus auch keine eigene Erstvision, sondern mit allen Jüngern gemeinsam den Auftrag des Auferstandenen erhalten, alle Getauften aus den Völkern das Befolgen der Gebote Jesu zu lehren: Die damit verbundene Zusage der Geistesgegenwart Christi sei der eigentliche „Fels“, auf dem die Kirche gebaut sei (Mt 28,19f EU). Das Wirken des Heiligen Geistes lasse sich nicht erneut in menschliche Formen und Rituale zwängen und „festnageln“.

Darum bezweifelten protestantische Historiker oft nicht nur das Bischofsamt, sondern schon den Romaufenthalt des Petrus. Heute schließen sie diese Möglichkeit nicht aus, ohne deswegen das Papsttum anzuerkennen. Denn auch eine mögliche „Amtsübergabe“ des Petrus an seinen Nachfolger in Rom begründe keine Vorrangstellung des römischen Bischofs für alle Zeit.

Martin Luther und andere Reformatoren haben den Doppelanspruch des Papsttums, den die beiden Schlüssel darstellen, vehement abgelehnt und die Berufung auf Mt 16,19 dazu bestritten: so z.B. Luther in Vom dem Papsttum zu Rom (1520) und später oft wiederholt.

Verehrung

Der Petersdom in Rom

Der Petersdom in Rom

Grabmal mit Palliennische unterhalb des Papstaltares im Petersdom, in dem  kath. Gläubige die Gebeine des Petrus vermuten

Grabmal mit Palliennische unterhalb des Papstaltares im Petersdom, in dem kath. Gläubige die Gebeine des Petrus vermuten

Der Gedenktag von Petrus und Paulus ist der 29. Juni. Ihnen zu Ehren ist in der Orthodoxen Kirche ein leichtes Fasten, das so genannte Apostelfasten, von drei Tagen (26. Juni) bis zu diesem Tag üblich.

Petrus ist einer der wichtigsten katholischen Heiligen und gilt als Schutzpatron

Katholische Gläubige rufen Petrus als Heiligen an gegen Besessenheit, Fallsucht, Tollwut, Fieber, Schlangenbiss, Fußleiden und Diebstahl.

Im Volksglauben wird er auch für das Wetter, insbesondere das Regenwetter verantwortlich gemacht, weil er die Schlüssel zum Himmel hat. Mit diesen Schlüsseln wird er auch als Wächter einer real vorgestellten Himmelstür angesehen, der die anklopfenden Seelen der Verstorbenen abweist oder einlässt. Diese Vorstellung ist als Motiv zahlreicher Witze stark trivialisiert und banalisiert worden.

Weltweit sind wie der Petersdom im Vatikan zahlreiche Orte und Kirchen nach Petrus benannt.

Petrus in der Kunst

In der Kunst wird Petrus gewöhnlich als alter Mann mit lockigem Haar und Bart mit den Gegenständen Schlüssel, Schiff, Buch, Hahn oder umgedrehtem Kreuz dargestellt. Besonders der oder die Schlüssel sind sein Hauptattribut. In mittelalterlichen Bilddarstellungen bis zur späten Gotik trägt Petrus meist zwei verschiedenfarbige Exemplare. In Anspielung auf Mt 16,19 soll der Erdenschlüssel Macht über die Erde, irdische Gewalt, der Himmelsschlüssel den Einlass ins Himmelreich, die geistliche Gewalt, symbolisieren.

Die Petruslegenden wurden im Katholizismus zur Glaubensüberzeugung und dienten immer wieder als Thema künstlerischer Werke. Bekannt geworden ist etwa die Verfilmung „Quo vadis?“ von 1951, die auf dem gleichnamigen Roman von 1895 beruht.

Einzelbelege

  1. Fritz Rienecker: Sprachlicher Schlüssel zum Griechischen Neuen Testament, Gießen 1970, S. 43
  2. Gerd Teißen, Anette Merz: Der Historische Jesus, Göttingen 2005, S. 160f
  3. Hans Küng: Das Christentum, S.115
  4. Ignatios von Antiochien, An die Römer 4.3
  5. Adversus Haereses III

Siehe auch

Literatur

  • Rudolf Pesch: Simon-Petrus. Geschichte und geschichtliche Bedeutung des ersten Jüngers Jesu Christi Hiersemann, Stuttgart 1980. ISBN 3-7772-8012-7
  • Christfried Böttrich: Petrus. Fischer, Fels und Funktionär. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2001. ISBN 3374018491 (populärwiss., seriös)
  • Michael Hesemann: Der erste Papst. Archäologen auf der Spur des historischen Petrus. Pattloch, München 2003. ISBN 3-629-01665-0
  • Engelbert Kirschbaum: Die Gräber der Apostelfürsten St. Peter und St. Paul in Rom, St. Benno-Verlag, Leipzig 1974 / Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 1974 (Über die Ausgrabungen unter der Confessio von St. Peter, 3. Auflage m. Nachtragskapitel von Ernst Dassmann)
  • Wilhelm Lang: Die Petrus-Sage. Reinwaschungen und Legendenbildungen des frühen Judentums und Christentums, Nachdruck, Wissenschaftlicher Verlag, Schutterwald/Baden 1998. ISBN 978-3-928640-40-4 (aus protestantischer Sicht)
  • Petrus – Der Apostel mit dem voreiligen Mundwerk. in: John F. MacArthur: Zwölf ganz normale Menschen. Christliche Literatur-Verbreitung, Bielefeld ²2005, S. 43-75. ISBN 3-89397-959-X (PDF-Download, geschrieben aus evangelikaler Sicht)
  • Katja Wolff: Der erste Christ. WFB-Verlag. ISBN 978-3-930730-03-2

Weblinks

Commons

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Bibliografische Angaben für „Simon Petrus


Freitag, 22 Februar 2008 Posted by | 2008-02-22 | , , , , , | 1 Kommentar

Bauernregel Donnerstag 21. Februar 2008

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Felix Dahn

Einer Freundin

Wir schenken Dir, Du tief geliebte Freundin,
Zum fünfzigsten Geburtstag diese Bilder:
Die Deinen von dem Ahn zur Enkelin
Die Aeltern und die Schwester und den Gatten,
Das Kind, den Eidam und der Tochter Kind:
Die Aussat und die Aerndte Deines Lebens.
S’ist wenig, – scheint’s – und doch unendlich viel.
Vier Menschenalter, noch vergnügt und glücklich,
Kein Mißklang, wie er schrillt durch andre Häuser,
Vom Glück gesättigt – beinah‘ – jedes Leben,
Bis es im hohen Alter sanft vom Stamm fällt.
Und in Dir selbst im weißen Har die Vollkraft
Des Frauenthums an Leib und Seele freudig:
– Ach, jünger als so viele, welche niemals
Jung waren! – und im Herzen sprudelnd stark
Der Born, der Deines Wesens Wurzeln frisch hält,
Der Born mit dem melodischen Gesange,
Der Dir seit mehr als dreißig Jahren quillt:
Der Melusinen-Born der Poesie.

Und wenn Du diese Bilder musterst: – keines,
Das nicht ein Zeuge wäre Deiner Liebe
Und Zeuge auch der Dir geschenkten Liebe:
Denn reichlich, wie Du gabst, ward Dir gespendet,
Und ein Magnet der Liebe ward Dein Herz.

Wir Beiden aber, Felix und Therese,
Wir danken Dir doch mehr noch als sie Alle:
Denn Deine Freundschaft war in schwerster Zeit
– Nach unsrer eignen Kraft – der stärkste Stab.

Wir danken Dir: und wenn die Abendsonne
So hell, so schön, so leuchtend und so warm
Wie andern Frauen nicht, Dir scheint in’s Leben,
Wenn noch Dein kommend Alter Glanz verklärt,
Wie im geliebten Partenkirchen Dir
Die Sonne noch die letzten Strahlen schickt,
Denk‘ unser freudig dann und flüst’re still:
»Das ist der Dank von Felix und Therese.«

Quellenangabe
Name Wert
type poem
booktitle Gedichte
author Felix (und Therese) Dahn
year 1892
publisher Breitkopf & Haertel
address Leipzig
title Gedichte
pages III-XII
created 20050922
sender gerd.bouillon
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Karl Gutzkow

Abwehr einer Verleumdung

(1850)

In N°. 43 dieser Zeitung sagt ein Anonymus, dem die Redaktion sogar die Ehre erweist, seine bösen Verdächtigungen in den Großdruck des politischen Textes aufzunehmen, der Unterzeichnete könnte schon deshalb als »technischer Direktor« des K. Hoftheaters nicht berufen werden, weil – ihm etwa die nötigen dramaturgischen Kenntnisse mangelten? Nein. Oder weil von ihm bekannt wäre, daß er zwar kein republikanischer, aber doch sonst ein gar schlimmer und bedenklicher Autor wäre? Auch das nicht! Nun, warum denn sonst nicht? Er hat etwas viel, viel Ärgeres begangen. Er wäre im Jahre 1848 von Dresden ganz besonders zu den »Märzereignissen« herübergekommen. Zwar setzt der wohlwollende »Zuschauer« schüchtern hinzu: »Wie es scheint.« Verzwicktes »wie es scheint«! Warum nicht sogleich dreister? Warum nicht sogleich geradezu gesagt, ich hätte Barrikaden befehligt?

Im Mai 1849 hab‘ ich in Dresden, wohin ich nicht erst zu reisen brauchte, wirklich eine Barrikade bauen sollen. Fünf Männer in Sensen hielten mir Steine entgegen und wollten mich zwingen, Hand anzulegen. Laßt mich! Ich bin kein Baumeister! mußt‘ ich ihnen sagen. Es half nichts: »die Sense sollte michs schon lehren!« Erst als ich etwas unsanft sagte: Leute, ich habe für die deutsche Einheit mehr mit dem Wort getan, als ich hier mit Steinen tun kann! ließ mich die damals souveräne Insurrektion meines Weges ziehen. Freilich! Warum saß ich nicht, wird mein »Zuschauer« fragen, auch hier versteckt in irgendeinem Keller? Warum war ich an jenem Märzsonntage 1848 vor dem Schlosse in Berlin und sah mir dies Wogen und Wüten einer ungebundenen Menschenmasse an? Der schlimme »Zuschauer« sagt, Herr Polizeipräsident v. Minutoli müßte darüber auch noch erst Bericht erstatten. Niemand kann im geschichtlichen Interesse mehr wünschen als ich, daß der freundliche und um den milderen Verlauf jener Tage vielfach verdiente Herr v. Minutoli seine damaligen Erlebnisse erzählte. Aber ich wünschte doch, Felix Lichnowski lebte noch und bestätigte mir’s, daß er mich aufforderte: »Freund, Sie müssen reden! Sie müssen! Ich lasse Sie nicht!« »Worüber?« »Über was Sie wollen! Ich bin heiser, ich kann nicht mehr! Nur reden, nur beruhigen! – Nun denn, sagt‘ ich, ich habe in jenem patriotischen, angeborenen, mark-brandenburgischen, vaterstädtischen Drange, von dem man damals noch nicht ahnte, daß man ihn später für revolutionären Fürwitz erklären könnte, das Wort des Königs: Kommt und ratet mir! so aufgefaßt, daß ich ihm einen Brief übergeben ließ, worin ich ihn bat, in die aufgelöste Ordnung irgendeinen, die Massen nur legal zusammenziehenden, die Gemüter zerstreuenden neuen Gedanken zu werfen, am liebsten den der Bürgerbewaffnung! »Sprechen Sie darüber! Sogleich! Hier! Heran! Ich lasse Sie nicht mehr fort!« Ich sprach, und die Massen, die zu allen Konzessionen, die sie kaum verstanden, noch etwas Neues, Handgreifliches, leicht Verständliches hinzuempfingen, zerstreuten sich. Es ist bekannt, daß der König denen gedankt hat, die an jenem Sonntagmorgen zum Schlosse hielten. Freilich, sehr exaltiert, sich ohne Portefeuille für einen Politiker zu halten! Sehr exaltiert, nicht wie jener Feigling im »reisenden Studenten« in den Mehlkasten zu springen und zu rufen: Brennt’s noch? Wer damals in den Mehlkasten sprang, der kam freilich für immer sehr weiß heraus.

Einige Tage gärte das, alle ergreifend, noch so fort. Und wenn mein »Zuschauer« sagt: Vor dem 18. März schon hätt‘ ich »Tätigkeit entwickelt«, so will ich ihm sagen, was ich vor und nach dem 18. März für »Tätigkeit entwickelte.« Am 6. kam ich mit Weib und Kind nach Berlin, um meinen Urlaub dort zu verleben. Von da bis zum 18. schrieb ich im Hotel de Russie mein Schauspiel: Ottfried. Und vom 22. März bis 22. April, also während der vollen Blüte der Revolution, saß ich am Krankenbette eines Kindes, am Sterbebette einer Frau. O Du leidiger »Zuschauer«! Ich beantworte Deine böse Anklage so ausführlich nicht wegen des »technischen Direktors« (der nicht mir, nur jener Anstalt fehlt), sondern deshalb, weil diese in Berlin eingerissene Enthüllungssprache, dies mystische: Der war gestern in der und der Straße! Man hat ihn da und dort mit dem und dem verkehren sehen usw. eine wahre Schmach unserer Zeit ist und an die trübsten Tage römischer Delatorenwirtschaft erinnert.

Wenn man von mir sagt, daß ich bei dem mir mannigfach eingeräumten Berufe, für die deutsche Schaubühne theoretisch und praktisch zu wirken und an jedem Hoftheater die ästhetische Initiative ergreifen zu können, doch immer noch so »taktlos« bin, in politischen Dingen mehr links als rechts zu stehen, so kann ich mich dagegen nicht verteidigen und werd‘ es nicht. Aber den Vorwurf, daß ich in meinem Leben je gewühlt, agitiert oder konspiriert hätte, weis‘ ich mit Verachtung zurück.

Dresden, 23. Februar 1850.

Quellenangabe

Name Wert
type fiction
booktitle Berlin – Panorama einer Weltstadt
author Karl Gutzkow
year 1995
publisher Morgenbuch Verlag
address Berlin
isbn 3-371-00380-9
title Berlin – Panorama einer Weltstadt
pages 257-258
sender gerd.bouillon@t-online.de
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Donnerstag, 21 Februar 2008 Posted by | 2008-02-21 | , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Bauernregel Mittwoch 20. Februar 2008

20080220.png

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Spitzt das Ohr und merkt euch still,
was die gute Sitte will!
Wer die schöne Form erfaßt,
ist ein gern gesehner Gast;
wer sich frech und plump beträgt,
wird ohne Besen hinausgefegt.

– 1 –

Ein Kind soll nicht vorher von Speisen naschen,
soll Mund und Hände sich sauber waschen,
sich erst setzen, wenn die andern sitzen,
das Mäulchen bei Tisch nicht zum Pfeifen spitzen,
nicht plappern, wenn große Leute sprechen,
das Brot nicht zerkrümeln, zerkneten, nur Bissen abbrechen

– 2 –

Rückt immer den Stuhl so dicht heran,
daß Löffel und Gabel zum Munde kann,
ohne das Tischtuch zu betrippen;
und schließt beim Kauen hübsch die Lippen!
Turnen beim Essen, das will nicht passen;
also die Ellbogen hübsch unten lassen!

– 3 –

Nicht gierig stopfen! langsam essen!
auch keinen Rest auf dem Teller vergessen!
Nicht wie Hunde oder Katzen
schlecken, schlürfen, schnaufen, schmatzen!
Nicht kichern und nicht heimlich fragen,
und immer schön bitte und danke sagen!

– 4 –

Seid ihr beim Essen und trinkt dazwischen,
sollt ihr zuvor die Lippen wischen.
Kartoffeln und Fisch mit Stahlmessern schneiden,
das wird ein Mensch, der Geschmack hat, vermeiden.
Brot nimmt man zuhilfe, wenn Fischmesser fehlen;
auch Obst soll man nicht mit Stahlklingen schälen.

– 5 –

Wer stochert in den Zähnen,
nicht unterdrückt das Gähnen,
das Messer in den Mund steckt,
Gabel und Teller ableckt,
zuviel packt auf den Löffel,
gilt als Flegel und Töffel.

Quellenangabe
Name Wert
type toc
booktitle Das liebe Nest
author Paula Dehmel
firstpub 1919
year 1919
publisher E. A. Seemann
address Leipzig
title Das liebe Nest
created 20041205
sender gerd.bouillon
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obstsalat62524.jpg

qay bei pixelio.de

Annette von Droste-Hülshoff

Briefe von Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking

Meersburg den 25sten Mai 1842.

Soeben habe ich Deinen guten, lieben Brief erhalten, mein altes Herz, und antworte auf der Stelle, obwohl ich Dir einige Tage später den Aufsatz fürs Deutschland hätte mitschicken können, der fast beendigt ist. Aber es geht hier jetzt so bunt zu, fast kein Tag ohne Besuch ( NB. zumeist Damen), wo meine Unterhaltung das Beste thun muß, da Jenny den ganzen Tag in der Erde kratzt, – daß man beim Aufstehen Morgens nie weiß, ob man nach der Dampfbootstunde noch zu einer einzigen Zeile kömmt, und es ist mir jetzt um Deinen klugen Rathschlag noch vor meiner Abreise zu thun. Der Buchhändlerbrief ist nämlich angekommen und war wirklich ein solcher, von der Compagnie Velhagen & Klasing, und bereits vom 5ten April datirt. Da er kurz ist, schreibe ich ihn ab, damit Du den Grad ihres guten Willens, in litterarischer und pecuniairer Hinsicht, selbst abmessen kannst. »Ew. Hochwohlg. vor einigen Jahren erschienene Gedichtsammlung erregte schon damals unsre höchste Aufmerksamkeit, und zwar nicht bloß als Product eines vaterländischen, sondern überhaupt sehr bedeutenden dichterischen Talentes; die Absicht, welche beim Lesen des Bändchens in uns aufstieg, der Verfasserin die Gefühle der Freude und des Danks für so viel Genuß auszusprechen, kam im Drange der Geschäfte nicht zur Ausführung, wurde aber jetzt beim Lesen Ihres Gedichts an die Weltverbesserer, welches im Morgenblatt so wie in der Cölnischen Zeitung stand, wieder angeregt. Sollten Sie, hochgeehrteste Dame, für fernere litterarische Productionen unsere Dienste als Verleger annehmen wollen, so würden wir uns dadurch geehrt fühlen. Vielleicht darf dieses Anerbieten mit einigem Rechte den Charakter der Uneigennützigkeit ansprechen, da Gedichtsammlungen wohl nur in den seltensten Fällen zu den gewinntragenden buchhändlerischen Unternehmen gezählt werden können. Hier mindestens ist das Motiv persönlicher Genugthuung dasjenige, welches uns geleitet hat. Genehmigen Sie, hochgeehrteste Dame, die Versicherung ausgezeichneter Hochachtung, mit der wir verharren Ew. Hochw. gehorsamste Velhagen & Klasing.« Was sagst Du dazu? Fürs Erste: Ist die Buchhandlung reell und von gehöriger Ausbreitung? Viel zahlen scheint sie nicht zu wollen, am Liebsten gar nichts. Und wie stehts eigentlich mit dem Cotta? Du mußt nach dem Gespräche mit ihm und Hauff dieses so ziemlich wissen oder mindestens ahnden, nämlich ob ihm meine bereits eingesandten Gedichte, nebst denen aus dem »Malerischen und romantischen«, »Cölner Dom«, »Musenalmanach«, – so gut gefallen haben, daß er, wenn das Ganze ihnen entspricht, wohl zur Annahme geneigt wäre, oder ob er umgekehrt hierauf noch nichts giebt und ganz andere Zeichen und Wunder erwartet, in welchem Falle man die Sache für abgemacht ansehn müßte, da Du selbst jene Gedichte ja als die besseren ausgelesen hast und ich auch wohl nie eine schönere Ballade machen werde als den Grafen von Thal, den Erzbischof Engelbert von Köln, den Geierpfiff und das Second Sight. Schreib mir doch, ich bitte, ganz offen hierüber; du weißt, dieses ist nicht meine Achillesferse.

Grade als ich den Bielefelder Brief bekommen, ließ sich ein Landsmann bei mir melden. Ich flog wie ein Pfeil hinüber und stand vor einem wildfremden Menschen, den ich um seinen Namen fragen mußte, zu seiner größten Verlegenheit, da er mir glaubte eine Karte geschickt zu haben, die aber Laßberg gebracht worden war. »Er sei Bernhard Meyer«, – nun wußte ich so viel wie zuvor, und er mußte mir wieder selbst erzählen, »daß er ein Litterat sei, Dichter, Recensent, Mitarbeiter an verschiedenen Blättern, und geglaubt habe, mir durchreisend seine Aufwartung machen zu müssen.« Was ist denn an dem Menschen? Hat er denn wirklich mit seinen zweiundzwanzig Jahren schon einen Ruf und ist im Stande, reife Schriftsteller zu beurtheilen? Dich hatte er auch flüchtig gesehn, bei einem münsterischen Pseudogenie, was unter dem Namen Achat schreibe, meine ich, oder gar beim Fraling, ich weiß selbst nicht mehr. Er schien mir unmäßig eitel, taktlos, auch habe ich ihn im Verdacht der Prahlerei; aber offen war er übrigens, und ein Gedicht auf Napoleon, was er uns vordeclamirte, wirklich hübsch, sofern man etwas durch einen begeisterten Vortrag Gehobenes richtig beurtheilen kann. Er kam aus Zürich, wo er sich sechs Monate aufgehalten, und ging nach Stuttgart, wo er vom Cotta die eben vacante Redaction eines Blattes zu erhalten hofft. Er schien des Erfolgs, falls die Stelle nicht grade jetzt vergeben, und jedenfalls einer Beschäftigung durch Cotta ziemlich gewiß zu sein, wie er überhaupt wie einer sprach, der durch seine bisherigen Erfolge über seine künftige pecuniaire Stellung völlig beruhigt ist. Am Telegraphen war er auch beschäftigt und machte sein nahes, wie er sagte vertrautes Verhältniß zu Gutzkow auf eine Weise geltend, die mich glauben machte, es sei sein einziges. Kurz, er ließ alle seine Künste vor mir spielen, vernachlässigte aber Laßberg dermaßen, daß dieser höchst pikirt sich in seine Fensterecke zum Schreiben krümelte, und ich nöthig fand, ihn – den Meyer – auf den »Herausgeber des Liedersaals« aufmerksam zu machen, wo er dann etwas höflicher und in Folge dessen zu Tisch geladen wurde. Er will nächstens eine Tragödie herausgeben, Julius Caesar, rein antirepublikanischer Tendenz, wo er den Brutus am Ende seine Irrthümer einsehen und die Portia bewundernd vor dem Caesar niederknieen läßt. Ich habe ihm gradezu gesagt, wie wenig Erfolg ich dieser crassen Neuerung prophezeie, und vermuthe, dieses wird mir noch mal eine schlechte Recension eintragen. Schon früher hatte ich ihm, da er mich um meine gegenwärtigen Arbeiten fragte, von meinen Unterhandlungen mit Cotta, so wie von dem Bielefelder Brief gesagt; von Velhagen und Klasing rieth er mir ohne Weiteres ab, nannte sie eine untergeordnete Firma, die sich fast nur mit Übersetzungen befasse und noch kein einziges bedeutendes Originalwerk gegeben habe; vom Cotta dagegen sprach er eben so windbeutelig in Beziehung auf mich wie auf sich selbst, nämlich, daß es mir gar nicht fehlen könne, daß Cotta sich glücklich schätzen müsse &c. Ich erwarte von Dir nun die eigentliche Wahrheit.

Gottlob, daß ich die litterarische Prosa dieses Briefes hinter mir habe und von etwas Anderem reden kann. Also krank bist Du gewesen, mein armes gutes Herz, und so verlassen und gelangweilt dazu! Es ist jetzt vorüber, aber ich werde die Angst, daß Du wieder krank werden könntest, nicht los werden, besonders wenn ich noch zweihundert Stunden weiter fort bin. Gott, was ist das Getrenntsein doch für eine harte Sache! Wäre ich dagewesen, Niemand hätte mich von Deinem Bette fortgebracht, und Dir wäre auch wohler gewesen, wenn Du Dein Mütterchen gesehen hättest. O ich kann wohl Kranke pflegen und bin dann gar nicht hülflos, sondern, ich darf es wohl sagen, recht entschlossen und ausdauernd, wie überhaupt in allen Fällen, wo es Noth thut; Du hast mich nur noch in keinem solchen gesehn. Und Deine schöne Wiener Reise ist Dir mit der Gelegenheit auch so lumpig verhunzt worden! Jenny und Laßberg, bei denen Du Dich durch Deinen schönen langen Brief wieder ganz weiß gewaschen hast, sind auch ganz betrübt darüber und trösten sich nur damit, daß Du die Tour wohl bald mal wieder unter besseren Umständen machen würdest. Beide haben Dich herzlich lieb, und Laßberg ergreift jede Gelegenheit von Dir zu sprechen, wäre es auch nur, um mich auf eine harmlose Weise ein wenig mit meinem »Seelenfreunde« zu necken.

Von meiner Abreise habe ich weiter nichts gehört, da die Wintgens gegenwärtig in Frankreich sind, zweifle aber nicht, daß sie, bei ihrer großen Pünktlichkeit, am festgesetzten Tage – den 15ten Juni –– wirklich wie Steine vom Himmel fallen und mich mit sich fortkollern werden. Dann bin ich wieder in Rüschhaus, und für die jetzigen Erinnerungen treten die alten ein, wo Du mein Schulte warst; – denkst Du noch an mein Kanapee mit den Harfen, – meine Bank unter den Eichen? von der ich so schwer Abschied genommen habe, als ob es mich geahndet hätte, daß ich Dir dort nie wieder mit meinem Fernrohr auflauern würde, wenn Du durch den Schlagbaum trabtest, Deinen Rock auf dem Stocke. Das Vergehen und nie so Wiederkommen ist etwas Schreckliches! Wenn Du wieder nach Rüschhaus kömmst, bin ich ein altes Madämchen, und auch Dir sind derweil hundert Dinge durch den Kopf gegangen, und meine dicke Milch und zusammen gespartes Obst werden Dir nicht halb so gut mehr schmecken..

Weißt Du schon, daß mein Onkel Werner Haxthausen [Fußnote] Graf Werner v. Haxthausen, geb. 1780, studierte in Münster und Prag die Rechte, in Göttingen und Halle orientalische Sprachen und Medizin. Er gehörte zu den Stiftern des Tugendbundes, mußte von Kassel über Schweden nach London flüchten, kehrte 1812 zurück, um an den Freiheitskriegen teilzunehmen, wurde Offizier und zuletzt Generaladjutant Wallmodens. Auf dem Wiener Kongresse verkehrte er mit Stein, dem Grafen Münster, Arndt und verlegte sich auf die Sammlung neugriechischer Volkslieder, der auch Goethe seine Teilnahme zuwandte. 1815 kam er als preußischer Regierungsrat nach Köln. Nach seinem Austritt aus dem Staatsdienste gab er sein Buch: »Über die Grundlagen unsrer Verfassung« heraus. Er starb 1842 auf seinem Gute Neuhaus in Franken.

gestorben ist? Am Schlagflusse; Mama wußte in ihrem letzten Briefe noch nichts davon, obwohl sie es der Zeit nach längst hätte wissen können, sondern schrieb nur: »Sie erwarte täglich ihre Schwester Zuidtwig, die plötzlich den charmanten Einfall bekommen, sie zu besuchen.« Ohne Zweifel ist diese abgesandt, ihr die Nachricht beizubringen, und ich bin recht unruhig. bis ich einen Brief von Hause habe. Mama ist apprehensiv, namentlich vor dem Schlage, an dem nun schon binnen einem Jahre der zweite ihrer Brüder stirbt; zudem hatte sie Wernern sehr lieb. Mir hat dieser Tod einen mehr ernsten als traurigen Eindruck gemacht. Werner hatte sich gänzlich überlebt und schlich umher als eine klägliche Ruine glänzender Fähigkeiten und zahlloser im Keime verdorrter Entwürfe. Gott, wenn ich bedenke, was der Mann Alles vorgehabt, und dagegen halte, was er wirklich geleistet und erstrebt hat! Vanitas vanitatum! Und doch hat er sich geplagt und intriguirt, wie er schon kaum mehr auf den Füßen stehn konnte, und gewiß sind ein Dutzend solcher unreifen Embryone mit ihm zu Grabe gegangen. Vom August Haxthausen [Fußnote] Frh. August v. Haxthausen, Bruder des Vorhergehenden, gleich ihm ein genialer, hochbegabter Mann, der »insbesondre sich einen rühmlichen Namen durch seine Forschungen und Studien über älteste Agrarverfassungen, über Rußland und über die Länder jenseits des Kaukasus machte.« Schücking, Einleitung zu den Ges. Schriften v. A. v. Dr.-H.

erzählte Reinhard Brenken grandiose Dinge, »wie gnädig er in Berlin vom Könige aufgenommen sei,« und sprach von ich weiß nicht mehr was, Präsidentur, Gesandtschaft oder gar Eintritt ins Ministerium; kurz, es lautete fabelhaft, und da Mama keine Silbe davon schreibt, habe ich es auch ohne Weiteres ins Reich der fabelhaften Metamorphosen verwiesen.

Den Tod der Thielmann [Fußnote] Wilhelmine Thielmann, geb. 1772, Witwe des aus den Freiheitskriegen rühmlich bekannten Generals v. Thielmann. Aus Freiberg in Sachsen stammend, war sie der Hardenbergschen Familie befreundet, ihre Schwester Julie v. Charpentier war die Braut von Novalis gewesen. Sie starb 1842 zu Godesberg am Rhein.

wußte ich schon; requiescat in pace! Sie war mal sehr liebenswürdig und beinahe glücklich, seit Jahren aber keines von beiden mehr, da eine periodische Geistesverwirrung, die alle 7–8 Jahre auf einige Wochen eintrat und früher nur ein gesteigertes inneres Leben, einen höchst anziehenden Phantasie- und Gemüthsreichthum hinterließ, nach dem letzten Anfalle (vor 3–4 Jahren) ihr einen fortwährenden Zustand von Confusion und Grillenhaftigkeit zu Wege gebracht hatte, so daß sie sich selbst und Andern zur Last war und mein letztes Zusammentreffen mit ihr auf unsrer Herreise mir einen traurigen und unheimlichen Eindruck hinterlassen hat. Uebrigens hat sie unendlich viel erlebt, ihren Mann als Unterlieutenant gegen den Willen ihrer Verwandten geheurathet, ihr erstes Kind in einer elenden Hütte auf Stroh geboren, und ist eine sehr glückliche arme und sehr unglückliche reiche Frau gewesen. Ihre Erfahrungen, sowohl was Lebens- und Zeitverhältnisse als Beziehungen zu bedeutenden Menschen betrifft, waren höchst merkwürdig und ausgebreitet; sie hat mir früher Vieles davon mitgetheilt, was ich aber nie benutzen möchte, nicht weil es Geheimnisse wären, sondern weil es mir wie eine Grausamkeit vorkömmt, Poesie aus dem Unglücke seiner Freunde zu pressen. Requiescat! Ihr ist wohler unter der Erde als darüber.

Den 26sten (Fronleichnamstag). Ich schreibe Dir unter Kanonendonner, unter Pauken- und Trompetenschall. Die Bürgermiliz hat sich vor der Pfarrkirche aufgepflanzt und läßt ihr Geschütz, wirklich ordentliche Kanonen, seit vier Uhr Morgens, sechs Messen lang, so unbarmherzig zu Gottes Ehre knallen, daß fast in jedem Hause ein Kind schreit; und wir auf dieser Seite haben alle Fenster aufsperren müssen, damit sie nicht springen. In den Schwaben ist doch mehr Lust und Leben wie in unsern guten Pumpernickeln! Stiele hat sich in eine Uniform gezwängt, die aus allen Nähten bersten möchte, und maltraitirt die große Trommel mordmäßig. Als ich aus der Kirche kam, salutirte er höchst militairisch und sagte dabei höchst bürgerlich: »Guten Morgen, gnädiges Fräulein!« Da höre ich soeben die Prozession kommen. – Sie ist vorüber gegangen, meine gute Jenny mitten drin, zwischen lauter alten Frauen, unter denen sie, mit ihren zwei schneeweißen Kinderchen an der Hand, ordentlich wie ein frommes anmuthiges Madönnchen aussah; sie kann mich oft recht rühren, besonders wenn ich denke, wie bald sie Wittwe sein wird. Stell Dir vor, Laßberg machte sich, wie ich von den Strengs erfahren, bedeutend jünger als er ist; sein Bruder Alexander, der zwei Jahr jünger war und schon vor drei Jahren starb, hat, wie auf den Todtenzetteln stand, das Alter von zweiundsiebzig Jahren erreicht; also muß Laßberg nahe an achtzig sein. Ich kann ihn, seit ich dieses weiß, nie ohne Sorge ansehn, und seine Eigenheiten scheinen mir verzeihlicher sowie seine innere Frische viel bewundernswerter als zuvor, und ich fühle, daß ich von einem so steinalten Manne viel zu viel verlangt habe. Um so mehr leid ist es mir, daß Carl Laßberg jetzt plötzlich nach Böhmen versetzt ist, und ich begreife Laßbergs große Verstimmung bei dieser Nachricht, da er jetzt den Sohn wohl schwerlich in seinem Leben wiedersehn wird; auch ich denke jetzt: einmal in Meersburg, zum ersten und letzten Male. Die Kessels werden wahrscheinlich fortziehn, da seit der Eleven-Entlassung um Pfingsten ihr junges Personale auf zwei oder drei zusammen geschrumpft ist, und nach ein paar Jahren würde ich hier wahrscheinlich keinen Menschen mehr finden, der mir nur einen Stuhl böte; der gute Herr Hufschmidt möchte denn noch am Leben sein und mir »ä Täßle Kaffee« präsentiren. Das ist auch Vanitas vanitatum! Was dann aus Jenny und den Kindern werden wird, muß ich mit Geduld und geringer Hoffnung abwarten, da es leider nur zu gewiß ist, daß Laßberg sein Vermögen nicht angelegt hat; und mit Lasaregg ist es auch nichts, die Besitzer dürfen bürgerlich sein, und so tritt der Sohn der Erblasserin ohne Hinderniß ein. Viele meinen, Laßberg hätte früher große Summen eingepökelt, und es würden sich ganze Tonnen voll Geld finden. Gott gebe es! aber ich glaube nicht daran, obwohl man aus seinem oft ausgesprochenen Wunsche, daß Jenny nach seinem Tode die Meersburg behalten möge, schließen sollte, daß er auch ohne dieses ihre Zukunft gesichert wüßte. Aber wer so leichtsinnig Geld vertrödelt wie er, pflegt sich überall mit der Rechenkunst nicht viel abzugeben.

Neues giebt es hier sonst nicht. Unser Liebhabertheater hat um Ostern seine letzte Darstellung, den Till Eulenspiegel, gegeben, wo Herr Grimm zum letzten Male als Till alle Herzen bezaubert, dann Jennyn seine Nachtigall verkauft hat und am folgenden Tage auf den Thränen aller Meersburgerinnen nach Karlsruhe geschwommen ist, wo ihn weniger Ruhm, aber ein hübsches Ämtchen erwartet, was er leider keine unserer schönen Damen eingeladen hat mit ihm zu genießen. Herr Stiele scheint etwas betroffen über den Verlust seiner glänzenden Theaterstellung, macht sich aber desto breiter bei andern Späßen und hat z. B. am vorigen Sonntage, wo beim Figel große Fete mit türkischer Musik war, aus reiner Kunstliebe die große Trommel gehandhabt, daß alle Bänke zitterten; er sah köstlich aus in seinen Hemdärmeln, seine dicken Arme schwingend, roth um den Kopf wie ein Puter, und die Wahlverwandtschaft mit seinem Instrumente war gar nicht zu verkennen. Jetzt habe ich seit vierzehn Tagen seine angenehme Nachbarschaft; es ist nämlich ein langer Tisch in mein Vorzimmer gestellt worden, auf dem er für Laßberg den Bauriß des Cölner Doms illuminirt. Ich gäbe für das Ding keinen Gulden, und er bekömmt zwölf Kronen dafür, ist aber so faul, daß er wenigstens sechs Wochen darüber pinseln wird und also doch dabei Hunger leiden muß; denn Laßberg hat ihn dieses Mal nicht in Kost und Logis genommen, wie früher beim Copiren seiner beiden Missale-Deckel, wo Stiele es möglich gemacht hat, vier Monate drüber zu arbeiten, so daß Laßberg ihn vor Ungeduld fast zum Hause hinaus geworfen hätte. Es ist doch ein Windbeutel in folio. Er ist so kühn, daß er anfangs unter allerlei Vorwänden mehrere Male in mein Zimmer kam; jetzt habe ich mich aber abgesperrt, gehe durch das Kämmerchen und die Küche aus und ein, und er kann seiner Allemannskoketterie nur durch die künstlichsten Arien und Läufe Lust machen, die er während der Arbeit so gleichsam hinwirft, und die oft seltsam verunglücken.

Ich habe seit Kurzem enormes Glück mit Kaufen und Schenken gehabt. Z. B. im vorigen Jahre wünschte der arme Sprick [Fußnote] Der Maler Sprick in Münster, der, mit einer zahlreichen Familie gesegnet, schwer mit Lebenssorgen zu ringen hatte. Annette stand ihm und den Seinen treulichst und oft über ihre Kräfte hinaus bei. zwölf köstliche alte Kupferstiche zu verkaufen, für die er – wie er meinte ein Spottpreis –– fünfzehn Thaler gegeben hatte, sie aber aus Noth für fünf wieder ablassen wollte. Jetzt lasse ich auf ein mir unbekanntes Kupferwerk in Schaffhausen bieten; es kömmt vorigen Dienstag an, drei Folianten, Preis vier Gulden, und enthält – außer den zwölfen noch hundert gleich herrliche Kupfer, alle von demselben Meister. Wat segst du over nu? Noch wohlfeiler wären die Geschenke, wenn ich nicht den hinkenden Boten, ich meine die frühere oder spätere Revanche, fürchtete. Wären die guten Leute alle Sammler, dann hülfe ich mir mit meinen Doubletten durch, nun aber wird noch mancher Groschen im Laden springen müssen. Alles macht mir Abschiedsgeschenke und Abschiedsbesuche, so daß ich mein Leben mit melancholischem Lächeln und Händedrücken hinbringen muß; lächerlich wär es, wenn die Wintgens nun ausblieben. Lottchen Ittner hat mir zweiundzwanzig prächtige Kupferstiche geschenkt, Stanzen, eine Medaille, die sich öffnen läßt und zwölf wunderhübsch gemalte Augsburger Trachten enthält, Rüplins eine ganz ähnliche mit neunzehn Legendendarstellungen, der Oberst Ensberg Muscheln, Mineralien, Mosaik, Helene Laßberg, Fritzens Wittwe, dito Muscheln; kurz, ich bin überreich, und werde in Folge dessen bald blutarm sein, wenn ich mir nicht mit dem Dir so verhaßten Ausschneiden theilweise durchhelfe. Du siehst, an Besuchen hat es uns nicht gefehlt; außerdem war Reuchlin – der Dich herzlich grüßt – zweimal hier und will vor meiner Abreise noch einmal kommen. Strengs haben uns vier Tage etwas vorgegähnt, und dann noch zwei alte Freunde von Laßberg mit Frau und Kind, die auch mehrere Tage blieben; ich bewundere mich selber, daß ich doch noch etwas derweil gearbeitet habe. Ob viel? »Den Umständen nach«, wie es in den ärztlichen Bulletins heißt. Die bewußten Aufsätze erhältst Du indessen ganz nächstens; antworte mir nur ja jetzt gleich, wegen Cotta und Velhagen, was ich von dem Ersteren zu erwarten habe, um meine nothwendig baldige Antwort an den Zweiten danach einzurichten. Soll ich etwa, wenn es mit dem Cotta sehr zweifelhaft und Velhagen nicht annehmbar wäre, bei Adelen wegen des ( nescio ob Jenaers oder Leipzigers) anfragen? Es ist doch immer etwas, daß er sich mal angeboten hat, und zwar »für jedes Genre«, wie der Brief ausdrücklich sagte, was doch ein gutes Vertrauen auf meine Feder verräth.

Im Museum war ich seit einigen Tagen nicht, bis dahin war meine Judenbuche beendigt, von der ich nur das im vorigen Briefe Gesagte wiederholen kann, nämlich: daß ich den Effekt fand, wo ich ihn nicht suchte, und umgekehrt, das Ganze aber sich gut macht. Es ist mir eine Lehre für die Zukunft und mir viel werth, die Wirkung des Drucks kennen gelernt zu haben. Gestrichen hat man mir nur einmal ein paar Zeilen, nämlich das zweite Verhör ein wenig abgekürzt; wenn Du es nicht schon gethan hattest, worüber ich ungewiß bin. Zuerst war ich zürnig, grimmig wie eine wilde Katze, und brauste im Sturmschritt nach Deisendorf; auf dem Rückwege war ich aber schon abgekühlt, und gab dem Operateur – Hauff, Dir, oder gar mir selbst – Recht; sonst ist Wort für Wort abgedruckt. Unmittelbar hinterdrein erschien »Die Judenstadt in Prag« von Kohl. Ich erschrack und dachte, es sei eine gute Erzählung, mit der man die Leser für meine schlechte entschädigen wolle; statt dessen war es aber ein meiner Geschichte gleichsam angereihter Aufsatz über die Stellung der Juden überall und namentlich in Prag. Jetzt schien mir eher etwas Günstiges darin zu liegen, als ob man das Interesse der Leser durch meine Judenbuche für diesen Gegenstand angeregt glaube; habe ich Recht oder nicht? Auch die »Bilder aus dem Soldatenleben im Frieden« fangen wieder an sich fortzuspinnen. Poetisches? Sehr schlechte Deutsche Lieder von Knapp und ein Gedicht von Freiligrath; den Titel habe ich leider vergessen, es hat mir aber durchaus nicht gefallen. Der Held aus der Reformationszeit, ich glaube Ulrich v. Hutten, würfelt auf einer Felsplatte mit Felsblöcken, wo jetzt ein Bad steht, und auch die Würfel klingen; der Refrain: »ich habs gewagt« zuweilen ziemlich bei den Haaren herbeigezogen; von Dir oder mir noch keine Zeile.

Der Merkur ist seit einigen Tagen ausgeblieben; was mag das bedeuten? Nach den vielen Bränden überall wird man ordentlich apprehensiv. Bisher stand, außer dem Hamburger Unglück, was alle Blätter anfüllt, nichts darin als Heringe und Bücklinge und diverse Schuster und Schneider, die die Welt durch ihr Abscheiden betrübt oder mit Nachkommenschaft erfreut hatten.

Den 27sten. Soeben komme ich vom Museum, voll Jubel über Dein Westphalen, was in Nr. 122 (23sten Mai) steht und sich ganz köstlich macht. Du bist doch ein Baasjunge! Meine Mütze kann ich nicht in die Luft werfen wie Freiligrath, weil ich keine trage, aber ich möchte Dich zu Brei zusammen drücken, wenn ich Dich nur hätte! Du Schlingel, warum bist Du nicht bei mir! Es ist doch sonderbar, wie das Drucken metamorphosirt; für so unendlich schöner wie Deine »Meersburg« hätte ich das Gedicht nicht gehalten, obwohl Du dieser auch Unrecht thust, die immerhin eine hübsche Poesie bleibt.

Deine Idee mit den Reisebriefen, wo Du dem guten Laßberg seinen Verlust erstatten willst, lobe und billige ich; laß ihn aber nur nicht in der Feder bleiben. Daß Du so dumm geworden bist und nichts für den Lewald weißt, thut mir leid; ich habe dieses aber schon an mehreren alten Leuten erlebt, z. B. dem Wessenberg, und mir, die auch nichts für den Lewald weiß, – wenn ich ihm nämlich noch was liefern muß, worüber Du mich bisher im Dunkel gelassen hast.

Von Elisen habe ich einen neuen Brief, wo sie mir für meine Nachrichten dankt und große Freude über meine nahe Zurückkunft äußert. Die Bornstedt ist nicht in Herbern geblieben, – auf Anrathen ihrer Freunde, wie sie sagt – sondern fortwährend in Münster, wo sie Elisen und mir alles gebrannte Herzeleid anzuthun sucht. Aber wart, du schwarze Hexe, ich will dich schon zusammensetzen, wenn ich erst da bin! Rüdigers Versetzung liegt im weiten Felde, und Elise glaubt nicht mehr daran. Aber – wie doch der litterarische Geschmack verschieden ist! – meine »Weltverbesserer«, das einzige meiner Gedichte, was mir auswärts wirkliche Beachtung zu Wege gebracht hat, scheint in Münster höchst klatrig fortzukommen; wenigstens giebt mir Elise allerlei verschleierte Winke über »Unverständlichkeit« und »vernagelte Köpfe«. – Im Lafleur hat sie die Bornstedt auf der Stelle erkannt und meint, es werde Jedem so gehn, außer ihr selbst. Schlüters sind mit etwas besseren Hoffnungen von Grefrath zurückgekommen. Die Bornstedt scheint sich ganz dort eingenistet zu haben, wie sie jetzt auch höchst intim mit der Lombard ist; es wird doch etwas dazu gehören, sie in die Luft zu sprengen. Mit Junkmann geht es schlecht; zweimal hat er gehofft, befördert zu werden, und zweimal ist Einschub gekommen. Adieu, mein liebes altes Herz; ich habe Alles so vollgequackelt, daß ich Dir kaum noch sagen kann, wie unmenschlich lieb ich Dich habe, und wie ich immer an Dich denke. Adieu.

Jenny und Laßberg grüßen tausendmal.

Quellenangabe
Name Wert
type letter
booktitle Briefe von Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking
author Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking
editor Theo Schücking
year ca. 1895
publisher Fr. Wilh. Grunow
address Leipzig
title Briefe von Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking
pages III-XI
created 20030319
sender gerd.bouillon@t-online.de
firstpub 1893
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Obst

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Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Weitere Bedeutungen werden unter Obst (Begriffsklärung) aufgeführt.
Obstkorb

Obstkorb

Obst ist ein Sammelbegriff der für den Menschen genießbaren Früchte und Samen von meistens mehrjährigen Bäumen und Sträuchern, die zum größten Teil roh gegessen werden können.

Inhaltsverzeichnis

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Begriffsklärung

Obstmarkt in Barcelona

Obstmarkt in Barcelona

Obstmarkt in Berlin

Obstmarkt in Berlin

Obst im Supermarkt

Obst im Supermarkt

Ursprünglich bedeutete der althochdeutsche Begriff obez als „Zukost“ alles, was außer Brot und Fleisch verzehrt wurde, auch Hülsenfrüchte, Gemüse und Ähnliches.

Die Unterscheidung zwischen Obst und Gemüse ist unscharf. In der Regel stammt Obst von mehrjährigen, Gemüse von einjährigen Pflanzen, und der Zuckergehalt beim Obst ist meistens höher. Botanisch gesehen entsteht Obst aus der befruchteten Blüte. Gemüse entsteht aus anderen Pflanzenteilen. Paprika, Tomaten, Zucchini, Kürbisse und Gurken sind zwar Früchte, werden aber gemeinhin wegen der fehlenden Süße bzw. Säure nicht als Obst, sondern als Fruchtgemüse bezeichnet, gehören jedoch laut der obigen Definition auch zu Obst. Rhabarber hingegen ist ein Pflanzenstängel, wird aber auch als Obst verwendet.

Die unten beschriebene Einteilung von Obst (Kernobst, Steinobst …) ist die heute im Handel übliche. In der Botanik dagegen fasst man unter dem Sammelbegriff Obst „alle diejenigen kultivierten oder wild wachsenden Samen und Früchte zusammen, die im allgemeinen roh gegessen werden und von angenehmem, meistens süßlichem oder säuerlichem Geschmack sind. Sofern es sich dabei um Samen handelt, sind diese wegen des Kaloriengehalts meistens sehr nahrhaft, während Früchte, deren Samen vielfach nicht mit verzehrt werden, in der Regel Fruchtfleisch mit hohem Wassergehalt darstellen. Sie haben deshalb meistens nur einen geringen Nährwert, haben dagegen meistens einen hohen Gehalt an Vitaminen und Mineralsalzen“ [1].

Einteilung

Die Einteilung von Obst erfolgt in Gartenbau und Handel in Kernobst, Steinobst, Beerenobst, Schalenobst, klassische Südfrüchte, weitere exotische Früchte, und wie Obst verwendetes Gemüse.

Sortiert werden die einzelnen Früchte nach Größe und Qualität auch in verschiedene Handelsklassen.

Daneben gilt auch eine Einteilung nach „heimisch“, und importierte Waren verschiedener Art (etwa als Flugobst) aus Sicht der Herkunft und des Transports, sowie seit einiger Zeit aus biologischem Anbau in Sinne einer Qualitätsangabe. Außerdem gibt es noch kaum gewerbsmäßig genutztes Wildobst.

Siehe auch

Literatur [Bearbeiten]

  • Wolfgang Franke: Nutzpflanzenkunde: nutzbare Gewächse der gemäßigten Breiten, Subtropen und Tropen. 6. Auflage. Thieme, Stuttgart 1997, ISBN 3-13-530406-X
  • G. Liebster: Warenkunde Obst. Hädecke, 1999, ISBN 3-7750-0301-0
  • Pierre-Marie Valat; Pascale de Bourgoing: Der Apfel und andere Früchte. Mannheim 1992, ISBN 3-411-08541-X
  • Lothar Bendel: Das große Früchte- und Gemüselexikon, Patmos, 2002, ISBN 3-491-96066-5
Siehe auch Literatur des Artikels Nutzpflanzen

Weblinks [Bearbeiten]

Commons

Commons: Obst – Bilder, Videos und Audiodateien

Wiktionary

Wiktionary: Obst – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen und Grammatik

Quellen [Bearbeiten]

  1. Franke, S. ?

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Bibliografische Angaben für „Obst

Mittwoch, 20 Februar 2008 Posted by | 2008-01-20, 2008-02-20 | , , , , , , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Bauernregel Dienstag 19. Februar 2008

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Michelangelo Buonarroti

An die Nacht

Hermann Löns

Nebel

Den Sonnenuntergang von gestern vergesse ich in meinem ganzen Leben nicht; er war von beängstigender Schönheit. Die bleiblaue Wetterwand über den schwarzen Kopfweiden riß mit einem Ruck auseinander, und in dem Loch erschien die Sonne mit blutrotem Wutgesichte, umgeben von einer Gefolgschaft tobsüchtiger Gespenster.

Eine Viertelstunde währte der Kampf zwischen dem Tagesgestirn und der Abendwolke; dann mußte die Sonne die Walstatt räumen und abermals klatschte der Schneebrei in dichtem Gestöber herunter, begrub die letzten freien Stellen der vereisten Wiesen und verschüttete die Saaten. Ich stand unter den drei verrenkten Weidenkrüppeln, von schwarzem Ellergebüsch und gelbem Rohr gut gedeckt, und lauerte auf die Gänse.

Vor mir fielen die Ammern in ihren Schlaf büschen ein, Saatkrähen und Dohlen flogen heiser krächzend und schrill rufend dem fernen Walde zu, ein Bussard ließ sich auf dem Stumpfe der vom Blitz zerschlagenen Pappel nieder, äugte eine Weile umher und schwang sich weiter, Enten klingelten vorüber, jenseits des Flusses schlich der Fuchs auf dem Eise entlang und bald hier bald da erklang das heisere Gegacker vorbeisausender Gänse. Aber alle strichen zu hoch oder zu weit weg, und erst als schon fast kein Schußlicht mehr war, kamen sieben über mich hingebraust, und die eine davon ward mein. Mein Freund brachte vier in den Krug mit.

Da saßen wir noch eine Weile, tranken Teegrog mit den Fischern und Schiffern, sahen zu, wie die dralle Mieke die Arme am Spinnrade rührte, ließen uns von der bösen Flut erzählen, bis Janhein mit der Ziehharmonika kam. Da ging es denn los mit Spiel und Sang bis die Kastenuhr die elfte Stunde anmeldete und Klausenvater Feierabend machte. Als ich in dem breiten Bette lag, hörte ich den Sturm den Schnee gegen die Scheiben schmeißen und alle die Lieder gröhlen, die Mieke und die Burschen gesungen hatten, und als ich aufwachte, vernahm ich Mieke in der Küche hin und her gehen und mit ihrer schönen, klaren Stimme singen: »In einem Tale, wo Ostwind wehte, da stand Luise beim Blumenbeete, stand eine Blume so weiß wie Schnee; so eine Blume hatt‘ ich noch nie gesehn.«

Nun gehe ich durch den Nebel, der so dick ist, daß ich meine, ihn mit Händen fassen zu können, und der einen strengen Waschküchengeruch hat. Die Kopfweiden, die ab und zu daraus hervortauchen, sehen wie lächerliche Gespenster aus, und die Büsche in den Wiesen sind zu allerlei albernen Ungeheuern geworden. Es ist viel Schnee gefallen über Nacht, und da es gefroren hat, so ist er fest geworden. Das ist schlimm für die Gänse, aber gut für mich, denn sie werden heute lange in Bewegung sein und der unsichtigen Luft wegen tiefer als sonst streichen. Hier und da und dort vernehme ich ihr heiseres Dadadadä und Gaigaigaigä und mache mich schußfertig, ehe ich auf dem Stande bin. Doch der Nebel ist so dick, daß ich die drei Flüge, die am nächsten bei mir vorübersausen, nicht zu Blick kriege.

Ich nehme meinen alten Stand unter den drei zusammengedrängten Krüppelweiden ein, ziehe den Mantel über und stelle mich auf den mit Kaff gefüllten Rucksack. Ich kann kaum dreißig Gänge weit sehen. Hier steht ein Weidenbaum, der wie ein hagerer Bär aussieht, der mit der Pranke nach mir zu schlagen droht, da reckt ein anderer ein wild gemähntes Löwenhaupt aus dem Nebel, und dort wird ein dritter sichtbar, einem betrunkenen Kerl ähnlich, der mit den Armen in die leere Luft greift, um Halt zu finden. Vom Flusse kommt das Knirschen und Knarren des treibenden Eises und das Klickern und Kluckern des Wassers, ab und zu übertönt von dem anschwellenden und abflauenden Gegacker der Gänse, die drüben stehen müssen.

Ich stehe und starre in den weißen Nebel hinein, lausche auf das gereizte Gespräch zwischen Eis und Flut und das aufgeregte Gequackel der Gänse, sehe dem Hasen nach, der wie ein Schatten zwischen den verschwommenen Rohrhorsten auftaucht und verschwindet, nehme den Drilling hoch, denn ich höre Gänse heranstreichen, lasse ihn wieder sinken, weil sie außer Sicht vorübersausen, höre von drüben viermal kurz hintereinander den Donner der Schnellfeuerflinte meines Jagdfreundes, habe mit einem Male den Kolben im Gesicht, drehe mich jäh herum und halte auf den mittelsten der vier Schatten, die mit Gegicker und Gegacker über mich hinbrausen, drücke zweimal, sehe eine Gans sich im Feuer drehen und höre sie in das Röhricht schlagen, freue mich und ärgere mich gleich hinterher, denn ehe ich geladen habe, rauschen schon wieder sieben Gänse und dann noch drei über mich fort, habe dann wieder den Kolben an der Backe, schieße zwei Löcher in den Nebel, lade hastig und fühle, wie mir trotz der rauhen Luft Stirn und Nacken heiß werden, höre abermals drüben drei Schüsse hart aufeinander folgen, muß die zwei Gänse, die mir von hinten kommen, auslassen, weil die Zweige der Weiden sie decken, solange sie in Schußnähe sind, und lauere dann eine ganze Weile umsonst.

Mir ist so, als verdünne sich der Nebel etwas. Eine kühle Luft geht, die grauen Rispen des Rohres schwanken hin und her und die Halme rauschen eine herbe Weise. Lauter kluckst die Flut, stärker knirscht das Eis und das überschneite Schilf raschelt geisterhaft. Das Gequatter der Gänse am anderen Ufer bricht ab, setzt dann wieder ein, vermischt sich mit wildem Flügelschlagen, verliert sich ganz in der Ferne, und ist nach dem Doppelschusse, der von dort herüberschallt, plötzlich vor mir und über mir. Hier und da und dort tauchen lange Hälse und breite Schwingen auf. Ich lasse die Schar vorüber und feuere hinterher. Zweimal plumpst es dumpf herunter, und ein unregelmäßiges Geflatter und Geknaster folgt darauf, ich lade schnell, spring dann hin, greife die schwer geflügelte Gans und genicke sie, verpasse derweilen ein paar andere, die ganz tief vorbeisausen, bin aber dennoch froh über die drei, die vor mir liegen.

Es weht stärker. Das Rohr schwankt hastig auf und ab, und die hart gefrorenen Ellernbüsche klappern. Der Nebel zerreißt und löst sich in lauter Geistergestalten auf, die einen heimlichen Tanz vollführen. Immer noch streichen Gänse, doch höher als bisher, desgleichen Enten. Vor mir sind Gänse eingefallen. Noch bekomme ich sie nicht zu Blick, zu dick steht der Nebel zwischen mir und ihnen. Aber jetzt beginnt es sich zu rühren. Ein Weidenbusch wird sichtbar, ein Pfahl taucht auf, Rohrhalme erscheinen. Ellern zeigen sich, ein Reh zieht vorüber, eine Krähe fliegt dahin. Irgendwo schnarrt ein Zaunkönig, ein Goldfink lockt, Zeisige zwitschern. Immer wieder schallt das Gegacker der Gänse aus dem Nebel heraus; doch bleiben sie unsichtbar, obgleich sie nicht allzuweit von mir stehen müssen.

Schließlich werde ich das Passen leid, zumal meine Füße trotz der warmen Unterlage kälter und kälter werden. So streife ich mir den Reif aus dem Bart und aus den Augenbrauen und rücke bis zur nächsten Eller vor. Die Gänse sind gar nicht weit von mir, doch ist gerade hier der Nebel so dicht, daß ich sie nicht zu Blick bekomme. Über mir aber hellt es sich immer mehr auf. Lange wird es nicht mehr währen, dann schickt die Sonne den Wind hinunter und der jagt den Nebel von dannen. So pirsche ich noch etwas voran, drücke mich hinter einen geborstenen Weidenstamm und lauere dort weiter. Das Gegacker ist verstummt; die Gänse müssen das Knurpsen des Schnees unter meinen Stiefeln vernommen haben. Aber nun setzt der Lärm wieder ein und ich kann an ihm merken, daß ich mich verschätzt habe, die Gänse sind noch weit genug.

Wieder geht es weiter; von der Weide schleiche ich nach einem Rohrhorst, von da zu einem Weidengebüsch, von dort hinter eine Eller. Die Luft wird kälter, der Nebel dünner. Immer mehr Vogelstimmen werden vernehmbar. Ein heftiger Windstoß hellt die Luft vor mir auf. Der Nebel zerreißt, ich sehe, aber nur als Schatten, fünf lange, hochgereckte Hälse im nächsten Augenblick fällt der hellgraue Schleier wieder davor herunter. Ich weiß nun nicht, soll ich vorwärts gehen oder soll ich stehen bleiben, denn ich kann nicht erkennen, ob ich noch weiter Deckung vor mir habe. Da flackert der Nebel abermals auf, zeigt mir die Gänse ganz klar und ehe er sie wieder verwischt, habe ich gestochen, angestrichen und der mittelsten Gans die Kugel angetragen.

Sofort ist der Nebel wieder da. Ich stelle auf Schrot um und renne dahin, wo das Geschnatter und das Flügelschlagen erschallt. Doch ich komme vor einen Graben, dem Eise ist nicht zu trauen und so muß ich die Gänse unbeschossen abziehen lassen. Ich lange die eine, der mein Blei das Leben nahm, auf und gehe dahin, wo die anderen liegen. Von drüben her fallen zwei Schüsse. Dann kommt ein hohler Schrei daher. Ich schütte das Kaff aus dem Rucksack, hänge die Gänse daran, schlage ihn über den Rücken und gehe der Brücke zu. Der Nebel wallt hin und her, legt sich zu Boden, und über ihm kommt die Sonne heraus; sie vergoldet das Eis, versilbert den Schnee und macht aus den Weiden lodernde Flammen.

Fortwährend zwitschern Zeisigflüge dahin, und überall locken Dompfaffen, quietschen Bergfinken. Dann und wann schwebt eine Krähe vorüber, macht eine Bogen, wenn sie mich eräugt, und warnt ihre Genossinnen durch einen rauhen Ruf. Das gellende Gelächter des Grünspechts kommt von der Kopfweidengruppe am Flusse. Ein Bussard schwebt über den Wiesen, deren Eisdecke glitzert und flimmert. Rund und voll steht die Sonne über den Pappeln und jagt den Nachtnebel völlig von dannen.

An der Vorflutbrücke lehnt mein Freund. Sieben Gänse und ein großer Sägetaucher liegen zu seinen Füßen. Ich sehe ohne Neid danach hin, obschon meine Strecke nur halb so groß ist. Es ist lange her, daß ich nicht auf Gänse jagte, und so kann ich ganz zufrieden sein, zumal die Welt rundumher so schön ist, die silberne Welt im goldenen Sonnenscheine, seitdem der Nebelschleier von ihr wich.

Quellenangabe
Name Wert
type fiction
author Hermann Löns
title Kraut und Lot
corrector reuters@abc.de
sender http://www.gaga.net
created 20060601
projectid 8f464659
pfad /loens/krautlot/book.xml

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Nebel

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Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Weitere Bedeutungen werden unter Nebel (Begriffsklärung) aufgeführt.
Nebel

Nebel

Nebelmeer über dem Schweizer Mittelland mit Zugerberg im Vordergrund

Nebelmeer über dem Schweizer Mittelland mit Zugerberg im Vordergrund

Nebel in einem Tal bei Bouchegouf, Provinz Guelma (Algerien)

Nebel in einem Tal bei Bouchegouf, Provinz Guelma (Algerien)

Unter Nebel (althochdeutsch nebul über lateinisch nebula von griechisch nephele „Wolke“) versteht man in der Meteorologie fein verteilte Wassertröpfchen, die durch Kondensation der feuchten und gesättigten Luft entstanden sind. Technisch gesehen ist Nebel ein Aerosol, in der meteorologischen Systematik wird er jedoch zu den Hydrometeoren gezählt.

Erst bei einer Sichtweite von weniger als einem Kilometer wird von Nebel gesprochen. Sichtweiten von einem bis etwa vier Kilometern gelten als Dunst. Nebel wie Dunst unterscheiden sich von Wolken nur durch ihren Bodenkontakt, sind jedoch ansonsten nahezu identisch mit ihnen. Einen Nebel in räumlich sehr begrenzten Gebieten bezeichnet man als Nebelbank und einen Tag, an dem mindestens einmal ein Nebel aufgetreten ist, als Nebeltag.

Bei einer Sichtweite von 500 bis 1.000 Metern spricht man von einem leichten, bei 200 bis 500 Metern von einem mäßigen und bei unter 200 Metern von einem starken Nebel. Von Laien wird dabei meistens nur eine Sichtweite von unter 300 Metern auch als Nebel wahrgenommen.

Inhaltsverzeichnis

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Allgemeine Entstehungsbedingungen und Eigenschaften

Nebelbank mit Strahlenbüscheln

Nebelbank mit Strahlenbüscheln

Nebel entsteht bei einer meistens stabilen Atmosphärenschichtung, wenn wassergesättigte Luft aufgrund unterschiedlicher Ursachen den Taupunkt erreicht. Die Unterscheidung von Nebeln in bestimmte Arten wie Abkühlungs-, Verdunstungs- oder Mischungsnebel bezieht sich auf diese unterschiedlichen Ursachen und wird im Abschnitt Nebelarten thematisiert.

Die Sättigungsmenge der Luft, also die maximale Wasserdampfmenge die die Luft enthalten kann, ohne dass Kondensation eintritt, ist dabei von vielerlei Faktoren abhängig. Auf sie wird im Artikel Sättigungsdampfdruck eingegangen. Ein Absinken der Temperatur oder eine Erhöhung des absoluten Wassergehalts über die Sättigungsmenge hinaus hat im Idealfall eine sofortige Kondensation zur Folge, es bilden sich also kleine Wassertropfen. In wieweit diese Kondensation aber wirklich sofort erfolgt, oder erst Übersättigungen notwendig sind, hängt dabei wesentlich von den Kondensationskernen ab. An ihnen kann sich der kondensierende Wasserdampf anlegen und geht damit wesentlich leichter in den flüssigen Aggregatzustand über, als es ohne Kondensationskerne der Fall wäre. Es handelt sich daher bei der Bildung von Nebeltropfen um eine heterogene Nukleation, die ohne bestehende Oberflächen nicht möglich ist. So kann dann auch, vor allem bei entsprechender Luftverschmutzung, eine Mischung aus Nebel, Rauch-, Ruß- und anderen Partikeln entstehen und zu einer überdurchschnittlichen Nebeldichte führen, man spricht von Smog. Von besonderer Bedeutung sind auch die Oberflächeneigenschaften dieser Partikel, insbesondere deren Hygroskopie.

Wesentliche Faktoren, die über die Nebelbildung entscheiden, sind daher zum einen die Verfügbarkeit von Wasserdampf und zum anderen ein breites Spektrum an Faktoren wie Aerosolteilchenkonzentration, Temperaturverteilung, Orografie sowie die vor allem thermischen Oberflächeneigenschaften des entsprechenden Geländes.

Tröpfchengröße und Nebeldichte

Die Tröpfchendurchmesser innerhalb eines Nebels sind mit wenigen hunderstel Millimetern wesentlich geringer als in einer typischen Wolke, durch die unterschiedlichen Kondenssationskerne schwanken sie jedoch auch stark zwischen den einzelnen Tropfen. Dabei entscheidet deren Größe, ob ein Nebel nässend ist oder nicht. Ist er leicht nässend, so handelt es sich um eine Tröpfchengröße von im Mittel 10 bis 20 μm, bei dichtem Nebel sind es eher 20 bis 40 μm. In Einzelfällen wurden auch schon Tröpfchengrößen von 100 μm festgestellt, dieses ist aber eine Ausnahmeerscheinung. Kleinere Tropfenradien weisen dabei eher auf maritime Bedingungen hin, größere Radien hingegen auf kontinentale Verhältnisse. Bei Nebel enthält ein Kubikmeter Luft in Form der Tröpfchen etwa 0,01 bis 0,3 Gramm auskondensiertes Wasser.

Ort und Auftreten

Der meiste Nebel entsteht im Winterhalbjahr in der Nähe von Gewässern, da in dieser Jahreszeit die Sonne tagsüber Wasser verdunstet, die Luft sich abends aber so stark abkühlt, dass das Wasser wieder kondensiert. Wenn es im Sommer plötzlich zu einem Kaltlufteinbruch kommt, kann auch in dieser Zeit Nebel auftreten, was jedoch nicht allzu häufig geschieht. Wenn Nebel bei Temperatur über 0 °C an Pflanzen und anderen Gegenständen kondensiert, so entsteht Tau. Liegt die Temperatur unter dem Gefrierpunkt, so kann sich Reif absetzen.

Nebel kann in nahezu allen Klimazonen vorkommen und seinem Charakter nach sowohl sporadisch als auch regelmäßig bzw. lang- oder kurzlebig auftreten. Die höchste Nebelhäufigkeit zeigt sich dabei in feuchtereichen Gebieten und bei großen Temperaturschwankungen bzw. starker Abkühlung. Dieses ist besonders beim Zusammentreffen kalter und warmer Meeresströmungen sowie in Upwelling-Bereichen der Fall. Die wahrgenommene Nebelhäufigkeit ist dabei jedoch vielmehr an die Beobachtung gebunden, weshalb sie häufig in Richtung von Siedlungsräumen gegenüber der tatsächlichen Nebelhäufigkeit erhöht ist bzw. man diese ohne empirische Basis als nebelreicher einschätzt. Auch die räumlichen Skalenbereiche können dabei stark schwanken, so kann ein Nebel eine horizontale Ausbreitung von wenigen hundert Metern, aber auch teilweise hunderten von Kilometern besitzen. Die Ausbreitung in der Vertikalen schwankt von einigen Dezimetern bis zu mehreren hundert Metern.

Nebelarten

Begriffe

Bodennebel über der Ilz im Herbst 2007

Bodennebel über der Ilz im Herbst 2007

Nebel werden in der Meteorologie im Regelfall nach ihren Entstehungsbedingungen unterschieden, was jedoch auch nach sich zieht, dass viele Nebel nicht basierend allein auf ihrem äußeren Erscheinungsbild einer bestimmten Nebelart zugerechnet werden können. Auch existieren eine Vielzahl oft sehr unscharf definierter oder zumindest sehr unklar verwendeter Nebelbegriffe, insbesondere dann, wenn sich diese auf den Ort oder Zeitpunkt des Auftretens und nicht die Entstehungsursache eines Nebels beziehen. So unterscheidet man nach der Ursache im wesentlichen Strahlungs-, Advektions-, Verdunstungs-, Mischungs- und orographische Nebel sowie als oft getrennt betrachtete Sonderform den Eisnebel. Daneben existieren jedoch auch eine Vielzahl anderer bekannter Begriffe wie Morgennebel, Bergnebel oder Seenebel, die sich in vielen Fällen nur schwer mit spezifischen Entstehungsbedingungen zur Deckung bringen lassen und oft zu Missverständnissen führen, welche Bezeichnung für welche generische Art von Nebel steht.

Auch eine Unterscheidung nach Boden- und Hochnebel ist möglich, wobei die Oberseite des Bodennebels nach meteorologischer Definition unter der Augenhöhe des Beobachters mit einer Sichtweite von dadurch mehr als einem Kilometer liegen muss. Es ist auch möglich, den Bodennebel als Nebel mit Bodenkontakt zu definieren, was jedoch redundant zur Definition eines Nebels ansich ist. Das verbreitete Verständnis eines Hochnebels als Nebel mit fehlendem Bodenkontakt ist daher auch irreführend, da es sich im Regelfall um eine niedrige Wolke vom Typ Stratus handelt, also nicht um Nebel im eigentlichen Sinne. Nur bei einigen Zwischenstadien von Nebeln, die an ihrer Basis aufgelöst wurden oder im Begriff sind, sich auf Bodenhöhe zu senken, spricht man auch in der Meteorologie von einem Hochnebel.

Strahlungsnebel

Neblige Morgenlandschaften

Neblige Morgenlandschaften

Bodennebel im Engelberger Aa (Schweiz)

Bodennebel im Engelberger Aa (Schweiz)

Nebel im Tal (Schweiz), eine typische Wetterlage im Winter

Nebel im Tal (Schweiz), eine typische Wetterlage im Winter

Nebelmeer in Arizona

Nebelmeer in Arizona

Strahlungsnebel entstehen in Folge der nächtlichen Ausstrahlung der Erdoberfläche und treten daher vor allem im Herbst und im Winter bei windschwachen Wetterlagen auf, wobei sie meistens mit einer Strahlungsinversion verbunden sind. Da sie auf einer Abkühlung der Luft bei gleich bleibender oder vernachlässiger Schwankung der absoluten Luftfeuchtigkeit basieren, rechnet man sie auch zu den Abkühlungsnebeln.

Besonders in unbewölkten Nächten können sich die bodennahen Luftschichten stark abkühlen. Dadurch kondensiert der Wasserdampf in der Luft und es bildet sich ein schwacher, oft mehrschichtiger und kaum über eine Höhe von 100 Meter reichender Nebel, mit vergleichsweise geringer Tröpfchengröße. Am Vormittag löst sich dieser Nebel meistens rasch auf, da die hohe spezifische Oberfläche seiner Tropfen aufgrund des dann erhöhten Sättigungsdampfdrucks eine rasche Verdunstung ermöglicht. Nur im Winter ist die Einstrahlung der Sonne bisweilen nicht stark genug, um den Nebel aufzulösen. Das neblig-trübe Wetter bleibt dann in den Niederungen oftmals tagelang erhalten.

Strahlungsnebel sind sehr instabile Gebilde und lösen sich in der Regel so schnell auf, wie sie gekommen sind. Sie treten meistens als Früh– bzw. Morgennebel auf, ihre Anfänge können jedoch durchaus schon im späten Nachmittag des Vortages liegen. Ob ein Strahlungsnebel entsteht oder nicht, ist dabei oft eine Frage von wenigen Zehntel Grad Celsius. Häufigkeit, Dichte und Mächtigkeit dieser Nebelart unterliegt daher großen Schwankungen. Die Vorhersagbarkeit des Phänomens ist dadurch vergleichsweise gering, wenn Strahlungsnebel auch so häufig sind, dass sich ein Tagesrhythmus ausbilden kann. Das Auftreten eines Strahlungsnebels ist dabei ein Signal für tiefe Temperaturen, insbesondere zeigen sich bei Kaltlufteinschlüssen in Geländeniederungen typischerweise abgeschnittene Nebelteppiche mit scharfen Konturen, die man dann auch als Talnebel bzw. bei sehr starker Ausprägung als Nebelmeer bezeichnet.

Eine besondere Form bilden auch die Moornebel, also Nebel die über Mooren autreten und deshalb eine eigene Bezeichnung besitzen, weil die Nebelhäufigkeit hier besonders hoch ist. Ursache ist dabei die sehr rasche Auskühlung der Bodenoberfläche bedingt durch dessen hohe Bodenfeuchte und die damit schlechten Wärmeleitungseigenschaften, nicht etwa eine durch das große Wasserangebot erhöhte Verdunstung. Ein Moornebel ist daher auch kein Verdunstungsnebel, denn die Luftfeuchtigkeit wird hier meistens vor der Nebelentstehung über Winde abgeführt. Die Nebelbildung selbst ist jedoch an Windstille geknüpft und erreicht selten Mächtigkeiten, die die Sichtweite eines Beobachters überschreiten. An diesem Beispiel zeigt sich, welche große Rolle der Bodenwärmehaushalt bei die Entstehung eines Strahlungsnebels spielt. Der gleiche Effekt ist in schwächerer Form auch bei Wiesen zu beobachten, weshalb man bei ihnen auch von Wiesennebel spricht.

Mit einer Albedo von bis zu 0,90 zeigt Nebel allgemein ein außerordentliche Fähigkeit zur Reflexion des einfallenden Sonnenlichts. Diese steht in der Regel in einem scharfen Kontrast zur Umgebung mit einer Albedo von typischerweise etwa 0,2 bis 0,3. Die Folge ist gerade bei Strahlungsnebeln eine Tendenz zur Selbsterhaltung, denn die niedrigen Temperaturen, die erst zu seiner Entstehung geführt haben, werden durch die nun rapide abfallende Globalstrahlung noch weiter gesenkt bzw. am Ansteigen gehindert. Auch ist die Ausstrahlung der Wassertröpfchen selbst besonders groß, was ein nächtliches Temperaturminimum an der Nebeloberseite zur Folge hat.

Bei einer stabilen Schichtung der Atmosphäre am Boden und einer Inversion in der Höhe, also einer Fumigation, sammeln sich an der Inversionsgrenze verstärkt Partikel unterschiedlichster Art an. Dieser in einiger Höhe befindliche Dunst kann mit seiner hohen Albedo nun nicht nur nebelerhaltend, sondern sogar nebelerzeugend wirken. Der Nebel, zunächst sogar streng genommen noch eine Wolke und bisweilen als Hochnebel bezeichnet, sinkt dabei allmählich aus der Höhe der Inversion zum Erdboden hin ab und hält hier oft tagelang an.

Advektionsnebel

Ein Advektionsnebel oder Berührungsnebel ist eine weitere Form des Abkühlungsnebels, die in Mitteleuropa üblicherweise im Winter auftritt und auf einer Advektion (Heranführung) von Luftmassen beruht. Die Unterscheidung zum Mischungsnebel kann dabei unter Umständen schwierig sein, hier sollen jedoch alle Nebelformen, die maßgebend durch Advektions- und teilweise auch durch Mischungsprozesse geprägt sind, zu den Advektionsnebeln gezählt werden.

Advektionsnebel kommen dadurch zustande, dass feuchte Warmluft vom Süden in die kälteren Gebiete im Nordens strömt und dabei eine bodennahe Kaltluftschicht aufwirbelt. Die Warmluft wird dabei abgekühlt, weshalb in der Folge zur Kondensation und damit Tröpfchenbildung kommt. Wenn dann eine Hochdrucklage entsteht, kann dieser Nebel Tage bis Wochen überdauern, ohne von der Sonne aufgelöst werden zu können. Erst bei einem weiteren Luftaustausch verschwindet er wieder, denn es handelt sich nicht nur um die langanhaltendste Nebelform, auch Mächtigkeiten von mehreren hundert Metern sind keine Seltenheit.

Typischer Meernebel im Upwelling-Bereich des Kalifornienstroms (Golden Gate Bridge)

Typischer Meernebel im Upwelling-Bereich des Kalifornienstroms (Golden Gate Bridge)

Ein Sonderfall des Advektionsnebels ist der Küsten– oder Seenebel. Die Wasseroberflächen sind besonders im Frühling meistens deutlich kühler als die Landoberflächen. Kommt es dann zu einer Advektion der über dem Land befindlichen warmen Luftmassen, so kühlen sich diese über dem Wasser schnell ab. Die nach Erreichen des Taupunkts gebildeten Wassertropfen lagern dann als dünne Nebelschicht über der Wasserfläche, wobei man dann auch von einem Kaltwassernebel spricht. In Deutschland ist diese Nebelform vor allem im Spätfrühling an der Ostsee anzutreffen und wird durch Advektion warmer Luft aus dem südeuropäischen Raum bedingt. Besonders folgenreich ist diese Nebelform dann, wenn es am Tag durch eine Erwärmung im Landesinneren zu Seewind kommt. Der eigentlich über dem Wasser lagernde Nebel wird dann an die Küsten advehiert und kann mehrere Kilometer ins Landesinnere reichen. Ein solcher Küstennebeleinbruch ist mit einem erheblichen Wechsel von Sicht- und Temperaturbedingungen geprägt und zudem überaus plötzlich, kann also zu erheblichen Gefahren vor allem im Straßenverkehr führen. Zudem ist durch die vergleichsweise kleinen Tröpfchengrößen des Küstenebels eine erhebliche Helligkeitsreduktion zu erwarten. Die vor allem im Herbst anzutreffende Situation noch recht warmer Wassertemperaturen und vergleichsweiser kalter Luft führt zum Warmwassernebel, bei dem im Regelfall Mischungsprozesse dominieren, weshalb er auch hier eher den Mischungsnebeln zugeordnet wird.

Ebenso können unterschiedlich temperierte Meeresströmungen zu einem Advektionsnebel führen, sofern die Luft von der warmen zur kalten Wasseroberfläche strömt. Diese als Meernebel bezeichnete Erscheinung zeigt sich zum Beispiel in Neufundland, also bei Kontakt des Labradorstroms mit dem Golfstrom. Der sehr bekannte Neufundlandnebel ist dabei einer der dauerhaftesten und dichtesten Nebel überhaupt. In den Aleuten tritt diese Nebelform durch den Kontakt der Meeresströmungen Oyashio und Kuroshio ebenfalls häufiger auf.

Auch in Upwelling-Bereichen kommt es häufig zur Nebelbildung, zum Beispiel mit dem Kalifornienstrom, dem Humboldtstrom oder dem Benguela-Strom. Eine letzte Form bildet schließlich eine in Richtung von Inlandeismassen gerichteter Luftstrom, meistens vom Meer her. Hier kommt es ebenfalls zu einer Abkühlung der Luftmassen und es entsteht zum Beispiel der Grönlandnebel. In einer geringeren Ausprägung zeigt sich dieser Effekt auch bei weniger extremen Gegensätzen, zum Beispiel bei einer ungleichmäßig einsetzenden Schneeschmelze.

Orografischer Nebel

Reste eines orographischen Nebels

Reste eines orographischen Nebels

Ein Bergnebel oder in seiner meteorologisch exakten Bezeichnung orografischer Nebel bildet sich dann, wenn feuchte Luft unter adiabatischer Abkühlung an Hängen aufsteigt. Er wird daher auch zu den Abkühlungsnebeln gezählt, die Abkühlung erfolgt hier jedoch aufgrund der Erniedrigung des Luftdrucks und nicht über die Ausstrahlung oder Advektion. Zu dieser Nebelform kommt es nur dann, wenn das Kondensationsniveau unterhalb des Gipfels bzw. Grats liegt. Stabile orographische Nebel existieren überall dort, wo eine ebenso stabile Windströmung beständig Luftmassen an ein Gebirge führt, wobei man dann jedoch auch ebenso von einem Advektionsnebel sprechen kann. Dieses ist vor allem in Regionen mit Passateinfluss der Fall, also zum Beispiel in den südlichen Anden oder in Madagaskar. Sie treten auch in den Alpen und deutschen Mittelgebirgen auf, dann jedoch meistens nur bei einzelnen Wetterlagen über kurze Zeiträume.

Die Entstehung eines orografischen Nebels ist prinzipiell identisch mit einer durch Hebung entstanden Wolke und man könnte daher auch von einem Hebungsnebel sprechen. Hebungsprozesse treten dabei zwar nicht nur an orografischen Hindernissen auf, nur dort aber steigt die Erdoberfläche mit an und ermöglicht damit eine durchweg oberflächengebundene Kondensation. Nichts desto trotz ist diese Definition allgemeiner und in besonderen Fällen kann auch eine anderweitige Nebelentstehung vorkommen. Dieses ist zum Beispiel bei kleinskaligen Konvektionen der Fall, wie sie bei Mischungsnebeln eine Rolle spielen. Auch Hebungsprozesse beim Durchzug einer Warmfront können kurzfristige Nebelereignisse bedingen.

Verdunstungsnebel

Dampfnebel im Yellowstone-Nationalpark

Im Gegensatz zu den bisherigen Nebelformen, die allesamt mit einer Abkühlung verbunden waren, handelt es sich bei dem Verdunstungsnebel um eine Nebelart, die durch die Erhöhung der absoluten Luftfeuchtigkeit und damit des Taupunkts hervorgerufen wird. Dieses wird durch eine verstärkte Verdunstung erreicht, während die Temperatur des Luftpakets konstant bleibt bzw. sich nur unmaßgeblich ändert.

In der Natur tritt dieses vor allem bei herbstlich warmen Seen auf, wobei man dann von einem Dampfnebel spricht (auch Fluss- oder eingeschränkt Seenebel). Auch wenn feuchte Luft gemäßigter Temperaturen über eine Schneedecke oder einen gefrorenen Boden streicht und durch deren Erwärmung die Verdunstungsrate steigert, kann eine solche Nebelart entstehen. Diese spezielle Form bezeichnet man als Tauwetternebel.

Eine Sonderform bilden die Frontnebel, die sich vorwiegend als schmale Nebelstreifen vor einer Warmfront oder nach einer Kaltfront bilden, seltener auch direkt beim Frontdurchzug. Die ersten beiden Typen werden durch Regen hervorgerufen, der in kältere Luftmassen fällt und dabei teilweise verdunstet. Der Nebel beim Frontdurchzug selbst ist jedoch eher durch Mischungs- oder Abkühlungsprozesse gekennzeichnet, stellt also meistens keinen Verdunstungsnebel dar.

Mischungsnebel

Mischungsnebel über dem Mississippi River an einem frühen Dezembermorgen in der Näher von Le Claire, Iowa.

Mischungsnebel über dem Mississippi River an einem frühen Dezembermorgen in der Näher von Le Claire, Iowa.

„rauchendes“ Rheinwasser an einem Septembermorgen

Mischungsprozesse spielen bei vielen Nebelarten eine Rolle und sind daher in der hier gewählten Einteilung nicht klar abgrenzbar. Das Grundprinzp ist dabei immer das gleiche: Luftmassen unterschiedlicher Temperatur durchmischen sich und gleichen ihre Temperaturen dadurch an, was unter bestimmten Umständen eine Unterschreitung des Taupunkts zur Folge haben kann. Zu einer solchen Unterschreitung kommt es jedoch im Regelfall durch eine Kombination des Mischungseffekts mit anderen Prozessen, nicht durch die Mischung allein. Da die Mischung selbst weder mit einer Ausstrahlung, adiabatischen Abkühlung oder zusätzlicher Verdunstung verbunden ist, muss sie dennoch als eigener Aspekt berücksichtigt werden. Wesentlich ist dabei, dass sich die Luft allgemein nur recht langsam durchmischt und einen schlechten Wärmeüberträger darstellt. Dieses ist auch der Grund, warum Mischungsprozesse in der Regel mit Advektion oder Konvektion von Luftmassen verbunden sind und hier fast immer eine Rolle spielen.

Ein Mischungsnebel im engeren Sinne tritt vor allem in herbstlich kühlen Nächten über noch im Vergleich zur Umgebung wärmeren Gewässern auf, die dann zu „dampfen“ scheinen. Seine typisch wirbelartigen Formen entstehen durch einen mehrstufigen Prozess.

Zunächst dringt kältere Luft von außerhalb auf das Gewässer vor und erwärmt sich über diesem. Dieses hat eine Senkung der relativen Luftfeuchtigkeit zur Folge, da warme Luft mehr Wasserdampf aufnehmen kann als kalte Luft. Dadurch kommt es jedoch auch über die Verdunstung wieder zu einem Anstieg oder zumindest einer Stabilisierung der relativen Luftfeuchte. Die inzwischen hohen Temperaturen der Luft nahe der Wasseroberfläche stehen im Kontrast zur weiter oben gelegenen und nicht von der Wasserfläche erwärmten Umgebungsluft, es herrscht also eine labilen Atmosphärenschichtung.

(Aufgrund der hierdurch einsetzenden Konvektion beginnt die Luft zu steigen. In der Folge kommt es zu einer Durchmischung der beiden Luftschichten, wobei sich deren Temperaturen angleichen und die ursprünglich oberflächennahe Luft abkühlt. Die relative Luftfeuchtigkeit steigt nun rasant an und es kommt dann auch recht schnell zur Kondensation. Da die entstehenden Wassertröpfchen in den Luftturbulenzen starken Bewegungen unterliegen, entsteht für den Beobachter der Effekt des See- oder Meerrauchens. Die erwärmte Luftschicht ist dabei meistens sehr dünn und der Effekte daher auch nur bis in einige Meter Höhe beobachtbar. Sehr großflächig zeigt sich dieses bei warmen Meeresströmungen, die bis in kältere Gebiete reichen, zum Beispiel beim Golfstrom an der Küste Skandinaviens.

Der gleiche Effekte zeigt sich auch in anderen Zusammenhängen, meistens bei einer starken Sonneneinstrahlung und der damit verbundenen hohen Verdunstungsrate im Anschluss an einen Regenschauer. Hier können Hausdächer, Straßen und auch die Erdoberfläche Dampfschwaden bilden. Ein verwandter Effekt ist der lake effect snow.

Eisnebel

Eisnebel in Winnipeg bei −40 °C.

Eisnebel in Winnipeg bei −40 °C.

Beim Eisnebel schweben im Gegensatz zu normalem Nebel keine Wassertröpfchen, sondern kleine Eiskristalle in der Luft. Ein Eisnebel entsteht, wenn der Wasserdampf in sehr kalter Luft von in der Regel unter −20 °C direkt zu Eiskristallen resublimiert, das heißt ohne den Umweg über die Kondensation zu flüssigem Wasser. Je kälter es dabei ist, desto häufiger tritt Eisnebel auf, bei Temperaturen unter −45 °C und dem Vorhandensein einer Wasserdampfquelle dann fast zwingend.

In der Natur tritt Eisnebel überall da auf, wo seine Entstehungsbedingungen zusammentreffen, also niedrige Temperaturen einerseits und ein Wasserangebot andererseits. Da die Wassermengen hierzu aufgrund der extrem geringen Sättigungsmenge nicht sonderlich groß sein müssen, kommen neben offenen Wasserflächen auch anthropogene Emissionen, vulkanische Aktivitäten oder sogar Tierherden in Frage. Im größeren Maßstab sind Eisnebel vor allem über dem Polarmeer zu beobachten, sie zeigen sich jedoch auch in den Fjorden Norwegens und in Alaska recht häufig.

Eisnebel stellen einen Sonderfall dar, denn sie sind wie dargelegt nicht an Kondensationsprozesse geknüpft. Sie werden daher entweder als besondere Form dem Nebel zugerechnet oder als eigene Form vom Nebel abgegrenzt. Je nachdem welche Definition genutzt wird, ist es daher möglich, das Vorhandensein von Kondensationsprozessen in die Definition des Nebelbegriffs mit einzuschließen oder nicht. Eisnebel kann dabei recht eindeutig von normalem Nebel unterschieden werden, da nur bei ihm Haloerscheinungen auftreten und auch die Reduktion der Sichtweite normalerweise nicht zu einer Verdeckung der Sonne führt.

Turbulenznebel

Normalerweise wirken kräftige Turbulenzen nebelauflösend. Sie können jedoch auch Nebel produzieren. Das ist dann der Fall, wenn die Turbulenzen die feuchte Luft aus tiefen Wolken bis auf den Erdboden transportieren. Wenn die Temperaturzunahme nach unten hin nicht zu groß ist, kann aus den Wolken Turbulenznebel werden.

Beobachtung

Die Beobachtung von Nebel kann sich auf eine Vielzahl von Parametern beziehen und auch durch eine Vielzahl von Methoden erfolgen, zielt aber im Wesentlichen auf die folgenden Größen ab: Nebelhäufigkeit, Zeitpunkt und Dauer des Auftretens, Nebeldichte sowie vertikale und horizontale Erstreckung des Nebels. Diese Größen können lokal für eine Messstation oder regional auf Basis mehrerer Einzelmessungen bestimmt werden.

Als Maß für die Nebeldichte und damit das wichtigste Kriterium eines Nebels, über das sich bei fortwährender Beobachtung auch Nebelhäufigkeit und Dauer ergeben, dient im Regelfall die Sichtbeeinträchtigung eines Beobachters mit Blickrichtung zum Azimut. Gerade bei regelmäßigen Messungen von Flug- und Seehäfen bedient man sich jedoch automatisierter bzw. elektronischer Messverfahren, zum Beispiel Transmissometer, ASOS (automated surface observing system) und Fernerkundungsdaten. Letztere können auch die Ausdehnung des Nebels erfassen und beinhalten Satelliten-, Radar– und Lidarmessungen. Insbesondere Satellitendaten gewinnen dabei mit zunehmender Verbesserung der Auflösung immer mehr an Bedeutung. Sie sind jedoch auch nicht unproblematisch, da im Infrarotbereich ein Minimum an Temperaturunterschieden notwendig ist und der Nebel im sichtbaren Bereich durch Wolken verdeckt werden kann. Auch benötigt die Auswertung von Satellitenmessungen eine gewisse Zeit, weshalb sie für kurzfristige Vorhersagen zur Wetterentwicklung nicht geeignet sind. Über Radar besteht hingegen die Möglichkeit, über die Variation von Brechzahlen die Temperaturinversionen der Atmosphäre zu messen, was in Bezug auf die Prognose der Nebelentstehung genutzt werden kann. Lidar ermöglicht es im Gegenzug auch kleinere Tröpfchen zu erfassen.

In der Synoptik nutzt man die folgenden durch die WMO definierten Symbole zur Codierung eines nebligen Wetterzustands innerhalb einer Wetterkarte. Der zugeordnete Zahlenschlüssel unterhalb des Symbols gilt sowohl für den Synop-Code als auch für den METAR.

Symbol SYNOP Beschreibung
40 Nebel in einiger Entfernung, hat den Beobachter aber in der letzten Stunde nicht erreicht. Die Höhenlage des Nebels liegt über der des Beobachters.
47 Himmel von Nebel oder Eisnebel verdeckt, wobei dieser in der letzten Stunde dichter wurde.
45 Himmel von Nebel oder Eisnebel verdeckt, wobei sich in der letzten Stunde keine Änderungen zeigten.
43 Himmel von Nebel oder Eisnebel verdeckt, wobei dieser in der letzten Stunde dünner wurde.
46 Himmel trotz Nebel oder Eisnebel sichtbar, wobei dieser in der letzten Stunde dichter wurde.
44 Himmel trotz Nebel oder Eisnebel sichtbar, wobei sich in der letzten Stunde keine Änderungen zeigten.
42 Himmel trotz Nebel oder Eisnebel sichtbar, wobei dieser in der letzten Stunde dünner wurde.
28 Nebel hat sich vor einer Stunde aufgelöst.
12 Zusammenhängende Nebelschicht mit weniger als zwei Metern Höhenausdehnung an der Wetterstation.
11 Nebel mit weniger als zwei Metern Höhenausdehnung in einzelnen Schwaden oder Bänken an der Wetterstation.
41 Nebel oder Eisnebel in Schwaden, daher stark schwankende Sichtweiten.
48 Nebel oder Eisnebel mit Raufrost– oder Klareisbildung bei sichtbarem Himmel.
49 Nebel oder Eisnebel mit Raufrost- oder Klareisbildung bei bedecktem Himmel.

Bedeutung und Anwendungen

Meteorologie

Nebel reduziert die Sichtweite. - Der Vergleich zwischen der Sichtweiten an einem sonnigen Tag (links) und an einem nebligen Tag (rechts)

Nebel reduziert die Sichtweite.
– Der Vergleich zwischen der Sichtweiten an einem sonnigen Tag (links) und an einem nebligen Tag (rechts)

Nebelbogen

Nebelbogen

Bäume mit Reifbildung aus Nebel

Bäume mit Reifbildung aus Nebel

In der Meteorologie hat der Nebel recht unterschiedliche Bedeutungen. Je nach Entstehung kann er als Anzeichen einer bestimmten Wetterlage interpretiert werden und ist damit ein wichtiges Hilfsmittel der Wetterbeobachtung. Durch seine hohe Albedo hat er jedoch auch einen lokalen Einfluss auf die Strahlungsbilanz, was zum Beispiel im Zusammenhang mit Frost wichtig ist.

Einen eher ästhetische Bedeutung besitzt der Nebelbogen, eine Sonderform des Regenbogens bei kleinen Tröpfchengrößen.

Nebeldepositionen

Nebel ist zwar an sich kein Niederschlag, es gibt jedoch verschiedene Niederschlagsarten, die direkt an den Nebel gekoppelt sind. Dabei unterscheidet man die Nebeltraufe als flüssigen Niederschlag von den festen Niederschlägen in Form von Raufrost oder Klareis. Sie alle gehören dabei zur Gruppe der abgefangenen Niederschläge, die mengenmäßig nur unzureichend gemessen werden können und daher unter bestimmten Umständen ein erhebliches Problem bei der Erstellung einer detaillierten Wasserbilanz darstellen. Die in Verbindung mit Nebel hohe Luftfeuchtigkeit führt dabei auch zur verstärkten Bildung abgesetzter Niederschläge wie Tau oder Reif.

Es wurden in der jüngeren Zeit Techniken entwickelt, die es ermöglichen aus Nebel Wasser zu gewinnen. Dazu werden in entsprechenden Gebieten Netze oder Folien großflächig aufgespannt an denen der Nebel kondensiert und dann das Gewebe hinunter rinnt. Dabei ist der Wasser-Ertrag je aufgespannter Flächeneinheit erstaunlich hoch. In Südamerika gibt es Küstenstädte, die aufgrund der Erschließung dieser Resource durch Anlagen auf den bei ihnen liegenden Gebirgszügen zu einer wortwörtlichen Blüte gelangt sind. Die natürlichen Niederschläge sind in den Regionen eher karg. Mit zum Erfolg beigetragen hat nicht zuletzt der ständige Wind vom Meer her, der permanent neue Luftfeuchtigkeit nachliefert.

Nebelwälder und Nebelwüsten

Nebelwälder sind Wälder, in denen es auf Grund ihrer Lage häufig zu Nebel kommt. Das kann beispielsweise an den Hängen großer Gebirge in Höhen über 1500 m in Südamerika sein, wo es viele Epiphyten gibt, die so unabhängig von der Regenzeit ganzjährig an Wasser kommen. Dazu gehören viele Moose, Farne und höhere Pflanzen wie beispielsweise Orchideen. Ebenfalls finden sich hier einige endemische Tierarten, wie der Quetzal, Guatemalas Nationalvogel.

Weitere stark vom Nebel beeinflusste Gebiete bilden die Nebelwüsten, dabei insbesondere die Namib. Diese Wüste gehört mit einer durchschnittlichen Niederschlagsmenge von 20 mm im Jahr zu den trockensten Orten überhaupt. Allerdings gibt es an bis zu 200 Tagen im Jahr Morgennebel bis zu 100 km landeinwärts und so finden sich hier Pflanzen und Tiere, die den Nebel als Wasserquelle nutzen können. Am bekanntesten sind Schwarzkäfer, die auf hohen Dünenkämmen einen Kopfstand machen und so Kondenswasser aufsammeln. Auch die Welwitschie profitiert durch ihr über eine riesige Fläche ausgebreitete Wurzelwerk vom Tau. Die Atacama in Südamerika ist ebenfalls eine Nebelwüste und auch hier gibt es pflanzliche Spezialisten wie einige Blumennesselgewächse, an deren dichtem Haarkleid Nebel aus der Luft kondensiert und an der Pflanze herunter zu den Wurzeln rinnt.

Fortbewegung im Nebel

Zu Fuß

Zu beachten ist zunächst die allgemeine Orientierungslosigkeit, die ein sehr dichter Nebel zur Folge hat. Diese Gefahr besteht allgemein für jede Art der Fortbewegung im Nebel, ganz besonders aber für Wanderer und Bergsteiger im freien Gelände. Bei diesen besteht zwar aufgrund der geringen Geschwindigkeit bis auf einzelne Sonderfälle keine direkte Gefahr durch übersehene Hindernisse und Kollisionen, wie es etwa bei der Nutzung von Fortbewegungsmitteln der Fall ist, die im Verbund mit dem Nebel oft sehr niedrigen Temperaturen lassen jedoch vor allem im Winter einen ansich harmlosen Orientierungsverlust schnell zu einer lebensbedrohlichen Situation werden. Gerade in dünnbesiedelten Regionen und insbesondere Gebirgen, Mooren und Marschen empfiehlt es sich daher, bei Nebel an Ort und Stelle zu verbleiben.

Straßenverkehr

A12 in Holland

A12 in Holland

In der Verkehrsmeteorologie spielt der Nebel durch die Einschränkung der Sichtweite und die damit verbundene Wirkung vor allem auf den Straßenverkehr eine Rolle. Besonders plötzlich auftretende Nebelbänke sind eine häufige Ursache von Autounfällen und insbesondere schwerer Massenkarambolagen, weshalb auch bei dichtem Nebel (Sicht unter 50 m) der Einsatz von Nebelschlussleuchten höchst ratsam ist. Darüber hinaus ist ihr Einsatz sogar verboten, weil sie blendend wirkt. Sichtweiten von 150 m und weniger bedeuten eine Beschränkung der Geschwindigkeiten auf Autobahnen. Ab 100 m muss auch auf Landstraßen langsamer gefahren werden. Bei unter 50 m Sicht ist der Verkehr generell stark beeinträchtigt. Die empfohlenen Höchstgeschwindigkeiten betragen nach Faustregel in den drei Fällen 100, 80 und 50 km/h. Sinkt die Sichtweite weiter, ist das Tempo anzupassen oder im Extremfall der Betrieb des Fahrzeugs ganz einzustellen.

Nebel beeinflusst weiterhin die Geschwindigkeitswahrnehmung des Fahrers, so dass dieser den Eindruck hat, er fahre langsamer, als es tatsächlich der Fall ist. Bei unzureichender Nutzung des Tachometers ist eine zu hohe Geschwindigkeit in Relation zur Sichtweite die Folge. Auch die nebelbedingte Feuchte der Fahrbahn kann zu gefährlichen Situationen führen, da die Bremsverzögerung herabgesetzt wird. Bei schwerwiegenden Unfällen traten meistens alle Faktoren zusammen auf, oft auch mit nebelunabhängigen Beeinträchtigungen wie Übermüdung, Zeitdruck oder Alkoholeinfluss, wodurch sich das Unfallrisiko entsprechend erhöht. Aus diesem Grunde ist vor allem eine starke Reduktion der Geschwindigkeit und damit des Anhaltewegs erforderlich, wobei dieser zur Sicherheit weniger als die Hälfte der Sichtweite betragen sollte.

Um die Gefahren zu verringern, wurden mittlerweile auch Sensoren entwickelt und in Serie gebracht, die per Radar in Fahrtrichtung auch durch Nebelwände hindurch Hindernisse erkennen können. Das Tempo der Fahrt sollte deshalb zwar nicht gesteigert werden, aber der Fahrer kann sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bereits darauf verlassen rechtzeitig gewarnt zu werden, so dass er per Bremsung schadenfrei zum Stillstand kommt oder zumindest einen wesentlich sanfteren Aufprall erleidet. In städtischen Umgebungen oder auch in Tunneln sind diese Sensoren jedoch nur bedingt funktionsfähig, da hier generell zu viele störende Funk-Reflexionen auftreten.

Schifffahrt

Nebel um den Peggys Cove Leuchtturm, Nova Scotia, Kanada.

Nebel um den Peggys Cove Leuchtturm, Nova Scotia, Kanada.

Bei Schiffen haben sich Radaranlagen bewährt, wobei Nebel in der Vergangenheit mehrmals zu schwerwiegenden Kollisionen führte. Dieses zog nach sich, dass vor allem der Schiffsverkehr oft völlig zum Erliegen kam. Gerade bei Schiffen und Flugzeugen ohne entsprechende Technologie besteht die nebelbedingte Kollisionsgefahr allerdings nach wie vor.

Eine bedeutende Katastrophe, bei der Nebel wohl eine der Hauptursache darstellte, war die Kollision der Schiffe Andrea Doria und Stockholm im Jahr 1956, bei der 52 Menschen starben. Neben diesen eher seltenen Ereignissen steht jedoch der wirtschaftliche Schaden im Vordergrund, da eine Einstellung oder zumindest Verlangsamung des Schiffsverkehrs erhebliche finanzielle Belastungen zur Folge hat. Um auch bei geringen Sichtweiten eine möglichst sichere Navigation zu ermöglichen, finden daher Nebelhörner und Nebeltonnen als Seezeichen Anwendung. Letztere umfassen Heultonnen und Gongtonnen sowie ehemals Glockentonnen.

Luftfahrt

Die Luftfahrt setzt schon seit dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts stark auf Radar und konnte damit schon sehr früh zumindest assistierend vom Boden aus den Piloten Hilfestellung geben. Mittlerweile ist die Zahl der Radar-Einheiten zur Beherrschung von Nebel, Wolken und anderen sichbehindernden Effekten in einem heutigen Langstreckenflugzeug an der Grenze zur Zweistelligkeit angekommen. Kleinflugzeuge fliegen jedoch auch weiterhin in der Mehrzahl rein nach Sichtflugbedingungen und müssen Nebel deswegen auch weiterhin stark berücksichtigen.

Im Luftverkehr erschwert Nebel damit heute zwar weniger den Flugverkehr selbst, hat jedoch erhebliche Folgen, wenn er auf Flugplätzen eine Sichtweite von etwa 1,2 Kilometern unterschreitet. Starts sind prinzipiell möglich, jedoch ist das Risiko größer. Zwar ist es auf allen Verkehrsflughäfen möglich per Instrumentenlandesystem ein Flugzeug auf den Boden zu bringen, jedoch behält man sich als letzte Sicherheit die visuelle Kontrolle von Befeuerung und Landebahn durch den Piloten vor. Tritt starker Nebel auf, so kann dieses bis zum zeitweiligen Ausfall des gesamten Flughafens führen. Flugzeuge müssen umgeleitet werden und allenfalls unausweichliche Landungen, zum Beispiel wegen Treibstoffmangels, werden dann noch gewagt. Der Franz-Josef-Strauß-Flughafen im Erdinger Moos, einem ehemaligem Moor und potentiellen Nebel-Gebiet in der Nähe von München, ist ein Beispiel für einen Flugplatz, der häufiger durch Nebel beeinträchtigt wird. Auch wenn die tatsächlichen Ausfallzeiten, schon alleine aufgrund der Größe der Anlage, noch erträglich klein sind, so zeigt sich hier, welche Bedeutung allein schon die bauliche Planung derartig nebelempfindlicher Anlagen besitzt. Dieses ist insbesondere vor dem Hintergrund bedeutsam, dass es auch heute (2005) keine wirtschaftlich tragbaren Methoden zur Nebelbeseitigung gibt.

Raumfahrt und Diverses

Raumfähre Challenger im Nebel

Raumfähre Challenger im Nebel

Auch in ähnlichen Situationen kann Nebel von Bedeutung sein, so zum Beispiel bei militärischen Operationen, Rettungsmissionen oder für Betrieb eines Weltraumbahnhofs. So mussten beispielsweise die Starts von Shuttlemissionen von Cap Canaveral des Öfteren aufgrund von Nebel verschoben werden. Auch die Landung in der Normandie 1944 oder der Einsatz von UN-Truppen in Tuzla 1995 wurde durch nebliges Wetter verzögert.

Umweltverschmutzung und Schadstoffausbreitung

Nebel besteht zwar aus Wassertröpfchen, doch handelt es sich dabei keineswegs um reines Wasser. Es können eine Vielzahl von Stoffen in ihm gelöst sein, für die der Nebel bzw. dessen Tröpfchen ein Verbreitungsmedium darstellt. So hatte Nebel in Kombination mit schwerer Luftverschmutzung einen wichtigen Anteil an Smog-Katastrophen wie 1930 in Belgien, 1948 in Pennsylvania und besonders 1952 in London. Er stellt jedoch auch unabhängig von derlei Extremereignissen ein Problem dar, zum Beispiel in Kombination mit Öl- und Waldbränden. Dabei werden durch diese Schadstoffe oft erst die Kondensationskerne zur Verfügung gestellt, an denen sich der Nebel bilden kann, was auch der wesentliche Grund ist, weshalb sich London in der Vergangenheit besonders nebelreich zeigte. Der Übergang zum trockenen Dunst ist dabei in vielen Fällen fließend.

Künstliche Nebelbeeinflussung

Der in Fragen der Verkehrssicherheit aber auch in Bezug auf Freiluftveranstaltungen unerwünschte Nebel wird in besonderen Fällen durch technische wie chemische Verfahren beseitigt, insofern der hierfür nötige Aufwand verhältnismäßig erscheint. Die Verfahren sind dabei zwar vielfältig, zeichnen sich jedoch meistens durch hohe Kosten und eine geringe Effektivität aus. Die Nebelbeseitigung ist daher allgemein ein sehr aufwändiges und kostspieliges Unterfangen, weshalb sie nur in Sonderfällen Anwendung findet und auch in diesen immer seltener wird.

Ein heute kaum noch angewandtes Verfahren ist die Pistenheizung, also die schlichte Erwärmung der Landenbahnen eines Flughafens, um durch die dann höheren Temperaturen der Luft in Bodennähe eine Auflösung des Nebels zu erreichen. Dieses ist nur bei einer geringen Mächtigkeit des Nebels und gleichzeitig niedrigen Windgeschwindigkeiten erfolgversprechend, wird aber aufgrund der hohen Energiekosten heute kaum noch angewandt. Eine andere Möglichkeit geht genau den entgegen gesetzten Weg, indem man versucht, die Tröpfchengrößen innerhalb des Nebels soweit zu erhöhen, dass dieser ausregnet. Dazu setzt man flüssiges bzw. festes Propan oder Kohlenstoffdioxid ein, die über ihre Verdunstungswärme eine Reduktion der Lufttemperaturen und dadurch verstärkte Kondensation bzw. Resublimation bedingen. Dieses ist wiederum nur bei Temperaturen unter etwa 0 °C mit vertretbarem Aufwand möglich. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Luftschichten zu durchmischen und dadurch die Inversion aufzulösen, was meistens über Hubschrauber umgesetzt wird. Deren Wirkungsbereich ist jedoch sehr gering und die Wirksamkeit einer solchen Methode daher auch meistens auf kurze Zeiträume begrenzt.

Grundsätzlich zeigt sich, dass Maßnahmen zur Nebelbeseitigung immer nur begrenzt erfolgreich sein können und auch nur da sinnvoll sind, wo durch Nebel außerordentlich starke Kosten bzw. Gefahren entstehen. Eine flächendeckende Nebelbeseitigung auf Straßen bzw. auch nur Autobahnen ist daher von vornherein unverhältnismäßig. Hier kann neben einer angepassten Fahrweise seitens der Verkehrsteilnehmer nur eine entsprechend sensible Verkehrswegeplanung sowie langfristige Wasserhaushaltsmaßnahmen Abhilfe schaffen, also eine Nebelvermeidung. Daher eignen sich auch von Kaltlufteinschlüssen geprägte Grundstücke wie Senken wenig für nebelsensible Anlagen, ebenso wie Standorte mit häufigen Advektionsnebeln.

Kunstnebel

Künstlich lässt sich Nebel entweder durch gezielte Übersättigung von Luft mit Wasser herstellen oder direkt durch feines Versprühen von Flüssigkeit. Der meiste künstlich erzeugte Nebel oder besser Dunst ist dabei ein Nebenprodukt mit geringer Überlebensdauer. Gerade im Winter führen die meistens warmen Abgase von Fabriken und Fahrzeugen zur Bildung kleinerer Nebelmengen, die jedoch im Regelfall sehr schnell wieder verdunsten. Will man Nebel dagegen absichtlich erzeugen, verwendet man meistens Nebelmaschinen.

Derartiger Kunstnebel wird in der Theater- und Veranstaltungstechnik auf verschiedene Arten erzeugt. Je nach der gewünschten Beschaffenheit des Nebels werden verschiedene Techniken und Maschinen verwendet:

  • Feiner Dunst um die Lichtkegel von Scheinwerfern besser sichtbar zu machen, sogenannter Haze.
  • Dichter Effektnebel, meistens punktuell und kurzzeitig eingesetzt.
  • Bodennebel für einen dichten Nebelteppich in Bodennähe.

Eine wissenschaftliche Anwendung künstlichen Nebels ist die Nebelkammer. Diese nutzt aus, dass ionisierende Strahlung Kondensationskeime bildet, an denen sich besonders viele Wassertröpfchen bilden. Schnell durchfliegende Teilchen erzeugen dadurch entlang ihrer Flugbahn einen Streifen dichteren Nebels. Die Teilchen werden durch ein Magnetfeld unterschiedlich abgelenkt, so dass sie anhand ihrer Flugbahn identifiziert werden können.

Während des Zweiten Weltkriegs wurden sogenannte Nebelsäuren dazu eingesetzt, künstliche Nebel zum Schutz von Fabriken oder militärischen Anlagen gegen Luftangriffe zu erzeugen. Auch dienten sie als Kampfstoffe mit Nebelwirkung.

Weinbau

Botrytis cinerea auf Riesling-Weinbeeren

Botrytis cinerea auf Riesling-Weinbeeren

Nebel ist auch in der Weinbereitung von Bedeutung. So ergießt sich beispielsweise der wärmere Fluss Ciron südöstlich von Bordeaux in die kühlere Garonne und erzeugt dabei in den Monaten Oktober und November einen Nebel, der das Wachstum des Pilzes Botrytis cinerea fördert. Dieser löchert die Beerenhäute der Trauben, wodurch aus diesen Wasser austritt und somit ihre Süße konzentriert. Dieses ist für die Weine aus Sauternes wichtig, deren prominentester Vertreter der Wein vom Château d’Yquem ist.

Weiterhin führt Nebel auch zur Abmilderung des Klimas durch die Erhöhung der Wärmekapazität der Luft, was Weintrauben vor dem Erfrieren schützen kann. Es findet sogar regelrecht ein Wärmetransport aus Flussniederungen an die exponierten Höhenlagen der Weinberge statt. Auch kann bei Anwesenheit von Nebel durch Kondensation und Reif-Bildung aus Nebel sehr viel Energie freigegeben werden, so dass die Temperaturen im Inneren der Trauben noch länger oberhalb oder an der Null-Grad-Grenze verweilen, bei der Wasser gefriert.

Literatur

  • Malberg, H. (2002): Meteorologie und Klimatologie. Eine Einführung. (4., aktualisierte u. erweiterte Aufl.). Springer, Berlin. ISBN 3540429190
  • Häckel H. (1999): Meteorologie. 4. Aufl. Ulmer Verlag, Stuttgart; UTB 1338; 448 S. ISBN 3825213382
  • Holton J. R. et. al. (2002): Encyplopedia of Atmospheric Sciences. San Diego, London, Academic Press. ISBN 0122270908
  • American Meteorological Society (1959): Glossary of Meteorology. – Boston. (Online Version)

Weblinks

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Bibliografische Angaben für „Nebel

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Dienstag, 19 Februar 2008 Posted by | 2008-02-19 | , , , | 3 Kommentare

Bauernregel Montag 18. Februar 2008

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Holder klingt der Vogelsang

Holder klingt der Vogelsang,
Wenn die Engelreine,
Die mein Jünglingsherz bezwang
Wandelt durch die Haine.
Röter blühen Tal und Au,
Grüner wird der Wasen,
Wo die Finger meiner Frau
Maienblumen lasen.
Ohne sie ist alles tot,
Welk sind Blüt‘ und Kräuter;
Und kein Frühlingsabendrot
Dünkt mir schön und heiter.
Traute, minnigliche Frau,
Wollest nimmer fliehen;
Daß mein Herz, gleich dieser Au,
Mög‘ in Wonne blühen!

Quellenangabe
Name Wert
author Projekt Gutenberg-DE
author Ludwig Heinrich Christoph Hölty
type poem
title Holder klingt der Vogelsang
sender RECmusic.org
created 20000131
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vogelsang.jpg

gabisch bei pixelio.de

Ein Mord im Criminalgefängniß von Nürnberg

1830
In der Nähe des Hallerthürleins, wo das träge dahinschleichende Wasser des trüben Pegintzflusses die alte Stadt Nürnberg verläßt, erhebt sich kühn über dem Strome ein finster blickendes, im modernen Stil gehaltenes Gebäude. Auf beiden Seiten sieht man kleine, halbrunde, vergitterte Fenster, in der Mitte etliche ebenfalls mit Eisenstäben versehene Bogenfenster. Zieht man die schrilltönende Schelle am Eingang, so öffnet sich mittels eines verdeckten Drathzuges das eiserne Thor; man steigt mehrere Stufen hinauf zu einer starken Eisengitterthür, welche die Haustreppe von dem Vorplatze absperrt. Auf diesem angelangt, erblickt man zur Rechten einen tiefen dunkeln Gang und in demselben wol zwanzig mit starken Riegeln verschlossene Thüren. Der Gang ist von dem Vorplatze durch ein Eisengitter getrennt. An den Vorplatz stoßen mehrere Räume: eine Stube, eine helle, geräumige Küche, eine Kammer, die zur Zeit unserer Geschichte als Schlafgemach und nebenbei als Werkstatt benutzt wurde. Abseits von diesen Räumlichkeiten liegt versteckt in einem Winkel noch eine Kammer, die Schreinerei genannt, sie diente zur Niederlage für Werkzeuge aller Art.
Das Gebäude, welches wir beschrieben haben, ist das Criminalgefängniß des vormaligen Kreis- und Stadtgerichts Nürnberg, die Fronfeste genannt, sie enthält außer den Gefängniszellen die Wohnung für den Eisengerichtsdiener und seine Familie, und eine kleine Stube auf jenem Gange, in welcher der Eisenknecht haust, umgeben von Schließzeug, als: Schellen, Springer, Kreuzketten und andere für besonders gefährliche oder widerspenstige Gefangene notwendige Geräthe.
Im Jahre 1830 war Karl Vogelsang Eisengerichtsdiener. Außer ihm, seiner Frau und seinen drei Kindern wohnte noch eine alte Base mit im Gefängniß, die Magddienste bei ihm verrichtete, und drei Eisenknechte, die abwechselnd Tag und Nacht wachten. Vogelsang hatte sich zwar in den neun Jahren seiner Dienstzeit nichts Erhebliches zu Schulden kommen lassen, aber er galt für einen lebenslustigen, vergnügungssüchtigen Mann, und es war bekannt, daß er oft bis in die späte Nacht mit seiner Familie an öffentlichen Orten verweilte uud die Sorge für die Gefangenen und das Gefängniß den Eisenknechten überließ.
Am 19. Febr. 1830 ging Vogelsang abends um 7 Uhr mit Weib und Kind in das Gasthaus zur Stadt Würzburg, um einer musikalischen Abendunterhaltung beizuwohnen. Der Eisenknecht Kämmerer hielt Wache, er hatte sich in seinem Stübchen ein behagliches Feuer angebrannt und schrieb für einen Gefangenen einen Brief. Die Base Neubauer war damit beschäftigt, die Wohnstube und die Küche zu reinigen.
Um 9 Uhr abends hörten die Gefangenen in der Gefängnißzelle Nr. 17 klopfen, dann vernahmen sie die Stimmen mehrerer Personen, bald darauf entstand ein Gepolter, wie wenn ein paar Stühle umfielen, und es erklangen die Schritte von zwei Männern, welche den Gang vorkamen und auf die Vogelsang’sche Wohnstube zueilten.
Von nun an trat tiefe, ununterbrochene Stille ein, die unfreiwilligen Bewohner des Gefängnisses überließen sich dem Schlafe.
Gegen 12 Uhr kehrte Vogelsang mit den Seinigen heim. Wohlgemuth stieg der Eisengerichtsdiener, der sich sehr gut amusirt hatte, die Treppe hinauf zu seiner Stube. Plötzlich bemerkte er, daß das Eisengitter vor dem Vorplatze offen stand. Erschrocken eilte er in die Wohnstube, hier sah er bei dem Scheine eines tief abgebrannten Lichtes die wildeste Unordnung: die Schränke und Kommoden waren erbrochen, auf den Dielen lagen Kleider und Geräthe herum, in einer Ecke lag ein eiserner Hammer, an welchem frisches Blut und Menschenhaare klebten, und ein blutiges Rasirmesser. Vogelsang rief den Eisenknecht und seine Base Neubauer, aber niemand antwortete und bald zeigte es sich, daß beide das Opfer eines schweren Verbrechens geworden waren. In der Wachtstube lag Kämmerer mit eingeschlagenem Schädel und durchgeschnittener Kehle vor seinem Bett in einer Blutlache, in der Küche fand man die Leiche der Neubauer. Der Kopf war zerschmettert, am Halse klaffte eine breite, tiefe Wunde.
Vogelsang erstattete sofort Anzeige, es ward unter Beihülfe von zwei Polizei- und zwei Liniensoldaten augenblicklich eine Visitation sämmtlicher Gefängnißzellen vorgenommen und es ergab sich, daß alle bis auf eine fest verschlossen, daß alle Gefangenen bis auf zwei anwesend waren. Die Zelle Nr. 17 stand offen und zwei ihrer Bewohner, der Flaschnergeselle Cörper und der Buchhändlerlehrling Lober, fehlten. Der dritte Insasse, ein Buchhändlerlehrling Meier, gab auf Befragen an: er wisse nicht, wo Cörper und Lober wären, sie hätten geklopft und Wasser gefordert, Kämmerer habe aufgeschlossen, sie hinausgelassen und keiner sei wiedergekommen, er wisse nicht, was aus ihnen geworden.
Es war klar, daß Cörper und Lober den schrecklichen Mord verübt, daß sie sich auf diese Weise die Thür des Gefängnisses geöffnet und zuvor Kisten und Kasten erbrochen und was von dem Eigenthum Vogelsang’s ihnen brauchbar schien, mitgenommen hatten.
Schon am 20. Febr. wurden beide in einem Wirthshause in der Nähe von Heilsbronn ergriffen, in Fesseln gelegt und zu Wagen, unter dem Geleit einer 60 Mann starken Cavalerie- und Infanterieabtheilung, welche sie vor der Wuth der aufgeregten Volksmenge schützte, in das landgerichtliche Gefängnis von Nürnberg, den sogenannten Wasserthurm, eingeliefert.
Friedrich Cörper, 31 Jahre alt, ledigen Standes, wurde im Jahre 1799 in Nürnberg geboren, wo sein Vater Dachdecker war. Er erhielt eine gute Erziehung und den gewöhnlichen Schulunterricht. Nach der Confirmation kam er in die Lehre zu einem Flaschnermeister seiner Vaterstadt, dann ging er auf die Wanderschaft, wurde Soldat, führte sich aber nirgends zur Zufriedenheit seiner Meister und Vorgesetzten. Eine ihm zufallende Erbschaft von 1500 Fl. verschwendete er in kurzer Zeit, zur Arbeit hatte er wenig Lust und vor fremdem Eigenthum zeigte er geringen Respect.
Schon als junger Mensch wurde er wegen Betrugs mit drei Monaten Gefängniß, im Jahre 1824 wegen Diebstahls mit drei Jahren Arbeitshaus bestraft. Nach verbüßter Strafe arbeitete er in Mühlhausen in Preußen, hier stahl er ein Pferd sammt dem Reitzeuge und ergriff dann die Flucht; auf dem Wege nach Nürnberg entwendete er wieder ein mit Kleidern gefülltes Felleisen und wurde bald nach seiner Ankunft in Nürnberg auf Requisition des preußischen Gerichts verhaftet und in das Criminalgefängniß gebracht. Anfänglich erhielt er die Erlaubniß, für seine Rechnung seine Profession zu betreiben; er fertigte Kessel, Leuchter, Laternen und andere nützliche Gegenstände, welche die Frau des Eisengerichtsdieners Vogelsang verkaufte. Dafür bekam er und sein Kamerad Lober, der ihm bei der Arbeit half, Braten und Bier, und beide durften so manchen Abend statt im Kerker in der Wohnstube Vogelsangs zubringen und sich hier gütlich thun.
Im December wurde jene Erlaubniß, wir wissen nicht aus welchen Gründen, vom Director zurückgenommen. Das war ein Donnerschlag für Frau Vogelsang, die das schöne Geld nicht missen, für Cörper und Lober, die den Braten und das bairische Bier nicht entbehren wollten. Man kam überein, die Arbeit solle im geheimen fortgesetzt werden. Die abseits gelegene Kammer ward zur Werkstatt hergerichtet, Cörper und Lober hantierten darin mit Löthkolben, Amboß und Polirhammer, Frau Vogelsang verwerthete eine Laterne nach der andern und die Gefangenen verzehrten einen Schweinebraten nach dem andern.
Johann Georg Paul Lober, dessen wir schon öfter gedacht, ist 1809 in Nürnberg geboren. Er ging daselbst in die Schule, wurde confirmirt und kam dann zu dem Buchhändler und Antiquar Lechner in die Lehre. Hier veruntreute er beträchtliche Summen, wurde deshalb eingezogen und bewohnte vom August 1829 an eine Zelle mit Cörper. Beide wurden Freunde, Lober zeigte sich als Cörper’s gelehriger Schüler und lebte mit ihm zusammen im Gefängniß ein recht vergnügtes Leben.
Zu Anfang des Jahres 1830 traf die Schreckenskunde ein: Lober’s Urtheil sei angekommen, und es laute auf zwei Jahre Arbeitshaus. Fast gleichzeitig wurde dem Cörper eröffnet, seine Untersuchung sei spruchreif, er werde wol vier Jahre Arbeitshaus erhalten. Nun waren die schönen Tage vorüber, nun sollten sie sich von den Fleischtöpfen trennen, sich beugen unter die harte Zucht der Strafanstalt, und sich begnügen mit magerer Kost. Dieser Gedanke war unerträglich, für Cörper die Aussicht um so schrecklicher, als er den Aufenthalt im Arbeitshaufe bereits kannte. Er beschloß zu fliehen und theilte Lober seine Pläne mit; dieser war einverstanden und beide warteten nur auf eine Gelegenheit, ihr Vorhaben auszuführen. Am 19. Febr. abends, wo Vogelsang und die Seinigen weggegangen, waren, schien ihnen der rechte Augenblick gekommen zu sein. Cörper bahnte sich den Weg zur Freiheit über zwei Leichen, und Lober leistete ihm Beistand.
Hören wir zunächst sein, dann Lober’s Bekenntnis;. Cörper sagt: »Vogelsang und seine Familie waren ins Concert gegangen, ersterer hatte uns vorher eingeschlossen, mir aber ein Rasirmesser, mit welchem ich mir den Bart abnehmen wollte, gelassen. Lober flüsterte mir zu: »Heute ist niemand zu Hause, da wollen wir sehen, daß wir hinauskommen.« Ich war es zufrieden. Wir klopften so lange, bis der Eisenknecht Kämmerer aufschloß. Wir verlangten Wasser und baten ihn, er möchte uns den Abend in der Wachtstube verbringen lassen. Kämmerer gewährte mir die Bitte, gab uns Licht und sagte, wir sollten einstweilen hineingehen, er wollte erst noch einen Brief schreiben, dann käme er nach. Ich holte mir aus der Werkstatt den Polirhammer, und wir beide warteten nun auf Kämmerer. Nach einer kleinen Weile kam er und erzählte uns von einem österreichischen Soldaten, der eingeliefert worden sei, er saß auf einem Stuhle an seinem Bette und stützte den Kopf in die Hand. Da nahm ich auf einmal, wie es gekommen ist, kann ich selbst nicht sagen, den Hammer und schlug den Kämmerer auf den Kopf, daß er zu Boden fiel; dann ergriff ich das Messer und schnitt ihm den Hals durch. Wir gingen nun vor in die Küche, wo die Magd auf dem Boden kniete und fegte; wir haben es ihr beide ebenso gemacht, nämlich ich habe sie mit dem Hammer auf den Kopf geschlagen und sie auch mit dem Messer in den Hals geschnitten. Lober hat dabei das Licht gehalten. Hierauf haben wir die Schränke aufgemacht, Kleider von Vogelsang und seinem Sohne herausgenommen, uns angekleidet und sind zur Fronfeste hinaus. Die Kleider haben wir entwendet, weil wir auf diese Weise leichter zu entkommen dachten. Wir wollten über die Grenze nach Würtemberg und von da nach Baden fliehen.«
Etwas abweichend hiervon erzählt Lober den Vorgang so:
»Wir wußten, daß Vogelsang ausgegangen und daß nur der Eisenknecht Kämmerer und die Magd zu Hause waren. Cörper klopfte an und sagte zu Kämmerer, der uns aufschloß: «Wir wollen noch ein wenig zu Ihnen in die Wachtstube.« Kämmerer gab seine Zustimmung und befahl mir, einstweilen einzuheizen, er wolle noch eine Adresse schreiben. Während ich einheizte, ging Cörper in die Werkstatt, was er dort gemacht hat, weiß ich nicht. Er kehrte schnell zurück, Kämmerer kam auch und nun waren wir alle drei in der Wachtstube. Kämmerer setzte sich an den Ofen, ich stand am Ofen, Cörper stand am Fenster und hatte die Hände auf dem Rücken. Kämmerer theilte uns mit, daß ein Soldat in das Gefängniß gebracht worden, und dann, daß früher einmal ein Gefangener, Namens Schmidt, echappirt sei. Als er noch im Erzählen war, sprang Cörper auf ihn zu, schmetterte ihn durch einen furchtbaren Schlag mit dem Polirhammer zu Boden und versetzte ihm dann noch einige Schläge. Ich erschrak heftig und wollte mit dem Lichte hinaus. Cörper packte mich aber am Arme, holte ein Rasirmesser aus der Tasche und schnitt dem Eisenknecht die Kehle ab. Ich lief fort, Cörper holte mich jedoch ein und stürmte an mir vorüber in die Küche; hier erhielt die Magd zwei Hammerschläge von ihm, daß sie niederstürzte. Ich konnte es nicht mit ansehen und begab mich in das Wohnzimmer. Cörper kam mir nach und sagte mit dem Hammer drohend: »Wenn du jetzt nicht mitgehst, so ist dir ebenfalls der Hammer gewiß, denn ich spaße nicht gern.« Ich mußte natürlich Ja sagen, er erwiderte: »Dann ist’s gut.« Cörper erbrach mit einem Stemmeisen zwei Schränke, ein Pult und eine Kommode und nahm Geld, Kleider und was ihm sonst gefiel an sich, ich habe ihm das Licht gehalten und dann mit ihm die Flucht ergriffen.«
Die Widersprüche in den Aussagen der beiden Verbrecher sind nicht gelöst worden; eine Lösung ist aber auch kaum nöthig, denn es erhellt so viel, daß Cörper der Rädelsführer gewesen ist und den Mord verübt hat. Lober war nichts weiter als sein Gehülfe. Ohne Zweifel ist es eine Lüge, daß Lober nur aus Furcht vor den Todesdrohungen Cörper’s das Licht gehalten haben und völlig passiv gewesen sein will. Ungewiß ist es nur, ob er sich vorher mit Cörper zu dem Morde verabredet hat, ob der letztere nicht blos aus dem Entschlusse Cörper’s hervorgegangen ist.
Am 5. Juni 1830 verurtheilte das bairische Appellationsgericht des Rezatkreises den Flaschnergesellen Friedrich Cörper wegen des von ihm begangenen Doppelmordes zum Tode, den Buchhändlerlehrling Lober aber wegen seiner Hülfeleistung beim Morde zu Zuchthausstrafe auf unbestimmte Zeit.
Das Oberappellationsgericht in München bestätigte das Erkenntniß gegen Cörper, sprach aber Lober von der Theilnahme am Morde wegen mangelnden Beweises frei und erklärte ihn nur für schuldig der Unterschlagung von Geldern seines Lehrherrn und des ausgezeichneten Diebstahls bei Vogelsang. Er wurde deshalb mit achtjähriger Arbeitshausstrafe belegt und am 10. Oct. 1830 in das Arbeitshaus zn Schwabach abgeführt.
Am 18. Oct. 1830 eröffnete das Gericht dem Friedrich Cörper, daß ihm das Leben abgesprochen worden sei und daß der König sich nicht bewogen gefunden habe, in den Lauf des Rechts einzugreifen. Der Delinquent hörte das Todesurtheil mit großer Fassung an, unterschrieb das Protokoll mit sicherer Hand und erbat sich, was ihm nach bairischer Gesetzgebung freistand, noch eine Frist von drei Tagen. Am 21. Oct. bestieg er das Schaffot und nach wenigen Minuten stand seine Seele vor Gott.

Quellenangabe
Name Wert
type fiction
author W. Alexis
title Der Neue Pitaval
publisher F.-A. Brockhaus
series Neue Serie
volume Zweiter Band
editor Fortgesetzt von Dr. A. Bollert
year 1867
firstpub 1867
corrector hille@abc.de
sender http://www.gaga.net
created 20060211
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© Projekt Gutenberg

Ordensburg Vogelsang

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Übersicht der Burganlage von Wollseifen aus

Übersicht der Burganlage von Wollseifen aus

Die Ordensburg Vogelsang ist ein ehemals nationalsozialistischer Gebäudekomplex auf dem früheren Truppenübungsplatz Vogelsang im Nationalpark Eifel in Nordrhein-Westfalen. Die gewaltige Anlage diente den Nationalsozialisten zwischen 1936 und 1939 als Schulungsburg für die Ausbildung ihres Führungsnachwuchses. Heute ist das Areal öffentlich zugänglich und zählt zu den wenigen erhaltenen vollständigen Ensembles nationalsozialistischer Architektur. Es gilt nach den Parteitagsbauten in Nürnberg mit fast 100 ha bebauter Fläche als die größte bauliche Hinterlassenschaft des Nationalsozialismus in Deutschland. Der unter Denkmalschutz stehende Teil der Bauwerke umfasst eine Bruttogeschossfläche von mehr als 50.000 Quadratmetern.

Inhaltsverzeichnis

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Geschichte

Der 48 m hohe Turm (Wassertank) der Ordensburg

Der 48 m hohe Turm (Wassertank) der Ordensburg

Planung und Bau ab 1933

1933 forderte Adolf Hitler im Rahmen einer Rede in Bernau bei Berlin den Bau von neuen Schulen für den „Führernachwuchs“ der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Mit dem Bau wurde der so genannte „Reichsorganisationsleiter“ Robert Ley betraut. Ley gab den Bau dreier „Schulungslager“ (NSDAP-Ordensburgen) in Auftrag:

Finanziert wurde der Bau, der größtenteils auf der Gemarkung der Gemeinde Schleiden vollzogen wurde, aus Geldern der enteigneten Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände.

Den Planungsauftrag für Crössinsee und Vogelsang bekam der Kölner Architekt Clemens Klotz. „Burgkommandant“ war zwischen dem 22. September 1934 und dem 1. Juli 1937 Franz Binz, der sich zuvor als Kreisleiter der NSDAP für Schleiden für den Bau eingesetzt hatte.

Die Bezeichnung NS-Ordensburg für die drei Bauwerke wurde erst ab 1935 üblich. Die Burg Vogelsang wurde im ersten Bauabschnitt von bis zu 1.500 Arbeitern innerhalb von nur zwei Jahren errichtet.

Zusätzlich zu den auf Vogelsang errichteten Bauwerken waren noch weitaus größere Bauten geplant. Unter anderem sollte ein gigantisches „Haus des Wissens“ als Bibliothek entstehen, das die vorhandenen Gebäude schon alleine mit seiner Grundfläche von 100 m x 300 m buchstäblich in den Schatten gestellt hätte. Darüber hinaus war ein „Kraft durch Freude-Hotel“ mit 2.000 Betten geplant. Auf Vogelsang sollten zudem die größten Sportstätten Europas entstehen. Die teilweise bereits begonnenen Bauarbeiten wurden bei Kriegsbeginn eingestellt.

Geplant und teilweise ausgeführt wurden folgende Bauwerke:

  • Der Eingangsbereich mit Tor und zwei Türmen (größtenteils fertiggestellt),
  • Das Haus des Wissens (nur Sockelmauern fertiggestellt),
  • Das Gemeinschaftshaus mit Adlerhof, Turm, Ost- und Westflügel (fertiggestellt, teilweise kriegszerstört),
  • Die Burgschänke (fertiggestellt),
  • Zehn Kameradschaftshäuser für jeweils 50 Zöglinge (fertiggestellt, teilweise kriegszerstört),
  • Vier Hundertschaftshäuser für jeweils 100 Zöglinge (fertiggestellt),
  • Der Thingplatz als Veranstaltungsbühne (fertiggestellt),
  • Sportanlagen mit Tribüne, Turn- und Schwimmhalle (fertiggestellt),
  • Das Feuermal Fackelträger (fertiggestellt),
  • Das Haus der weiblichen Angestellten (fertiggestellt).
  • Dorf Vogelsang auf der anderen Talseite, als Unterkunft für die Bediensteten und deren Familien (Teilweise Rohbauten)

Künstlerische Gestaltung

Die meisten Plastiken in Vogelsang – Fackelträger, Der deutsche Mensch und das Sportlerrelief – stammen von Willy Meller. Während die Holzplastik Der deutsche Mensch 1945 verschwunden ist, sind die beiden anderen Plastiken – teilweise beschädigt – bis heute erhalten.

Nach einem Besuch Adolf Hitlers im Jahre 1937 wurde das Eingangstor mit Dorischen Säulen ohne irgendeine statische Funktion ergänzt. Berichten zufolge ging die Initiative dazu von Hitler selbst aus.

Schulungsburg der NSDAP ab 1936

Am 24. April 1936 wurden die drei Ordensburgen in einem Festakt an Adolf Hitler übergeben. Wenig später rückten die ersten 500 sogenannten Junker auf Vogelsang ein. Die Lehrgangsteilnehmer kamen aus ganz Deutschland. Sie waren auf Vorschlag der Gauleitungen von Robert Ley handverlesen ausgewählt worden. Die meisten waren Mitte zwanzig. Voraussetzung waren erste „Bewährung“ in der Parteiarbeit, völlige körperliche Gesundheit, Arbeits- und Militärdienst sowie ein Abstammungsnachweis. Weiterhin mussten die Bewerber auf Anordnung von Robert Ley verheiratet sein, dagegen interessierten ihre schulischen Leistungen überhaupt nicht. Den Bewerbern war bei ihrem Eintritt versprochen worden, dass sie nach Abschluss der Ausbildung jedes Regierungs- und Verwaltungsamt in Deutschland bekleiden könnten.

Der Stundenplan sah vor: 6:00 Uhr Frühsport, 7:00 Uhr Fahnenappell, 8:00 bis 10:00 Uhr Arbeitsgemeinschaften, 10:00 bis 12:00 Uhr Vortrag im großen Hörsaal durch Gast- oder Hauptlehrer, nachmittags Sport, 17:00 bis 18:30 Uhr Arbeitsgemeinschaften, 22 Uhr Zapfenstreich. In den Hauptvorlesungen zu den Themen „NS-Rassenkunde“ und „Geo-Politik“ wurden die „Junker“ mit aggressiven außenpolitischen und rassistischen Thesen indoktriniert. Daneben gab es intensive sportliche Schulung, der Schwerpunkt dieser Ausbildung lag bei der Ordensburg Vogelsang auf dem Reitsport.

Die Lehrgänge auf den „NS-Ordensburgen“ sahen auch eine Pilotenausbildung vor. Zu diesem Zweck wurden Flugplätze an allen drei Burgen gebaut. Der Vogelsanger Flugplatz entstand in der Nähe des Walberhofes, nahe der Ortschaft Schleiden-Morsbach. Neben der Pilotenausbildung sah der Lehrplan der Junker auch eine Reitausbildung vor.

Nach der Eröffnung des Schulbetriebs nutzte die politische Prominenz des Dritten Reichs Vogelsang auch als Repräsentationsort. Adolf Hitler sowie weitere führende Mitglieder des NS-Staates besuchten mehrfach die Ordensburg. Auf Wunsch der NS-Parteileitung in Berlin wurde die Ordenburg Vogelsang von insgesamt 16 Bunkern des Westwalles gesichert, deren Reste noch heute erkennbar sind und am 1. Dezember 2006 unter Denkmalschutz gestellt wurden.

Nutzung durch die Wehrmacht ab 1939

Grundriss eines Kameradschaftshauses

Grundriss eines Kameradschaftshauses

Beim Kriegsausbruch im September 1939 wurden die Junker entlassen, die Burg Vogelsang wurde der Wehrmacht übergeben. Diese nutzte die Bauwerke zweimal als Truppenquartier: Einmal beim Westfeldzug 1940, danach im Rahmen der Ardennenoffensive im Dezember 1944.

Zwischenzeitlich waren auf Vogelsang mehrere Klassen so genannter Adolf-Hitler-Schulen untergebracht.

1944 bestand dort ein Wehrertüchtigungslager, in dem 15 bis 16 Jahre alte Kinder aus der Hitler-Jugend militärisch ausgebildet wurden. Durch alliierte Luftangriffe wurden einige Gebäude zerstört, darunter der Ostflügel und die Turnhalle.

Zwecknutzung für Truppenübungsplatz seit 1946

Hinterlassenschaften des belgischen Militärs auf dem Truppenübungsplatz Vogelsang

Hinterlassenschaften des belgischen Militärs auf dem Truppenübungsplatz Vogelsang

Zur allgemeinen Geschichte der Anlage nach 1945 bis 2005 siehe Truppenübungsplatz Vogelsang.

Auf der Ordensburg Vogelsang selbst wurden von der belgischen Militärverwaltung behutsame Rekonstruktionen der kriegszerstörten Bausubstanz vorgenommen sowie die vorhandenen, aber zunächst nicht nutzbaren Rohbauten einer sinnvollen Nutzung zugeführt. So verwendete man die bereits fertiggestellten Sockelmauern des Hauses des Wissens als Außenmauer für die Kaserne „Van Dooren“ und das benachbarte Fundament eines Hörsaales für den Neubau eines Kinos. Beseitigt wurden nur die Hoheitsabzeichen des Dritten Reiches, im wesentlichen Hakenkreuze.

Zivile Nutzung ab 2006

Nach Aufgabe des Truppenübungsplatzes steht das Areal der ehemaligen Ordensburg mit den gewaltigen Bauwerken seit dem 1. Januar 2006 einer zivilen Nutzung offen und kann tagsüber besichtigt werden, ein Teil der umliegenden Flächen ist durch Wanderwege erschlossen. Ein temporäres Besucherzentrum ist bereits eingerichtet.

Es ist geplant, in der Burganlage die Verwaltung des Nationalparks Eifel einschließlich des zentralen Besucherzentrums sowie eine Ausstellung zur Geschichte der NS-Ordensburg unterzubringen. Des Weiteren gab/gibt es Überlegungen, eine UNESCO-Akademie in den Gebäuden anzusiedeln.

In den Gebäuden am Malakoff genannten Torbereich soll die Nationalparkforstverwaltung untergebracht werden.

Literatur

Die Burg Vogelsang von der Urfttalsperre aus gesehen.

Die Burg Vogelsang von der Urfttalsperre aus gesehen.

  • F. A. Heinen: Gottlos, schamlos, gewissenlos. Zum Osteinsatz der Ordensburg-Mannschaften. Gaasterland-Verlag, Düsseldorf 2007, 150 S., ISBN 978-3-935873-27-7 oder ISBN 3-935873-27-1
  • Ruth Schmitz-Ehmke: Die Ordensburg Vogelsang: Architektur – Bauplastik – Ausstattung. (Landschaftsverband Rheinland – Landeskonservator Rheinland. Arbeitsheft 41) Rheinland-Verlag, Köln. 2003. (2. veränd. und erw. Auflage)
  • Hans-Dieter Arntz: Ordensburg Vogelsang 1934 bis 1945 – Erziehung zur politischen Führung im Dritten Reich. Verlag Landpresse Weilerswist (5. und aktualisierte Auflage, Juli 2006) ISBN 3-935221-69-X
  • Franz Albert Heinen: Vogelsang – Von der NS-Ordensburg zum Truppenübungsplatz in der Eifel. Eine kritische Dokumentation. 4. Auflage. Helios-Verlag, Aachen 2006, 237 S., ISBN 3-933608-46-5
  • Franz Albert Heinen: Vogelsang. Im Herzen des Nationalparks Eifel. Ein Begleitheft durch die ehemalige „NS-Ordensburg“. Reihe Freizeitführer Rheinland. Gaasterland Verlag, Düsseldorf 2006, 47 S., ISBN 3-935873-11-5
  • Alexander Kuffner: Zeitreiseführer Eifel 1933-45. Helios, Aachen 2007, ISBN 978-3-938208-42-7.
  • Hans-Dieter Arntz: Ordensburg Vogelsang… im Wandel der Zeiten. Helios, Aachen 2007, 64 S., ISBN 978-3-938208-51-9

Weblinks und Literatur

Commons

Commons: Burg Vogelsang – Bilder, Videos und Audiodateien

Koordinaten: 50° 35′ 04″ N, 6° 26′ 53″ O

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Bibliografische Angaben für „Ordensburg Vogelsang

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Montag, 18 Februar 2008 Posted by | 2008-02-18 | , , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Bauernregel Sonntag 17. Februar 2008

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Die Krähen


Heiß, heiß der Sonnenbrand
Drückt vom Zenit herunter,
Weit, weit der gelbe Sand
Zieht sein Gestäube drunter;
Nur wie ein grüner Strich
Am Horizont die Föhren;
Mich dünkt‘, man müßt‘ es hören,
Wenn nur ein Kanker schlich.

Der blasse Äther siecht,
Ein Ruhen rings, ein Schweigen,
Dem matt das Ohr erliegt;
Nur an der Düne steigen
Zwei Fichten dürr, ergraut,
Wie Trauernde am Grabe,
Wo einsam sich ein Rabe
Die rupp’gen Federn kraut.

Da zieht’s im Westen schwer
Wie eine Wetterwolke,
Kreist um die Föhren her
Und fällt am Heidekolke;
Und wieder steigt es dann,
Es flattert und es ächzet,
Und immer näher krächzet
Das Galgenvolk heran.

Recht, wo der Sand sich dämmt,
Da lagert es am Hügel;
Es badet sich und schwemmt,
Stäubt Asche durch die Flügel,
Bis jede Feder grau;
Dann rasten sie im Bade
Und horchen der Suade
Der alten Krähenfrau,

Die sich im Sande reckt,
Das Bein lang ausgeschossen,
Ihr eines Aug‘ gefleckt,
Das andre ist geschlossen;
Zweihundert Jahr und mehr
Gehetzt mit allen Hunden,
Schnarrt sie nun ihre Kunden
Dem jungen Volke her:

»Ja, ritterlich und kühn all sein Gebar!
Wenn er so herstolzierte vor der Schar
Und ließ sein bäumend Roß so drehn und schwenken,
Da mußt‘ ich immer an Sankt Görgen denken,
Den Wettermann, der — als am Schlot ich saß,
Ließ mir die Sonne auf den Rücken brennen —
Vom Wind getrillt mich schlug so hart, daß baß
Ich es dem alten Raben möchte gönnen,
Der dort von seiner Hopfenstange schaut,
Als sei ein Baum er und wir andern Kraut! —

»Kühn war der Halberstadt, das ist gewiß!
Wenn er die Braue zog, die Lippe biß,
Dann standen seine Landsknecht‘ auf den Füßen
Wie Speere, solche Blicke konnt‘ er schießen.
Einst brach sein Schwert: er riß die Kuppel los,
Stieß mit der Scheide einen Mann vom Pferde.
Ich war nur immer froh, daß flügellos,
Ganz sonder Witz der Mensch geboren werde:
Denn nie hab‘ ich gesehn, daß aus der Schlacht
Er eine Leber nur bei Seit‘ gebracht.

»An einem Sommertag — heut sind es grad
Zweihundertfünfzehn Jahr, es lief die Schnat
Am Damme drüben damals bei den Föhren —
Da konnte man ein frisch Drommeten hören,
Ein Schwerterklirren und ein Feldgeschrei,
Radschlagen sah man Reuter von den Rossen,
Und die Kanone fuhr ihr Hirn zu Brei!
Entlang die Gleise ist das Blut geflossen,
Granat und Wachtel liefen kunterbunt
Wie junge Kiebitze am sand’gen Grund.

»Ich saß auf einem Galgen, wo das Bruch
Man überschauen konnte recht mit Fug;
Dort an der Schnat hat Halberstadt gestanden,
Mit seinem Sehrohr streifend durch die Banden,
Hat seinen Stab geschwungen so und so;
Und wie er schwenkte, zogen die Soldaten —
Da plötzlich aus den Mörsern fuhr die Loh‘,
Es knallte, daß ich bin zu Fall geraten.
Und als kopfüber ich vom Galgen schoß,
Da pfiff der Halberstadt davon zu Roß.

»Mir stieg der Rauch in Ohr und Kehl‘, ich schwang
Mich auf, und nach der Qualm in Strömen drang;
Entlang die Heide fuhr ich mit Gekrächze.
Am Grunde, welch Geschrei, Geschnaub‘, Geächze,
Die Rosse wälzten sich und zappelten,
Todwunde zuckten auf, Landsknecht‘ und Reuter
Knirschten den Sand, da näher trappelten
Schwadronen, manche krochen winselnd weiter,
Und mancher hat noch einen Stich versucht,
Als über ihn der Bayer weggeflucht.

»Noch lange haben sie getobt, geknallt,
Ich hatte mich geflüchtet in den Wald;
Doch als die Sonne färbt‘ der Föhren Spalten,
Ha, welch ein köstlich Mahl ward da gehalten!
Kein Geier schmaust‘, kein Weihe je so reich!
In achtzehn Schwärmen fuhren wir herunter,
Das gab ein Hacken, Picken, Leich‘ auf Leich‘ —
Allein der Halberstadt war nicht darunter:
Nicht kam er heut, noch sonst mir zu Gesicht,
Wer ihn gefressen hat, ich weiß es nicht.«

Sie zuckt die Klaue, kraut den Schopf
Und streckt behaglich sich im Bade;
Da streckt ein grauer Herr den Kopf,
Weit älter, als die Scheh’razade.
»Ha«, krächzt er, »das war wüste Zeit —
Da gab’s nicht Frauen, wie vor Jahren,
Als Ritter mit dem Kreuz gefahren
Und man die Münster hat geweiht!«

Er hustet, speit ein wenig Sand und Ton,
Dann hebt er an, ein grauer Seladon:

»Und wenn er kühn, so war sie schön,
Die heil’ge Frau im Ordenskleide!
Ihr mocht‘ der Weihel süßer stehn,
Als andern Güldenstück und Seide.
Kaum war sie holder an dem Tag,
Da ihr jungfräulich Haar man fällte,
Als ich ans Kirchenfenster schnellte
Und schier Tobias‘ Hündlein brach.

»Da stand die alte Gräfin, stand
Der alte Graf, geduldig harrend;
Er aufs Barettlein in der Hand,
Sie fest aufs Paternoster starrend;
Ehrbar, wie bronzen sein Gesicht —
Und aus der Mutter Wimpern glitten
Zwei Tränen auf der Schaube Mitten,
Doch ihre Lippe zuckte nicht.

»Und sie in ihrem Sammetkleid,
Von Perlen und Juwel‘ umfunkelt,
Bleich war sie, aber nicht von Leid,
Ihr Blick, doch nicht von Gram, umdunkelt.
So mild hat sie das Haupt gebeugt,
Als woll‘ auf den Altar sie legen
Des Haares königlichen Segen,
Vom Antlitz ging ein süß Geleucht.

»Doch als nun, wie am Blutgerüst,
Ein Mann die Seidenstränge packte,
Da faßte mich ein wild Gelüst,
Ich schlug die Scheiben, daß es knackte,
Und flattert‘ fort, als ob der Stahl
Nach meinem Nacken wolle zücken —
Ja wahrlich, über Kopf und Rücken
Fühlt‘ ich den ganzen Tag mich kahl!

»Und später sah ich manche Stund
Sie betend durch den Kreuzgang schreiten,
Ihr süßes Auge übern Grund
Entlang die Totenlager gleiten;
Ins Quadrum flog ich dann herab,
Spazierte auf dem Leichensteine,
Sang, oder suchte auch zum Scheine
Nach einem Regenwurm am Grab.

»Wie sie gestorben, weiß ich nicht;
Die Fenster hatte man verhangen,
Ich sah am Vorhang nur das Licht
Und hörte, wie die Schwestern sangen;
Auch hat man keinen Stein geschafft
Ins Quadrum, doch ich hörte sagen,
Daß manchem Kranken Heil getragen
Der sel’gen Frauen Wunderkraft.

»Ein Loch gibt es am Kirchenend‘,
Da kann man ins Gewölbe schauen,
Wo matt die ew’ge Lampe brennt,
Steinsärge ragen, fein gehauen;
Da streck‘ ich oft im Dämmergrau
Den Kopf durchs Gitter, klage, klage
Die Schlafende im Sarkophage,
So hold, wie keine Krähenfrau!«

Er schließt die Augen, stößt ein lang »Krahah!«
Gestreckt die Zunge und den Schnabel offen;
Matt, flügelhängend, ein zertrümmert Hoffen,
Ein Bild gebrochnen Herzens sitzt er da. —

Da schnarrt es über ihm: »Ihr Narren all!«
Und nieder von der Fichte plumpt der Rabe:
»Ist einer hier, der hörte von Walhall,
Von Teut und Thor und von dem Hünengrabe?
Saht ihr den Opferstein « — da mit Gekrächz
Hebt sich die Schar und klatscht entlang dem Hügel.
Der Rabe blinzt, er stößt ein kurz Geächz,
Die Federn sträubend wie ein zorn’ger Igel;
Dann duckt er nieder, kraut das kahle Ohr,
Noch immer schnarrend fort von Teut und Thor.

Quellenangabe
Name Wert
type poem
author Annette von Droste-Hülshoff
title Gedichte 1844
booktitle Gesammelte Werke, Band II: Gedichte
year 1948
publisher Liechtensteinverlag, Vaduz
editor Reinhold Schneider
pages 01.07.32
sender belmekhira@hotmail.com
created 20010426
firstpub 1844
pfad /droste/1844/book.xml

© Projekt Gutenberg

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seesternfrau bei pixelio.de

Aesop

Die Taube und die Krähe

Eine Taube brüstete sich unter andern Vögeln mit ihrer Fruchtbarkeit: „Ich brüte“, sagte sie, „jährlich acht bis zwölf Junge aus, atze sie, lehre sie fressen und fliegen, fliege mit ihnen auf die Kornfelder und lebe froh mit Kindern, Enkeln und Urenkeln, während ihr andern Vögel kaum ein Paar aushecket!“

„Still!“ sagte eine Krähe, die dies mit anhörte, „prahle doch ja nicht mit einem Gegenstand, der dir so unendlich viel Kummer und Leid verursacht! So viele Junge du hast, so viele Male hast du Trauer anzulegen. Kaum haben sie die ersten Federn, so sind sie auch schon auf den Tafeln der Menschen.“

So ist’s im Leben: Kurze Freud, viel Leid und doch halten die Freuden unserem Gedächtnis länger nach.

Raben und Krähen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Raben und Krähen
Kolkrabe (Corvus corax)
Systematik
Klasse: Vögel (Aves)
Ordnung: Sperlingsvögel (Passeriformes)
Unterordnung: Singvögel (Passeres)
Familie: Rabenvögel (Corvidae)
Gattung: Raben und Krähen
Wissenschaftlicher Name
Corvus
Linnaeus, 1758

Die Raben und Krähen bilden zusammen die Gattung Corvus in der Familie der Rabenvögel (Corvidae).

Die Gattung umfasst 42 Arten. Die größeren Vertreter werden als „Raben“, die kleineren als „Krähen“ bezeichnet. Hierbei handelt es sich jedoch um keine biologische Unterscheidung (Taxon).

In Europa kommen der Kolkrabe, die Aaskrähe, die Saatkrähe und die Dohle vor.

Als das Krähen bezeichnet man weiter auch den typischen Vogellaut, den neben Rabenvögeln auch andere Vögel von sich geben, etwa Haushähne und andere männliche Fasanenvögel.

Inhaltsverzeichnis

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Namensherkunft

Silhouetten fliegender Krähen

Silhouetten fliegender Krähen

Die Bezeichnung Krähe ist in fast allen indoeuropäischen Sprachen ein lautmalerischer Name, der ihre typischen Lautäußerungen nachahmt. Im Althochdeutsch nannte man sie „krâwa“, im Mittelhochdeutsch wurde sie zur „krâ“, „kraeje“, „kreie“ oder „krowe“ und das Altslawische kennt sie als krâja.

Rabe ist verwandt mit mittelhochdeutsch „rabe“, althochdeutsch „hraban“, niederländisch „raaf“, englisch „raven“ und altisländisch „hrafn“ verwandt. Es stammt von der lautmalerischen Wurzel „ker“, von der auch „Harke“ und „krächzen“ abgeleitet ist. Die Wurzel ahmt scharrende, raschelnde oder kratzende Geräusche nach. Der Rabe ist damit also ein Krächzer.[1]

Menschen – Krähen und Raben

Mythologie

Die auffälligen Krähen und Raben spielen weltweit eine Rolle in Sagen und Märchen. Demnach haben alte Götter und Könige ihre Weisheit, Intelligenz und Flugfähigkeit genutzt. Parallel dazu spielen diese Vögel auch eine Rolle im Volks- und Aberglauben.

In der nordischen Mythologie symbolisiert der Rabe die Weisheit, der Gott Odin hatte stets die beiden Kolkraben Hugin und Munin bei sich, die auf seinen Schultern saßen und ihm berichteten, was auf der Welt vor sich ging. König Artus soll in einen Raben verwandelt worden sein. Dem griechischen Gott Apollon waren die Raben heilig (siehe Koronis (Mythologie)). Die Bibel berichtet im Alten Testament, dass Noah einen Raben aus der Arche Noah sandte. Der spätere, christliche Glaube verteufelte den Raben und sah in ihm das Böse.

Rabenkrähe mit Nuss im Schnabel auf einem städtischen Parkplatz

Rabenkrähe mit Nuss im Schnabel auf einem städtischen Parkplatz

Eine Rolle spielt die Krähe auch in nordamerikanischen IndianerMärchen, wo sie im Gegensatz zu westafrikanischen Märchen eine positive Rolle inne hat. In Indien begleiten Krähen die Göttin Kali. In christlichen Sagen ist die Krähe der Bote des Heiligen Oswald. Hexen und Zauberer vermögen sich in Krähen zu verwandeln, ein Motiv, das der Kinderbuchautor Otfried Preußler sehr ausführlich in seinem Buch Krabat aufgegriffen hat.

Auch in der heutigen Zeit sind Raben und Krähen beliebte Tiere für Geschichten, Filme und Lifestyle. Beispiele dafür sind Geschichten wie The Crow oder der Frontmann der finnischen Rockband The Rasmus, der Rabenfedern als Erkennungszeichen im Haar trägt.

Volksglaube

Der Volksmund äußerte früher die Überzeugung, dass die Krähe das Weibchen des Raben sei. Ihre schwarze Farbe erklärte man sich durch eine Verfluchung. Ihre hässlichen Jungen hätten einen so schweren Kopf, dass sie mit dem Schwanz zuerst aus dem Ei kröchen. Schlüpften sie später als Gründonnerstag aus dem Ei, würden sie zu Dohlen.

Tower-Raben

Einer Legende nach droht der englischen Monarchie ein katastrophales Ende, wenn die auf dem Tower of London lebenden Raben diesen verlassen. Deshalb werden dort eigene Raben gehalten. Damit die Raben auch im Tower bleiben, werden die Flügel gestutzt.

Der Rabe als Haustier

Trotz ihrer bemerkenswerten Fähigkeit, Wörter und kurze Sätze sprechen zu lernen, werden heute kaum noch Raben oder Krähen als Haustiere gehalten. Zwar kann der Raben Keckheit auch lästig fallen, doch für den Verhaltensforscher Konrad Lorenz überwogen eindeutig die Freuden der Rabenhaltung:

Wenn ich auf einem Spaziergang in den Donauauen den sonoren Ruf des Raben höre und auf meinen antwortenden Ruf der große Vogel hoch droben am Himmel die Flügel einzieht, in sausendem Falle herniederstürzt, mit kurzem Aufbrausen abbremst und in schwereloser Zartheit auf meiner Schulter landet, so wiegt dies sämtliche zerrissene Bücher und sämtliche leergefressenen Enteneier auf, die der Rabe auf dem Gewissen hat.“ (Konrad Lorenz: Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen. dtv, München 1964)

Intelligenz

Krähennest aus Kleiderbügeln, Tokyo 2002

Krähennest aus Kleiderbügeln, Tokyo 2002

Einer wissenschaftlichen Untersuchung zufolge sind Raben und Krähen die Vögel mit der größten Intelligenz.[2] Beispielsweise zeigen sie in Experimenten die Fähigkeit, komplexe Handlungen im voraus zu planen. Beim Verstecken von Futter zeigen sie sowohl große Merkleistungen, als auch die Fähigkeit, sich in andere hinein zu versetzen. Ein Rabe scheint zu wissen, dass ein Futterversteck nur dann sicher ist, wenn er beim Verstecken nicht beobachtet wird. Zudem legen sie ein erstaunliches Lernverhalten an den Tag (z. B. Herstellung von Werkzeug, Nutzen des Straßenverkehrs zum Knacken von Nüssen und Früchten). Häufig sieht man sie auch als Begleiter von Wölfen oder anderen Raubtieren, um diesen dann, mit ihrer berüchtigten Frechheit, in Gruppen die erlegte Beute abzujagen.

Arten

Junge Kolkraben in Island

Junge Kolkraben in Island

Schildrabe in Namibia

Schildrabe in Namibia

Literatur

Hans Huckebein von Wilhelm Busch

Hans Huckebein von Wilhelm Busch

Als Aasfresser taucht der Rabe bereits im Kinderlied auf („… fällt er in den Graben, fressen ihn die Raben …„). Berühmte Beispiele aus der Literatur sind die Rabenschlacht in „Das Odfeld“ von Wilhelm Raabe und das Gedicht „The Raven“ von Edgar Allan Poe. Dem Raben als Haustier hat Wilhelm Busch in seiner Bilder- und Verserzählung Hans Huckebein, der Unglücksrabe ein literarisches Denkmal gesetzt. Bekannte Beispiele aus dem 20. und 21. Jahrhundert sind das Gedicht Der Rabe Ralf von Christian Morgenstern und die Kinderbuchreihe Der kleine Rabe von Annet Rudolph.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise ]

  1. Grünter Dodrowski, Paul grebe u.A.: Duden. Etymologie. Herkunftswörrterbuch der deutschen sprache. Bibliographisches Institut Mannheim, Wien Zürich. Dudenverlag 1963 ISBN 3-411-00907-1
  2. http://news.bbc.co.uk/1/hi/sci/tech/4286965.stm

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Bibliografische Angaben für „Raben und Krähen

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Bauernregel Sonnabend 16. Februar 2008

20080216.png

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Quellenangabe
Name Wert
type poem
booktitle Kuttel Daddeldu
author Joachim Ringelnatz
firstpub 1920
year 1924
publisher Kurt Wolff Verlag
address München
title Kuttel Daddeldu
created 20050211
sender gerd.bouillon
pfad /ringelnz/kuttelda/book.xml

© Projekt Gutenberg

ameise.jpg

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Die Ameise

Auf einer Wanderung im badischen Schwarzwald verfolgte ich einmal mit Aufmerksamkeit die Ameise bei ihrer emsigen Arbeit. Ich entdeckte jedoch nichts Neues an ihr, und besonders nichts, was mir eine höhere Meinung von ihr beigebracht hätte.
Mir scheint, daß die Ameise außerordentlich überschätzt wird, besonders was ihren Verstand betrifft. Ich habe sie nun schon manchen Sommer hindurch beobachtet, während ich etwas Besseres hätte tun können, und bis jetzt habe ich noch keine einzige gesehen, die bei ihrer Arbeit auch nur den geringsten Sinn und Verstand gezeigt hätte.
Ich meine natürlich nur die gemeine Ameise, denn mit den merkwürdigen afrikanischen Arten, welche Abgeordnete wählen, stehende Heere haben, Sklaven halten und über Religion streiten, habe ich keinen Verkehr gehabt. Was der Naturforscher von ihnen erzählt, mag alles wahr sein, aber in bezug auf die gewöhnliche Ameise bin ich fest überzeugt, daß uns vieles aufgebunden wird.
Ihren Fleiß will ich durchaus nicht bestreiten: in der ganzen Welt arbeitet niemand so angestrengt als sie, nur ihre Hohlköpfigkeit habe ich an ihr auszusetzen. Betrachten wir sie einmal, wenn sie auf Beute ausgeht. Sie hat einen Fang getan; aber was macht sie dann? Geht sie etwa nach Hause? Durchaus nicht, gerade im Gegenteil; sie weiß nicht mehr, wo ihre Wohnung ist und kann sie nicht finden, wenn sie auch kaum drei Fuß davon entfernt ist. Sie tut einen Fang, habe ich gesagt; aber es ist gewöhnlich etwas, das weder ihr noch sonst jemand vom geringsten Nutzen sein kann; gewöhnlich ist das Ding zehnmal so groß, als es sein sollte, sie faßt es gerade am unbequemsten Ende an und hebt es mit aller Gewalt in die Höhe, – dann trägt sie es fort, nicht nach Hause, sondern in entgegengesetzter Richtung, nicht ruhig und bedächtig, sondern mit rasender Eile, bei der sie ihre Kräfte unnütz vergeudet. Sie rennt gegen einen Kieselstein, und anstatt ihn zu umgehen, klettert sie rückwärts hinauf, zerrt ihre Beute hinter sich her, kugelt auf der andern Seite hinunter, springt wütend auf, schüttelt sich den Staub aus den Kleidern, wischt sich die Hände ab und greift gierig nach ihrem Eigentum, stößt es hierhin und dorthin, schiebt es jetzt vor sich her, dreht sich dann um und zerrt es weiter, mit immer wilderer Gebärde, bis sie es plötzlich wieder hoch in die Luft hebt und nach einer ganz neuen Richtung fortrennt. Nun stößt sie auf eine Pflanze, es fällt ihr aber gar nicht ein herumzugehen – nein, sie muß hinaufklettern, bis oben in die Spitze und noch dazu ihren ganz wertlosen Besitz hinter sich dreinziehen, was ungefähr ebenso klug ist, als wenn ich einen Sack Mehl von Heidelberg nach Paris über den Straßburger Kirchturm schleppen wollte. Wenn sie hinaufkommt, sieht sie, daß sie nicht am rechten Ort ist, wirft einen flüchtigen Blick auf die Gegend, klettert oder kugelt hinunter und nimmt einen neuen Anlauf – wie gewöhnlich in einer andern Richtung.
Nach Verlauf einer halben Stunde, kaum sechs Zoll von ihrem Ausgangspunkt entfernt, hält sie plötzlich still und legt ihre Last nieder; sie hat in dieser Zeit die ganze Umgegend zwei Meter in der Runde durchlaufen und ist über alle Steine und Pflanzen geklettert, die ihr in den Weg kamen. Jetzt wischt sie sich den Schweiß von der Stirn, streckt die Glieder und eilt dann ebenso ziellos und in so wahnsinniger Hast davon wie zuvor. Während sie im Zickzack umherläuft, stößt sie abermals auf ihre frühere Beute; sie erinnert sich nicht, sie je vorher erblickt zu haben, sieht sich nach dem Wege um, der nicht nach Hause führt, packt ihren Fund an und trägt ihn fort. Sie macht genau dieselben Abenteuer noch einmal durch, und als sie endlich still hält, um auszuruhen, kommt eine Freundin des Weges. Diese findet offenbar, daß das vorjährige Heuschreckenbein – das ist nämlich die Beute – eine sehr wertvolle Eroberung ist und sie bietet nun ihre Hilfe an, um die Fracht nach Hause zu schaffen. Mit höchst weisem Entschluß ergreifen sie jetzt die beiden äußersten Enden des Heuschreckenbeins und beginnen es aus Leibeskräften nach den zwei entgegengesetzten Richtungen zu zerren. Nun ruhen sie aus und halten Rat: etwas muß nicht in der Ordnung sein, aber sie können nicht begreifen, was es ist. Von neuem machen sie sich daran, gerade wie zuvor und mit demselben Ergebnis; nun schiebt eine die Schuld des Mißerfolgs auf die andere, sie werden hitzig und es kommt zu Tätlichkeiten; sie ringen zusammen und verbeißen sich ineinander, dann rollen und wälzen sie sich auf dem Boden umher, bis eine ein Horn oder ein Bein verliert. Hierauf versöhnen sie sich und machen sich auf dieselbe unsinnige Weise wiederum ans Werk; aber die verkrüppelte Ameise befindet sich im Nachteil, wie sehr sie auch zerrt, die andere schleppt die Beute weg und sie obendrein. Anstatt loszulassen, bleibt sie hängen, so daß ihr die Haut geschunden wird, so oft ein Hindernis im Wege liegt. So wird denn das Heuschreckenbein noch einmal auf demselben Platz herumgezerrt, um endlich an dem nämlichen Punkt zu landen, wo es zuerst gelegen hat. Die zwei keuchenden Ameisen betrachten es nachdenklich und kommen zu dem Schluß, daß dürre Heuschreckenbeine eigentlich ein schlechter Besitz sind, worauf denn jede nach einer anderen Richtung läuft, um zu sehen, ob sie nicht einen alten Nagel finden kann oder sonst etwas, was schwer genug ist, um einen Zeitvertreib zu gewähren und zugleich wertlos genug, um die Begierde einer Ameise zu reizen.
Auf einem Bergabhang im Schwarzwald sah ich eine Ameise, die diese ganze Arbeit mit einer toten Spinne durchmachte, welche mehr als zehnmal so schwer war wie sie.
Die Spinne war nicht ganz tot, hatte aber keine Widerstandskraft mehr, ihr runder Körper war etwa so groß wie eine Erbse. Die kleine Ameise, welche bemerkte, daß ich ihr zusah, nahm die Spinne auf den Rücken, krallte sich an ihrer Kehle fest, hob sie in die Höhe und trug sie gewaltsam fort; sie stolperte über kleine Steine, raffte sich wieder auf, trat auf die Beine der Spinne, zog sie rückwärts weiter, schob sie vor sich her, schleppte sie sechs Zoll hohe Steine hinauf, statt diese zu umgehen, erkletterte Pflanzen, die zwanzigmal so hoch waren wie sie, und sprang von oben herunter; dann ließ sie die Spinne endlich auf dem Wege liegen, wo sich jede andere Ameise ihrer bemächtigen konnte, die töricht genug war, sie zu begehren. Ich habe die Strecke ausgemessen, welche das einfältige Ding zurückgelegt hat, und bin zu dem Schluß gekommen, daß, was diese Ameise innerhalb zwanzig Minuten verrichtet hat, verhältnismäßig dasselbe ist, als wenn ein Mensch zwei achthundert Pfund schwere Pferde zusammenkoppelt und sie achtzehnhundert Fuß weit trägt, meist über hohe Steinblöcke, unterwegs mit ihnen Höhen erklimmt wie 300 Fuß hohe Kirchtürme und sich in Abgründe stürzt wie der Niagara, bis er die Pferde zuletzt auf einem offenen Platz niedersetzt und sie ohne Wächter zurückläßt, während er irgend ein anderes unsinniges Kraftstück probiert, um seiner Eitelkeit zu frönen.
Die Wissenschaft hat neuerdings entdeckt, daß die Ameise keinen Wintervorrat anlegt; dies wird sie um einen großen Teil ihres literarischen Ruhmes bringen. Sie arbeitet nur, wenn jemand zusieht, besonders jemand, der ein naturforscherähnliches Ansehen hat und Notizen zu machen scheint. Der sprichwörtliche Fleiß der Ameise läuft also beinahe auf Betrügerei hinaus, so daß sie als Beispiel für Sonntagsschulen hinfort nicht mehr zu gebrauchen ist. Sie hat nicht einmal Verstand genug, um gesunde Nahrung von schädlicher zu unterscheiden; bei solcher Unwissenheit wird sie die Achtung der Welt gänzlich verscherzen. Sie kann nicht um einen Baumstumpf herumgehen und sich dann wieder nach Hause finden; das streift an Blödsinn, und sobald diese Tatsache feststeht, werden verständige Leute die Ameise nicht länger bewundern. Ihr vielgepriesener Fleiß ist nichts als Eitelkeit und hat keinerlei Zweck, da sie nie etwas nach Hause trägt, was sie herumschleppt. Damit geht auch noch der letzte Rest ihres guten Rufes und ihr Hauptnutzen als sittliches Beispiel verloren. Es übersteigt doch wirklich alle Begriffe, daß so viele Nationen jahrhundertelang nicht hinter die Schliche der Ameise gekommen sind, während es doch ganz auf der Hand liegt, daß sie die Leute nur zum besten hat!
Die Ameise ist stark, aber ich habe an demselben Tag noch etwas Stärkeres gesehen, und zwar in der Pflanzenwelt. Ein Fliegenschwamm – jener Pilz, der in einer Nacht aufschießt – hatte eine feste Lage von Tannennadeln und Erdreich, die etwa doppelt soviel Umfang hatte als er, in die Höhe gehoben, und trug sie, wie die Säule das Wetterdach! Demnach hätten zehntausend Fliegenschwämme Kraft genug, um einen Mann zu heben, – aber, wozu sollte das nützen?

Quellenangabe

Name Wert
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type narrative
author Mark Twain
booktitle Meisterwerke neuer Novellistik – Band 9
title Die 1,000,000 Pfundnote und andere humoristische Erzählungen und Skizzen
publisher Max Hesses Verlag
series Meisterwerke neuer Novellistik
volume Band 9
editor W. Lennemann
corrector reuters@abc.de
sender http://www.gaga.net
created 20071031
projectid 5715d76b

© Projekt Gutenberg

Ameisen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Dieser Artikel behandelt das Tier Ameise; zu weiteren Bedeutungen dieses Begriffes siehe Ameise (Begriffsklärung).

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Ameisen
Königin der Schwarzen Rossameise
(Camponotus herculeanus)
Systematik
Klasse: Insekten (Insecta)
Ordnung: Hautflügler (Hymenoptera)
Unterordnung: Taillenwespen (Apocrita)
Teilordnung: Stechimmen (Aculeata)
Überfamilie: Vespoidea
Familie: Ameisen
Wissenschaftlicher Name
Formicidae
Latreille, 1802

Ameisen (Formicidae) gehören zu den staatenbildenden Insekten und stellen eine Familie innerhalb der Hautflügler (Hymenoptera) dar.

Rund 12.000 Arten sind bekannt, davon 180 in Europa. Zu den bekanntesten deutschen Arten gehören die Rote Waldameise und die Schwarze Wegameise. Ameisen kommen in fast allen Weltregionen vor, so findet man sie auch am Polarkreis, im Hochgebirge und in den Wüsten. Ausnahmen sind Island, Grönland, die Antarktis und Teile Polynesiens [1]. Besonders zahlreich sind sie in den tropischen Urwäldern. Fossil lassen sie sich zum ersten Mal in der Kreidezeit nachweisen oder vor rund 130 Millionen Jahren.

Ein Ameisenstaat besteht überwiegend aus Weibchen und kann mehrere Millionen Individuen umfassen. Es besteht eine strikte Arbeitsteilung zwischen verschiedenen sozialen Gruppen oder „Kasten“. Neben einer Königin oder mehreren Königinnen gibt es u.a. Brutpflegerinnen, Nestbauerinnen, Nahrungssucherinnen und Soldatinnen mit stärker ausgebildeten Mundwerkzeugen. Die beflügelten männlichen Individuen haben einzig die Aufgabe, die ebenfalls beflügelte Jungkönigin während des Hochzeitsflugs zu befruchten. Die Arbeiterinnen sind wesentlich kleiner als die sich fortpflanzenden Individuen und flügellos. Am Hinterleib haben sie Giftdrüsen, die bei vielen Arten in einen Giftstachel münden. Oft ist dieser jedoch zurückgebildet oder fehlt ganz. Vergleichsweise hochentwickelt ist bei Ameisen das Geruchs- und Geschmacksvermögen. Die Kommunikation mit anderen Individuen erfolgt u.a. über chemische Signale oder so genannte Pheromone. Ameisenstaaten verhalten sich benachbarten Staaten gegenüber in der Regel extrem aggressiv.

Der Begriff „Ameise“ stammt vom althochdeutschen âmeiza (die Abschneiderin).

Inhaltsverzeichnis

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Körperbau

Körperbau einer Arbeiterin (Pachycondyla verenae).

Ein Ameisenkörper besteht aus drei sichtbar unterteilten Segmenten, dem Kopf (Caput), dem Mesosoma und dem Metasoma.

Der Kopf

Auf dem üblicherweise runden Kopf der Ameise befinden sich zwei Antennen. Diese Fühler können mit Hilfe der über 2000 Sinneszellen Luftströmungen, Temperaturschwankungen und Gerüche wahrnehmen. Sie bestehen meist bei den Weibchen aus zwölf, bei den Männchen aus 13 Flagellomeren und sind in der Mitte abgewinkelt, damit sich deren Spitzen leicht zur Mundöffnung führen lassen.

Die Sehorgane der Ameisen sind als Facettenaugen ausgebildet. Sie bestehen wie bei allen Insekten aus Ommatidien, die jeweils aus acht Sinneszellen zusammengesetzt sind und die bei den Ameisen rotationssymmetrisch angeordnet sind. Damit können Ameisen auch die Polarisation des Lichtes wahrnehmen. Gattungen wie die Ponera aus der Unterfamilie der Ur- und Stechameisen oder Solenopsis der Knotenameisen besitzen nicht mehr als 15 bis 30 Ommatidien pro Kopfseite. Schuppenameisen hingegen besitzen bis zu 30.000 Ommatidien auf jeder Seite. In der Regel sind Ameisen selten in der Lage, mehr als Hell-Dunkel-Unterschiede zu erkennen. Des Weiteren sind Ameisenarten bekannt, die über keine Sehorgane verfügen.

Die Mundwerkzeuge werden in Oberlippe (Labrum), Oberkiefer (Mandibeln), Unterkiefer (Maxillen) und Unterlippe (Labium) unterteilt. Die meistens schaufelförmigen und bezahnten Mandibeln stellen Universalwerkzeuge dar. Sie eignen sich gleichermaßen zum Zerkleinern und Transportieren fester Materialien, als auch zum Kämpfen mit Feinden.

Das Mesosoma

Das Mesosoma, bei den Ameisen auch manchmal Alitrunk genannt, besteht aus dem Brustbereich (Thorax) und dem ersten Abdominalsegment (Propodeum).

Der Thorax wird, wie bei allen anderen Insekten auch, in drei Segmente mit je einem Beinpaar untergliedert. Sie werden als Vorderbrust (Pronotum), Mittelbrust (Mesonotum) und Hinterbrust (Metanotum) bezeichnet. Das Propodeum, auch Epinotum genannt, ist, wie bei allen Taillenwespen, fest mit dem Metanotum verwachsen.

Die aus fünf Gliedern bestehenden Beine tragen am letzten dieser Glieder zwei Krallen und dazwischen einen Haftapparat. Erstere ermöglichen einen sicheren Halt beim Fortbewegen auf einem rauen Untergrund. Im Gegensatz dazu verhindert der Haftapparat ein Abrutschen an glatten Flächen. Die Vorderbeine der Ameise besitzen zudem noch eine Putzvorrichtung, mit der sie Schmutzteilchen von den Fühlern abbürsten kann.

Das Metasoma

Das Metasoma besteht aus ein bis zwei Stielchengliedern und der sich anschließenden Gaster, das manchmal fälschlicherweise auch als Abdomen bezeichnet wird. Zwischen dem Mesosoma und der Gaster gibt es entweder ein Stielchenglied (Petiolus) oder zwei Stielchenglieder (Petiolus und Postpetiolus). Dadurch entstehen Einschnürungen, die als Gelenke zwischen den Körperteilen funktionieren. Danach folgt der restliche Hinterleib (Gaster).

Das Stielchenglied

Im Gegensatz zu vielen anderen Insekten haben Ameisen ein Stielchenglied (Petiolus), das Mesosoma und die Gaster miteinander verbindet. Das Stielchenglied ist eigentlich das zweite Abdominalsegment. Bei manchen Unterfamilien ist auch das dritte Abdominalsegment zu einem Stielchenglied ausgebildet (Postpetiolus).

Anhand des Zwischengliedes in Verbindung mit der Anzahl der Hinterleibssegmente wird die Einteilung in die Unterfamilien vorgenommen:

  • Stechameisen (Ponerinae): ein Zwischenglied, zusätzlich auffällige Einbuchtung zwischen dem ersten und zweiten Segment des Hinterleibs
  • Drüsenameisen (Dolichoderinae): ein Zwischenglied, zusätzlich viergliedriger Hinterleib
  • Schuppenameisen (Formicinae): ein Zwischenglied, zusätzlich fünfgliedriger Hinterleib
  • Knotenameisen (Myrmicinae): zwei Zwischenglieder.

Das Stielchenglied ermöglicht eine starke Bewegung des Hinterleibs. Dieser kann nach unten abgebogen werden, um das gezielte Verspritzen von Wehrsekreten in Gefahrensituationen zu ermöglichen. Ameisen können ihre Substanzen bis zu einen Meter weit ausstoßen. Der Stiel kann auch samt Gaster fast senkrecht nach oben gerichtet werden. Diese Haltung wird vor allem bei der Abgabe von Duftstoffen eingenommen. Man spricht dabei vom sogenannten Sterzeln. Nicht zuletzt erleichtert die Beweglichkeit des Hinterleibs die Reinigung der hinteren Körperregionen mit den Mundwerkzeugen.

Die Gaster

Die Gaster besteht aus mehreren Segmenten – Körperhalbringe am Bauch und Rücken, die durch elastische Häute miteinander verbunden sind und dadurch ineinander geschoben werden können. Durch diesen Mechanismus kann die Gaster stark vergrößert werden.

In der Gaster, der hauptsächlich den Kropf (eine Aussackung des Nahrungsleiters, der zur Nahrungsspeicherung dient), den Magen, den Darm und die Keimdrüsen (Gonaden) enthält befindet sich auch viele der Drüsen. Der Magen liegt im vorderen Teil und ist durch ein ventilartiges Gebilde, den sogenannten Ventiltrichter, mit dem Mitteldarm verbunden. Wenn der Ventiltrichter geöffnet ist, kann Nahrungsbrei aus dem Kropf in den Mitteldarm übertreten. Nur ein relativ kleiner Teil der im Kropf gespeicherten Nahrung geht diesen Weg. Der Hauptteil wird aus dem Kropf wieder zur Mundöffnung zurückgepumpt und mit anderen Ameisen geteilt. Man spricht daher auch vom Sozialmagen.

Drüsen und Sekrete

Ameisen der Art Crematogaster scutellaris, Italien

Ameisen der Art Crematogaster scutellaris, Italien

Die meisten Drüsen gruppieren sich in den Intersegmentalhäuten des Hinterleibs zu größeren Komplexen. Diese Drüsen sind in der Regel mit einem speziell strukturierten Reservoir ausgestattet. So werden von den Sternal- und Pygidialdrüsen, die unterschiedlichste Spurdüfte (Pheromone) erzeugt, die der Kommunikation zwischen den Ameisen dienen.

Weitere Spurpheromone liefern bei Ameisen die Gift- und Dufourschen Drüsen, sowie bei der Gattung Crematogaster eine Tibialdrüse. Drüsen befinden sich außerdem innerhalb des Körpers, im Kopf, Thorax und in der Gaster. Die einzigen Drüsen, die keine Pheromone liefern, sind die in den Mundbereich führenden Futtersaftdrüsen. Die Metathorakaldrüse liefert bakterizide und fungizide Substanzen. Bei den Blattschneiderameisen enthält sie ein Mittel (meistens Phenylessigsäure oder Hydroxy-Hexansäure) zur Desinfizierung, um unerwünschte Pilze und Bakterien am Wachsen zu hindern. Bemerkenswert bei den Sekreten ist, dass die gleichen Stoffe in unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Wirkungen aufweisen, wobei die gleichen Drüsen bei verschiedenen Arten jeweils unterschiedliche Stoffe bilden können. So liefert die Mandibeldrüse bei Rossameisen-Männchen ein Pheromon, das die Weibchen zum Hochzeitsflug stimuliert, während sie bei anderen Arten ein ätzendes Wehrsekret hervorbringt.

Bei vielen Pheromonen kennt man mittlerweile die chemischen Strukturen. Dabei handelt es sich meistens, wie bei der Ameisensäure, um einfache Verbindungen (z. B. Alkohole, Aldehyde, Fettsäuren oder Ester). Es gibt jedoch auch komplexere Verbindungen, wie diverse Terpenoide und Alkaloide. Die Bestimmung der Sekrete gestaltet sich schwierig, da bei vielen Drüsen nur sehr geringe Mengen an Sekret abgegeben werden. Oftmals ist auch das Mischungsverhältnis verschiedener Sekrete für eine bestimmte Wirkung wichtig. Ein Beispiel dafür ist eine Substanz der Gemeinen Rasenameise (Tetramorium caespitum), bei der zwei Pyrazine erst im Verhältnis 7:3 die gewünschte Wirkung auslösen.

Viele Ameisen, zum Beispiel die Weberameise Oecophylla longinoda, setzen Substanzen frei, die in unterschiedlichen Reichweiten wirken. So können andere Ameisen zu einer bestimmten Stelle geführt werden. Die Rasenameise entlässt bei Gefahr aus ihrer Mandibeldrüse zuerst ein sehr flüchtiges Sekret, ein Hexanal, das nach circa 20 Sekunden in einem Umkreis von circa zehn Zentimetern zu wirken beginnt. Gleichzeitig werden Artgenossen, die näher am Ort des Geschehens sind, durch 1-Hexanol gewarnt, das nur halb so weit reicht. Jene Ameisen, die am nächsten dran sind, werden durch 3-Undecanon und das am wenigsten flüchtige 2-Butyl-2-octenal angeregt, um sofort den Gegner zu attackieren.

Alle Pheromone sind ihrer Funktion sehr gut angepasst. So müssen sich Alarmpheromone schnell verflüchtigen, Spurpheromone hingegen sehr langlebig sein. Die Duftspur der Glänzendschwarzen Holzameise (Lasius fuliginosus) enthält eine Mischung aus Fettsäuren und Hexan- bis Dodecansäuren und wirkt über Wochen hinweg. Die wichtigste Funktion der Duftstoffe ist bei Ameisen ihr sogenannter Nestgeruch. Dieser Geruch ist allen Ameisen einer Kolonie eigen. So können sie verschiedene Staaten der gleichen Art anhand ihrer „Duftuniformen“ unterscheiden.

Einige Drüsen befinden sich am Stachel; mit einem Stich werden je nach Art verschiedene Gifte freigesetzt. Der Stachel wurde im Laufe der Evolution bei vielen Ameisenarten zurückgebildet, allerdings haben alle Ameisenarten diese Gift- und Dufourschen Drüsen behalten. Die Giftdrüse der Roten Waldameise kann bis zu 6 mm³ unterschiedlichster Gifte, darunter 60%-ige Ameisensäure, enthalten. Die Dämpfe der Ameisensäure wirken bei kleinen Tieren wie ein Atemgift und können auch tödlich sein.

Atmungsorgane

Die Atmungsorgane der Ameisen sind wie bei allen Insekten die Tracheen.

Geschlechtsorgane

Die Ameise ist getrenntgeschlechtlich. Die Männchen besitzen zwei Hoden und zwei Samenleiter im Gaster, auch die paarig vorhandenen Eierstöcke (Ovarien) der Weibchen befinden sich im hintersten Körperabschnitt. Jedoch kann bei den meisten Spezies nur die Königin Eier legen, da nur sie als Larve mit den notwendigen Hormonen gefüttert wurde. Die Arbeiterinnen besitzen keine oder lediglich verkümmerte Geschlechtsorgane. Sie können, wenn überhaupt, nur Eier für männliche Geschlechtstiere produzieren.

Exkretionsorgane

Die Exkretionsorgane der Ameisen (Malpighische Gefäße) sind dünne Schläuche, die frei von Filtermöglichkeiten in die Leibeshöhle (Mixocoel) ragen. Die Abfallprodukte werden aus den Zellen in die Malpighischen Gefäße geleitet und gelangen dann in den Darm. Hier erfolgt die Reabsorbtion, das heißt Wasser und verwertbare Substanzen werden wieder in die Blutbahn überführt.

Nahrung

Ernteameise im Rasterelektronenmikroskop

Blattschneideameisen aus Kolumbien

Blattschneideameisen aus Kolumbien

Allesfresser

Die wohl bekannteste heimische Ameisenart, die Rote Waldameise, ist ein Allesfresser. Ihre Nahrung besteht vor allem aus Insekten (z. B. Raupen, Schmetterlingen, Fliegen) und anderen Wirbellosen (z. B. Spinnen). Daneben werden auch Ausscheidungen verschiedener Lausarten (Honigtau), Sekrete aus floralen und extrafloralen Nektarien, dazu Samen, Pollen, Früchte und verschiedene Pflanzenteile gefressen. Trifft eine einzelne Arbeiterin auf ein (für sie allein) zu großes Beutetier, so greift sie es meist trotzdem an und versucht ihm mit den Kiefernzangen eine Wunde zuzufügen, in die sie aus der Giftdrüse Ameisensäure sprüht. Die leicht flüchtige Ameisensäure signalisiert Artgenossen, dass Unterstützung gebraucht wird.

Räuber und Aasfresser

Eine Reihe von Ameisenarten – zum Beispiel Treiberameisen – ernähren sich ausschließlich räuberisch. Daneben ernähren sich einige Arten auch von frischem Aas. Einige Ameisenarten haben sich auf bestimmte Beutetiere spezialisiert, so ernährt sich die südamerikanische Knotenameisengattung Daceton ausschließlich von Springschwänzen.

Nomadisch lebende Ameisenarten, wie die Treiber-, Wander- und Amazonenameisen, jagen als gesamtes Volk. Dabei bilden beispielsweise die Wanderameisen Fronten, die nicht selten 14 bis 20 Meter breit werden können. Neben diversen Wirbellosen erbeuten sie gelegentlich auch nestjunge Vögel, kleine Säugetiere und Schlangen.

Nutzung von an Pflanzen saugenden Insekten

Ameisen in Symbiose mit Blattläusen

Ameisen in Symbiose mit Blattläusen

Viele Ameisenarten leben mit pflanzensaugenden Insekten in Symbiose und somit in gegenseitiger Abhängigkeit. Hauptsächlich sind das phloemsaugende Schildläuse (Coccoidea), Blattläuse (Aphidoidea) und Blattflöhe (Psylloidea). Phloem ist reich an Kohlehydraten, enthält aber nur sehr wenig Protein. Phloemsauger verbrauchen deshalb nur circa zehn Prozent der Kohlehydrate; der Überschuss wird als zuckerreicher Honigtau – wichtigste Kohlenhydratquelle der Ameisen – ausgeschieden. Die Ameisen „melken“ die Blattsauger und bewachen sie im Gegenzug vor Fressfeinden. Manche Ameisenarten lassen die Blattläuse in ihrem Nest überwintern oder tragen deren Eier in ihr Nest, um sie vor Kälte zu schützen. Vom Regen fortgespülte Larven werden von den Ameisen gesucht und zurückgeholt.

„Melkende“ Ameise

„Melkende“ Ameise

Manche Ameisen suchen gezielt nach Blattsaugern und versetzen sie auf von den Pflanzensaugern bevorzugte Pflanzen. Wird eine Herde zu groß, so treiben oder tragen die Ameisen die Läuse oder deren Eier zu einer neuen Pflanze. Es wurden Kriege zwischen verschiedenen Ameisenstaaten beobachtet, in denen um die Vorherrschaft über Läuseherden gekämpft wurde.

Samensammler

Zu den Samensammlern (Granivoren) zählen im weitesten Sinne alle Ameisen, die Samen sammeln oder fressen.

Die in den Halbwüsten und Steppen vorkommenden Ernteameisenarten der Gattung Pogonomyrmex, oder die in wärmeren Gegenden Europas und in Afrika verbreiteten Messor sammeln vor allem Gras- (zum Beispiel Getreide-), aber auch andere Pflanzensamen, die sie massenhaft einlagern und von denen sie sich ausschließlich ernähren. Bei den Ernteameisen gibt es Arbeiterinnen mit vergrößerten Mandibeln (sogenannten Majoren), die ausschließlich die auf den bis zu 200 Meter langen Ameisenstraßen herangeschleppten Samen knacken.

Zu dieser Gruppe zählen auch die Elaiosom-fressenden Arten. Das Elaiosom ist ein protein- und fettreiches Fraßkörperchen, das sich als Anhängsel an Samen von vor allem bodennah wachsenden Krautpflanzen (wie verschiedenen Veilchen– und Lerchenspornarten) findet. Die Samenausbreitung findet an diesen Pflanzen durch Ameisen statt (Myrmekochorie). Die meist sehr kleinen Samen werden im Ganzen wegtransportiert und mithin verbreitet, aber nur das Elaiosom verwertet. Bei diesen Arten dienen die Samen nicht als Hauptnahrung, werden aber für schlechte Zeiten eingelagert.

Diebe

Diebe oder Gelegenheitsdiebe bauen Gänge in fremde Nester oder gar Brutkammern und verschleppen die fremde Brut, um sie später zu verzehren. Dieser Kleptoparasitismus wurde beispielsweise bei der in Europa eingeschleppten und in mehreren Staaten meldepflichtigen Pharaoameise (Monomorium pharaonis) und der Gelben Diebsameise (Solenopsis fugax) beobachtet.

Pilzzüchter

Einige Ameisenarten des Tribus Attini züchten Pilze. Dazu gehören die südamerikanischen Blattschneiderameisen der Gattungen Atta und Acromyrmex, die in ihren bis zu acht Meter hohen Nestern vor allem Schirmpilze (Lepiota) züchten und mit diesen und einem Bakterium in einer seltenen Dreiersymbiose leben.

Die Ameisen schaffen Blatt- und Pflanzenteile heran, zerkauen diese zu einer breiigen, weitestgehend fungizid-freien Masse, die dann als spezieller Nährboden für die Pilze dient. Demgegenüber bilden die Pilze an den Enden der Pilzfäden eiweißreiche Verdickungen (Gongylidien oder Bromalien) aus, die als Proteinquelle für die Ameisen dienen. Auch schließen die Pilze die Cellulose in den pflanzlichen Materialien so auf, dass sie für die Ameisen verwertbar werden und bauen überdies Insektizide ab. Die dritten in der Dreiersymbiose sind Bakterien der Gattung Streptomyces, die an der Unterseite der Ameisen ihren Lebensraum haben und antibakterielle und fungizide Stoffe produzieren. Damit schützen die Ameisen ihre Pilze vor hochspezialisierten Parasiten wie die zu den Schlauchpilzen gehörenden Escovopsis-Arten, die die Ernte der Ameisen bedrohen. Einige Attini-Arten züchten Pilze auf Raupenkot oder anderen organischen Materialien.

Der Ameisenstaat

Die Ameisen zählen zu den eusozialen (staatenbildenden) Insekten. Bei Ameisen gibt es Staaten von nur wenigen hundert (Leptothorax) bis über 20 Millionen Tieren. Die größte bekannte Ameisenkolonie wurde von dem Schweizer Biologen Laurent Keller entdeckt. Sie erstreckt sich über eine Länge von 5760 Kilometern entlang der Küste der Italienischen Riviera bis in den Nordwesten Spaniens und besteht aus mehreren Millionen Nestern mit mehreren Milliarden Individuen. Normalerweise würden sich die Ameisenvölker untereinander attackieren, es sei denn, sie sind so nah miteinander verwandt, dass sie sich gegenseitig erkennen und als ein Volk akzeptieren. In absehbarer Zeit wird allerdings die genetische Verwandtschaft der einzelnen Teilvölker dieser Superkolonie derart abnehmen, dass sich die Ameisen untereinander nicht mehr erkennen werden.

Monogyne Staaten, die also nur eine Königin besitzen, können meistens nur so alt wie die Königin selbst werden, da nach deren Tod keine Eier mehr gelegt werden. Königinnen, wie die der Roten Waldameise (Formica rufa), können bis zu 25 Jahre alt werden, während die Arbeiterinnen nur selten länger als zwei bis drei Jahre leben. Im Falle der Schwarzen Wegameise (Lasius niger) schätzt man die mittlere Lebenserwartung der Königinnen sogar auf 29 Jahre.

Polygyne Staaten können zwei bis zu 5000 Königinnen enthalten. Diese Staaten werden in der Regel 50 bis 80 Jahre alt. Danach tritt das Phänomen auf, dass sich die Königinnen untereinander nicht mehr akzeptieren, da der Verwandtschaftsgrad immer geringer wird.

Fortpflanzung und Kastenbildung

Typen des Genus

Der typische Insektenstaat besteht fast ausnahmslos aus Weibchen: Königinnen sowie Arbeiterinnen bzw. Soldatinnen. Die Ameisen mit der typischen Königsgestalt, die Vollweibchen (Gynomorphe), werfen in der Regel nach der Begattung ihre Flügel ab und unterscheiden sich dann äußerlich nur noch in ihrer Größe von den normalen Arbeiterinnen. Es gibt allerdings auch bei den sozialparasitären Arten kleine Zwergköniginnen (Mikrogyne), die ihre Flügel behalten. Königinnen mit typischer Arbeiterinnengestalt sind die Ergatomorphen. Bei vielen Ameisenarten gibt es intermorphe Weibchen, die anatomisch eine Zwischenform (keine Flügel, aber voll entwickelte Keimdrüsen) sind. Alle drei Formen können theoretisch sowohl als Königin, als auch als Arbeiterin fungieren.

Zusätzlich gibt es sehr viele Ameisenarten mit fortpflanzungsfähigen Arbeiterinnen, welche schwach entwickelte Keimdrüsen, leicht unterentwickelte Eierschläuche und meistens gar keinen oder einen stark zurückgebildeten Samensack (Receptaculum seminis) haben. Sie kommen beispielsweise in monogynen Staaten zum Einsatz, wenn die Königin stirbt. Da aber Arbeiterinnen nicht begattet werden, können sie ihre Eier nicht befruchten, und diese kommen daher auf eingeschlechtlichem (parthenogenen) Weg zustande. Deshalb entstehen bei den Arbeiterinnen immer nur Männchen.

Neben den Arbeiterinnen und den Königinnen gibt es noch die geflügelten Männchen. Man kann sie im Frühjahr beim Hochzeitsflug beobachten. Männchen entstehen nur, um die Jungköniginnen zu begatten.

Eiablage

Nach dem Winterschlaf wärmt sich die Königin zunächst drei bis acht Tage auf und beginnt dann mit der Eiablage (mehrere 100 täglich, bis zu 300 bei der Roten Waldameise). Bei den meisten Arten sind es zuallererst Eier von Geschlechtstieren (Männchen oder Jungköniginnen), da spät geschlüpfte Königinnen nur geringe Chancen haben, einen neuen Staat zu gründen und somit die Art zu erhalten.

Ameisen haben, wie alle staatenbildenden Hautflügler (Hymenoptera) keine Geschlechtschromosomen. Die Königin kann entscheiden, ob aus einem Ei ein Weibchen oder ein Männchen werden soll, je nachdem ob sie das Ei in ihren Eierleitern mit der Samenspritze besprüht oder nicht. Es ist noch ungeklärt, wie die Königin diese Entscheidung trifft.

Es gibt zuweilen (am Beispiel der kleinen Waldameise) auch Königinneneier. Sie sind wesentlich größer, da sie an ihrem hinteren Eipol eine spezielle RNAProteinnahrung, das Polplasma, enthalten, die die Embryos für die Entwicklung zu Königinnen brauchen.

Einige Ameisenarten (wie die Weberameisen der Gattung Oecophylla) legen trophische Eier. Diese Eier werden nicht gelegt, um Nachkommen zu zeugen, sondern dienen als Nähreier, mit denen später die Larven gefüttert werden.

Eipflege

Ameiseneier sind meistens weichschalige, gestreckte Ellipsoide von bis zu einem Millimeter Länge. Nach der Eiablage tragen die Brutpflegerinnen die Eier mittels ihrer Mandibeln in die Brutkammern, in denen geeignete Temperatur und Luftfeuchtigkeit herrschen. Ändert sich dieses Mikroklima durch äußere Einflüsse (zum Beispiel Zerstörung), so werden die Eier sofort von den Arbeiterinnen in andere Brutkammern transportiert.

Die Brutpflegerinnen belecken und bespeicheln die Eier immer wieder, um sie sauber zu halten und vor dem Austrocknen zu schützen. Auch haften die Eier dadurch aneinander und können somit notfalls als „Pakete“ transportiert werden.

Bei manchen Arten fressen die Arbeiterinnen einige unbefruchtete Eier, falls sonst zu viele Männchen entstünden.

Die Entwicklung der Eier dauert bei Ameisen je nach Art zwischen ein und vier, bei der Roten Waldameise ungefähr zwei Wochen.

Larvenstadium

Nach einiger Zeit schlüpfen die weißen oder gelblichen, madenförmigen Larven aus den Eiern. Sie sind weichhäutig, meist leicht behaart und je nach Art mehr oder weniger beweglich. Beine, Augen und Mundwerkzeuge sind noch nicht, die Verdauungsorgane nur teilweise ausgebildet. Brutpflegerinnen transportieren die Larven in die Sonne, füttern sie über ihren Kropf und reinigen sie, damit sie nicht austrocknen oder Pilze ansetzen.

Bei den meisten Ameisenarten ist die Nahrung der geschlüpften Larven und deren Lage zur Königin für die Geschlechtsbildung wichtig. Aus den Larven der Königinneneier können sich bei der falschen Nahrung Arbeiterinnen entwickeln, aus denen normaler Eier bei der richtigen Nahrung Königinnen. Die richtige Nahrung ist dabei das Königinnen-Gelee (eine normale Kropfnahrung, der ein Sekret aus den Labial- und Postpharynxdrüsen beigemischt wird), das die Brutpflegerinnen per „Kropf-zu-Mund“ an die Larven verfüttern (Throphallaxis). Den Nahrungsfaktor bei der Entwicklung der Königin nennt man den trophischen Faktor. Alle Eier (auch Königinneneier), die sich sehr nahe bei der Königin befinden, entwickeln sich zu Arbeiterinnen. Das wird damit erklärt, dass die Königin über einen bestimmten versprühten Duft die Kropfnahrung der Brutpflegerinnen steuert.

Innerhalb der Arbeiterinnenkaste kann es morphologisch bedingt noch zwei bis drei Unterkasten, wie die Klein- und Großarbeiterinnen oder Soldaten, geben. Soldaten (zum Beispiel bei den Treiberameisen) haben einen stark vergrößerten Kopf mit sehr großen Mandibeln. Eine extrem ausgeprägte Arbeiterinnenkaste sind die sogenannten Honigtöpfe der nordamerikanischen Honigtopfameisengattung Myrmecocystus, der Schuppenameisen und in abgeschwächter Form der südeuropäischen Art Proformica nasuta, bei denen Tiere als Nahrungsspeicher fungieren: Ihr Kropf füllt die gesamte Gaster aus und wird mit Honig angefüllt. Die Festlegung dieser Subkasten ergibt sich ebenfalls über die Nahrung.

Auch die Männchen erhalten eine spezielle Nahrung.

Da bei den Larven die Verdauungsorgane noch nicht vollständig ausgebildet sind, sammeln sie die unverdaulichen Nahrungsreste im sogenannten Kopfsack, der sich am Ende des Mitteldarms befindet. Erst am Ende der Larvenzeit ist die Verbindung zum After vollständig ausgebildet, so dass der Inhalt des Kopfsacks bei der Umwandlung zur Puppe als sogenanntes Meconium entsorgt werden kann. Bei solchen Ameisen, deren Puppen in Kokons liegen, wird der Larvenkot (Exkret) durch schwarze Punkte an der Puppenhülle sichtbar, sobald zwischen Darm und Magen eine Verbindung entstanden ist.

Die Larven entwickeln sich meist schnell: Die Larven der Roten Waldameise können sich innerhalb von acht Tagen verpuppen.

Das gesamte Wachstum der Ameisen ist, wie bei allen Holometabolen Insekten auf das Larvenstadium beschränkt.

Puppenstadium

Ameisenpuppen

Ameisenpuppen

Im Puppenstadium nimmt die Ameise keine Nahrung mehr auf und verharrt völlig regungslos. Die Larven der meisten Schuppen- und Urameisen spinnen sich beim Verpuppen mittels eines aus ihrem Labium austretenden Spinndrüsensekretes in eine trockene Hülle (Kokon) ein.

Die Puppenruhe dauert bei den Roten Waldameisen rund 14 Tage, bei vielen Arten jedoch bedeutend länger. Die Puppenkokons werden von den Brutpflegerinnen an die günstigsten Standorte transportiert und gepflegt. Auch helfen sie beim Schlüpfen und füttern und reinigen die junge Ameise noch einige Tage lang, bis deren Chitinpanzer gehärtet und nachgedunkelt ist.

Hochzeitsflug

Schwärmende Ameisen, die aus einer Fußbodenleiste eines Hauses kommen

Schwärmende Ameisen, die aus einer Fußbodenleiste eines Hauses kommen

Sind die Jungköniginnen und Männchen geschlüpft (bei den heimischen Arten Anfang Mai), so bereitet sich der gesamte Staat auf den Hochzeitsflug vor. Die geflügelten Geschlechtstiere verspüren immer mehr den Drang, auf hohe Punkte, wie etwa Grashalme, Hügel oder Bäume zu klettern. Spezielle Arbeiterinnen passen auf, dass sich die Geschlechtstiere nicht zu weit vom Nest fortbewegen und holen sie notfalls in den Bau zurück.

Zu einem artspezifischen Zeitpunkt (bei einheimischen Arten meistens im Früh- oder Hochsommer), der vermutlich von bestimmten Luftströmungen, Lichtverhältnissen und Temperaturen abhängt, schwärmen alle Geschlechtstiere einer Art gleichzeitig zum Hochzeitsflug aus. Durch diesen einfachen, aber genialen Trick kann Inzucht weitestgehend vermieden werden. Das jeweils andere Geschlecht wird dabei durch Ausstoßen von Sexualduftstoffen angelockt.

Auf dem einige Stunden dauernden Hochzeitsflug wird die Jungkönigin von zwei bis 40 Männchen befruchtet. Die Königin nimmt bis zu mehrere 100 Millionen Spermien in ihrem Samensack auf, die sie durchschnittlich 25 Jahre unbeschadet verwahren kann und mit denen sie die Eier befruchten wird. Vor allem tropische und subtropische Arten schwärmen zweimal im Jahr.

Einige Stunden nach dem Hochzeitsflug sterben die Männchen und werden von den Arbeiterinnen gefressen. Wenn die Königinnen zurück auf die Erde fallen, brechen ihre Flügel in der Regel an vorbestimmten Stellen, oder sie beißen sie sich selbst ab, da sie nicht mehr benötigt werden.

Einige, vor allem größere Ameisenarten, paaren sich auf dem Boden.

Nach der Besamung versuchen die Königinnen ein eigenes Volk aus Arbeiterinnen heranzuziehen.

Staatenentwicklung

Ameisenhaufen

Ameisenhaufen

Selbständige Staatengründung

Die häufigste Variante ist die selbständige Staatengründung. Sie wird in Mitteleuropa von schätzungsweise 65 Prozent der Arten betrieben. Bei dieser Form sucht sich ein Weibchen einen geeigneten Nistplatz, legt eine kleine Höhlung, die Claustra, an und legt dort ihre Eier hinein. Nun versucht die Königin Arbeiterinnen zu züchten. Dabei füttert und pflegt sie die Brut völlig selbstständig. Man unterscheidet bei der unabhängigen Staatengründung die ohne und die mit Nahrungssuche.

Die meisten Arten, vor allem die größeren, brauchen während der Brutzeit nicht auf Nahrungssuche zu gehen. Anfangs füttert die Königin die Larven trophal. Wenn ihre Kropfnahrung aufgebraucht ist, dann baut sie ihre kräftige Flugmuskulatur ab, die sie nach dem Hochzeitsflug nicht mehr benötigt und verfüttert diese an ihre Larven. Reicht auch das nicht aus, so frisst sie einen Teil ihrer Eier, um diese wieder zu verwerten und sicherzustellen, dass sich zumindest einige Arbeiterinnen entwickeln und somit bei der Nahrungssuche helfen können.

Bei den kleineren Arten, wie etwa den Leptothorax-Gattungen haben die Jungköniginnen nicht genug körpereigene Reserven, daher müssen sich diese hin und wieder auf Nahrungssuche begeben. Da sie sich dabei mehr als die größeren Arten der Gefahr aussetzen müssen, dass ihre unbewachte Brut oder sie selbst gefressen werden, gelingt es nur wenigen der tausenden ausschwärmenden Jungköniginnen, erfolgreich einen eigenen Staat zu gründen.

Mit den ersten geschlüpften Arbeiterinnen wird langsam der neue Staat gegründet. Die Königin verliert nach und nach ihre Mutterinstinkte und widmet sich immer mehr dem Eierlegen, während die Arbeiterinnen nun alle Aufgaben, von der Brutpflege über die Nahrungssuche bis zum Nestbauen übernehmen. Diese Art von Staatsgründung kann auch von mehreren Königinnen zusammen stattfinden, wobei sie alle ihre Eier gemeinsam an eine Stelle ablegen und die Brut gemeinsam groß ziehen. Das hat den Vorteil, dass sie gegenüber eventuellen Angreifern gut geschützt sind. Der daraus resultierende Staat ist dann entweder polygyn oder die Königinnen entscheiden mittels Kämpfen über die Hierarchie, wenn nicht gar eine Königin alle anderen tötet, woraus dann eine sogenannte funktionelle Monogynie erwächst.

Nestteilung

Bei der Nesterteilung kommen die frisch begatteten Königinnen nach dem Hochzeitsflug zu ihren Nestern zurück und versprühen ein bestimmtes Sekret, das einen Teil der Arbeiterinnen veranlasst, ihnen zu folgen. Dadurch entsteht in der Nähe des Ursprungsnests Tochternester (Soziotonie), die meistens durch Ameisenstraßen in Verbindung bleibt. Mehrere Ameisennester in näherer Umgebung deuten meist auf ein gemeinsames Ursprungsnest hin. Ein solches System bezeichnet man als Kolonie, sehr große Kolonien, wie beispielsweise jenes bei der Argentinischen Ameise, als Superkolonie.

Nestteilungen beobachtete man bei fast allen Ameisenarten, vorrangig jedoch bei den Zwergameisenarten der Plagiolepis, bei der Kippleibameise (Crematogaster scutellaris) und der bei uns eingeschleppten Pharaoameise (Monomorium pharaonis).

Versklavung

Formen der Versklavung findet man bei der Amazonenameise (Polyergus breviceps) bei den Arten Leptothorax, Formica fusca, Formica sanguinea und Formica rufibarbis oder bei der Epimyrma ravouxi.

Bei der unselbständigen Staatengründung sucht sich eine Königin Arbeiterinnen von derselben oder auch fremden Arten. Im besonderen Fall der Blutroten Raubameise (Formica sanguinea) sucht sich die Königin eine Hilfskönigin zumeist bei der Grauschwarzen Sklavenameise (Formica fusca) oder der Roten Waldameise (Formica rufa). Sie schüchtert die Hilfskönigin ein und legt Eier in deren Erdhöhle. Daraufhin pflegt die Hilfskönigin beide Gelege. Wenn die ersten Arbeiterinnen der abhängigen Königin geschlüpft sind, wird die Hilfskönigin getötet und deren Brut versklavt, sodass die Königin sich nun von den anderen Arbeiterinnen pflegen lässt. Diese Art von abhängiger Staatengründung nennt man temporären Sozialparasitismus. Hin und wieder kommt es vor, dass die parasitäre Königin ihre Wirtin leben lässt und sich so ein permanentes oder zeitweiliges Mischvolk entwickelt (zum Beispiel bei der Säbelameise (Strongylognathus testaceus) und der Gemeinen Rasenameise (Tetramorium caespitum).

Eine andere Art des Sozialparasitismus, den Brutparasitismus, findet man bei der Arbeiterlosen Parasitenameise (Anergates atratulus). Sie dringt in königinnenlose Nester von Tetramorium-Arten ein und legt dort eine große Zahl an Eiern, die von den Wirtsameisen „adoptiert“ werden.

Manche Ameisenarten sind nicht in der Lage selbstständig zu fressen oder Nestbautätigkeiten auszuführen. Sie dringen in artfremde oder -eigene Nester ein und töten entweder alle dort lebenden Ameisen um deren Bau für das eigene Volk zu nutzen, oder lassen nur die bald schlüpfenden Larven unversehrt, um sie als Sklaven aufzuziehen. Meistens werden bei dieser Form immer wieder Raubzüge unternommen, um sich ständig neue Sklaven zu besorgen.

Rückkehr der Königinnen

Königinnen der Kahlrückigen Waldameise und der Großen Wiesenameise kehren oft wieder in ihr Heimatnest zurück. Dort werden sie von Arbeiterinnen sicher in den Bau begleitet und gepflegt. Die neue Königin beginnt dann ebenfalls Eier zu legen. Völker dieser Art haben oft mehrere Königinnen, sind also polygyn und teilen sich, wenn sie zu groß werden auf. Die neue Königin verlässt dann mit einem Teil der Arbeiterinnen das Nest und gründet ein „Ableger-Nest“ (Zweignestbildung). Es kommt auch vor, dass Königinnen dieser Arten nicht in ihr altes Nest zurückfinden oder nicht aufgenommen werden. Sie versuchen dann von Völkern der selben Art aufgenommen zu werden (Adoption), oder versuchen in ein Nest von nahe verwandten Arten einzudringen, die dortige Königin zu töten und ihre Nachkommen von den fremden Ameisen großziehen zu lassen (temporärer Sozialparasitismus).

Die junge Königin der Roten Waldameise (Formica rufa) kann nicht in die Mutterkolonie zurückkehren, da ihre Staaten monogyn sind. Die befruchtete Königin dringt deswegen in den Staat der Grauschwarzen Sklavenameise (Formica fusca) ein, tötet die Königin und setzt sich an ihre Stelle. Die Sklavenameisen ziehen dann die Brut der neuen Königin groß. Einige Zeit hat man so ein gemischtes Volk, bis die letzte Sklavenameise gestorben ist und nur noch Nachkommen der neuen Königin übrig sind. 3

Ameisen und die Evolutionstheorie

Die Arbeiterinnen der Ameisen sind altruistische Lebewesen: Während sie sich selbst nicht fortpflanzen, arbeiten sie „selbstlos“ darauf hin, dass die Königin ihre Gene an Nachkommen weitergeben kann. Darwin war sich des Dilemmas für die Evolutionstheorie bewusst: Wie werden altruistische Gene weitergegeben, wenn sich ihre Träger – die Arbeiterinnen – nie fortpflanzen. Sein Erklärungsversuch: Auch komplette Familienverbände könnten von der Selektion begünstigt werden. 1968 formulierte der britische Biologe William D. Hamilton seine mathematisch gestütze und allgemein anerkannte Theorie der Verwandtenselektion (kin selection). Aufgrund der speziellen Fortpflanzung staatenbildender Insekten sind Ameisenarbeiterinnen zu 75 Prozent miteinander verwandt, also stärker, als es mit einer eigenen Tochter möglich wäre. Deshalb bevorzugt die natürliche Selektion solche Gene, welche die Arbeiterinnen veranlassen, Schwestern und nicht eigene Töchter aufzuziehen – Grundlage des altruistisch sozialen Ameisenstaates.

Ameisen und die Optimal-Skew-Theorie

Die Optimal-Skew-Theorie versucht zu erklären, unter welchen Bedingungen Lebewesen auswandern, um sich anderswo niederzulassen und sich fortzupflanzen. Sie baut auf Hamiltons Theorie der Verwandtenselektion auf. Die folgenden Vermutungen werden dabei auf Ameisen und ihre Staatenneugründungen angewandt:

  1. Wenn durch Aufzucht und Pflege von Verwandten proportional mehr Nachkommen mit verwandten Genen entstehen können, als durch Fortpflanzung nach Auswanderung, so verbleibt das Tier – andernfalls wandert es aus.
  2. Die Anzahl möglicher eigener Nachkommen nach Auswanderung hängt von der Umwelt ab.

Da Jungköniginnen nach dem Hochzeitsflug zumeist in ihr Ursprungsnest und somit zu ihren Verwandten zurückkehren, wird die genetische Komponente zunächst weniger stark bewertet, als die der Umwelt. Umweltfaktoren sind dabei Verfügbarkeit eines Nistplatzes und Überwinterungsmöglichkeiten, wobei die Chance, den Winter zu überstehen, direkt von der Größe der Gruppe abhängt.

In großen, zusammenhängenden Waldgebieten sind genügend Nistplätze vorhanden, sodass die Überwinterung das Hauptproblem darstellt. Mit genügend Gefolge können die Jungköniginnen neue Staaten gründen und die Winter überstehen.

In kleinen Habitaten mit wenig Nistplätzen sind Platz und Überwinterungsmöglichkeiten gleichermaßen wichtig. Darum neigen die Ameisen hier zu großen Staaten mit vielen Königinnen und strenger Hierarchie. Hierarchisch tieferstehende Königinnen verbleiben dabei im Ursprungsnest, da sie die Chancen auf Aufstieg innerhalb der Hierarchie gegen die Auswanderung unter schlechten Umweltbedingungen setzen. Die Alpha-Königin hingegen verbleibt trotz des ständigen Risikos nach Revierkämpfen abzusteigen oder Arbeiterinnen an neue Königinnen zu verlieren. Der Grund liegt darin, dass ihr nach bestandenen Hierarchiekämpfen die Pflege der untergeordneten Königinnen zuteil wird, die zudem auch noch mit ihr verwandt sind und somit verwandte Gene weitervererben.

Die Theorie konnte erfolgreich das Abwanderungsverhalten überprüfter Ameisenarten erklären.

Die Organisation des Ameisenstaates

Bei den Ameisen unterscheidet man zwischen Arbeiterinnen für den Innen- und den Außendienst, wobei alle zunächst im Innendienst tätig sind und einige später in den Außendienst wechseln. Grundsätzlich haben alle Ameisen eine Aufgabe.

Im folgenden wird die Arbeitsverteilung am Beispiel der Roten Waldameise erläutert. Bei ihr sind derzeit zehn Spezialisierungen im Innendienst und sechs im Außendienst bekannt.

Innendienst

Wächterameisen im Kampf mit einer Raupe

Wächterameisen im Kampf mit einer Raupe

Die „Weckerinnen“ schlafen im Winter in den höchsten Bereichen des Nestes und erwachen mit der Frühlingswärme. Sodann tragen sie alle anderen Ameisen, einschließlich der Königinnen, aus den tieferen Regionen auf das Nest, damit diese sich aufwärmen können und aufwachen.

Die „Wärmeträgerinnen“ absorbieren mit ihren schwarzen Körpern Sonnenwärme, die sie dann in innere, kühle Bereiche des Baus, vor allem in die Brutkammern, transportieren. Dadurch kann die Temperatur im Nest relativ konstant gehalten werden.

Die „Speichertiere“ werden als Futterspeicher für die Wintermonate sehr stark gefüttert. Das Abdomen kann dabei so geweitet werden, dass ihre Beine nicht mehr richtig den Boden erreichen und sie von anderen Arbeiterinnen transportiert werden müssen. Eine extreme Variante stellen die Honigtopfameisen dar.

Die „Brutpflegerinnen“ pflegen, füttern und transportieren die Eier, Larven und Puppen und unterstützen anfangs die jungen, frisch geschlüpften Imagines.

Königinnenpflegerinnen“ füttern und reinigen die Königinnen. Frisch gelegte Eier transportieren sie entweder direkt zu den Brutkammern oder übergeben sie den Brutpflegerinnen.

Die „Nestreinigerinnen“ transportieren vor allem anfallenden Müll aus dem Nest, teilweise in außerhalb des Baus eigens dafür eingerichtete Müllkammern. Auch entfernen sie im Nest gestorbene Arbeiterinnen. Entweder werden diese gefressen oder auf einem außerhalb gelegenen Friedhof „bestattet“.

Die „Nestbauerinnen“ setzen das Nest nach starkem Regen, Sturm oder Beschädigung instand oder bauen, beispielsweise nach Zerstörung des alten Nestes, ein neues.

Die „Beutezerlegerinnen“ zerkleinern herbeigeschaffte Nahrung, so dass sie möglichst platzsparend eingelagert werden kann.

Die „Wächterinnen“ beschützen das Nest, vor allem die Eingänge vor Angreifern und Eindringlingen. Alle eindringenden Ameisen werden über den Geruch geprüft. Sind sie fremd, so werden sie sofort attackiert und meist getötet. Des Weiteren schließen die Wächterinnen das Nest in Ruhezeiten mit kleinen Holzteilchen. Bei der Roten Waldameise sind die Ruhezeiten nachts und ab dem Spätherbst. Bei den Roten Waldameisen arbeiten Arbeiterinnen als Wächterinnen, da sie keine eigene Subkaste der Soldaten, wie beispielsweise die Ecitonidae oder die Dorylidae haben.

Außendienst

Jägerameisen zerlegen einen Regenwurm

Jägerameisen zerlegen einen Regenwurm

Indonesische Soldatenameisen (Pheidologeton diversus) beim Erlegen einer Beute

Indonesische Soldatenameisen (Pheidologeton diversus) beim Erlegen einer Beute

Jägerinnen“ jagen allein oder in kleinen Gruppen tierische Nahrung und schleppen sie in den Bau. Sie stellen den weitaus größten Anteil am Außendienst.

Die „Sammlerinnen“ suchen pflanzliche Nahrung wie Blütennektar, Pollen, Pflanzenteile und die Samen mit dem Elaiosom.

Die „Melkerinnen“ beschaffen den Honigtau der Blattläuse (s. u.).

Die „Nestmaterialbeschafferinnen“ sammeln kleine Holzteile und andere Baumaterialien, mit denen die „Nestbauerinnen“ den Bau instand halten. Das Material kann dabei das sechs- bis siebenfache des eigenen Körpergewichts wiegen (bei kleineren Arten bis zum 40-fachen). Die Last wird dabei hauptsächlich über die Beine ausbalanciert: große Ameisen zentralisieren den Lastenschwerpunkt, kleinere Ameisen verlagern ihn nach hinten. Die Lastenbewältigung wird durch eine sehr kräftige Muskulatur und das harte Exoskelett ermöglicht.

Trägerinnen“ transportieren Arbeiterinnen vom alten in das neu errichtete Zweignest, falls diese nicht umgesiedelt werden möchten (Zwangsumsiedlung), was durchaus vorkommt.

Straßenbauerin“ ist keine eigentliche Spezialisierung, sondern eine Eigenschaft im Außendienst. Eine Ameise markiert den Weg zu einer neu entdeckten Nahrungsquelle, die sie nicht selbst erschließen kann, oder einem möglichen neuen Nistplatz (Gründerameise). Dazu läuft sie nach der Entdeckung zurück zum Bau, um Arbeiterinnen zu rekrutieren, und hinterlässt dabei eine Duftspur von Pheromonen. Je mehr Ameisen die Straße benutzen, also je bedeutender die Straße ist, desto mehr wird die Duftspur verstärkt und damit ausgebaut. Die Pheromone sind sehr reizwirksam: Mit einem Milligramm könnte eine Spur gelegt werden, die dreimal um die Erde führen würde.

Orientierung

Außer über die Pheromone können sich Ameisen auch anhand der Polarisation des Lichts orientieren. Im Zusammenspiel von der mit der Tageszeit variierenden Ausrichtung der Lichtwellen und einer inneren biologischen Uhr bestimmen die Ameisen ihre Laufrichtung. Die Wüstenameisen (Cataglyphis fortis) können darüber hinaus neben der von ihnen zurückgelegten Strecke auch die Luftlinie zum Ausgangspunkt (Ameisenhaufen) wahrnehmen.

Einige andere Arten orientieren sich auch mittels Ultraschall. Dazu senden sie durch Stridulation (Reiben des mit kleinen Haaren oder Haken bestückten hinteren Beinpaars am Hinterleib, vgl. das Zirpen bei Grillen) Schallwellen ab acht Kilohertz bis weit in den Ultraschallbereich aus. Diese werden an Gegenständen reflektiert, mit dem Johnstonschen Organ aufgefangen und ausgewertet. Stridulationsklänge können aber auch durch Auf- und Abbewegungen eines Gastersegments an einer Kante des Postpetiolus entstehen. So können verschüttete Blattschneiderameisen „um Hilfe rufen“ und von Artgenossen gehört und ausgegraben werden.

Kommunikation

Der Informationsaustausch bei Ameisen erfolgt größtenteils chemisch über verschiedene Duftstoffe und taktil durch das Betasten mit den Fühlern. Es gibt für jede Situation Sekrete, zum Beispiel die Alarm-Pheromone, wie das Undecan aus den Dufourschen Drüsen. Diese olfaktorische Kommunikation ist die wichtigste Verständigungsmöglichkeit der Ameisen.

Jede notwendige Information kann auch über Antennenkreuzen weitergegeben werden. So berühren sich die Fühler beispielsweise kurz oder lang und abrupt oder gleitend. Dieses nennt man taktile Kommunikation. Mit dieser Methode kann eine Ameise einer anderen durch Betrillerung signalisieren, dass sie hungrig ist und Kropfnahrung benötigt. Auch wenn eine Ameise eine andere zu einer Nahrungsquelle führt und die Duftspur noch nicht ausreichend intensiv ist, ist diese Art von Kommunikation notwendig. Dabei veranstalten diese beiden Ameisen den sogenannten Tandemlauf. Durch Betasten der Gaster signalisiert die geführte hintere Ameise ihre Anwesenheit. Ist diese nicht mehr da, wartet die Führerin und versprüht so lange Sekrete, bis sich beide wieder gefunden haben.

Kollektive Intelligenz

Drei Ameisen transportieren einen toten Gecko

Drei Ameisen transportieren einen toten Gecko

Transportieren mehrere Ameisen Beute gemeinsam zum Nest, so beruht das nicht auf einer Absprache, also auf einer kommunikativen Intelligenz. Vielmehr versucht jede Ameise für sich die Beute in Richtung Nest zu schaffen. Sind genug Ameisen herangekommen, um die Beute der Masse nach wegschaffen zu können, und zerren genug Ameisen in etwa die selbe Richtung, nämlich auf der selben Straße Richtung Nest, so setzt sich der Transportzug automatisch in Bewegung. Je besser die Straße durch Pheromone markiert ist, desto besser kommt der Zug voran.

An den Schwarzen Wegameisen wurde nachgewiesen, dass Ameisen sich nicht ausschließlich nach der Pheromonspur (Ameisenstraße) der Gründerameise richten, wenn sie die Beute in Richtung Nest schaffen. Ist eine Passage so eng, dass es zu Kollisionen zwischen den hin- und zurücklaufenden Ameisen kommt, so weichen die heimkehrenden Ameisen auf einen alternativen Weg aus und legen dabei eine praktisch parallele Ameisenstraße an, die sich durch Benutzung verfestigt. Dass die heimkehrenden Ameisen ausweichen dürfte damit begründet sein, dass die Ameisen über den eingebauten Kompass das Nest auch ohne Pheromonspur gut orten können, was für die Beute nicht gilt: Diese ist nur durch die Pheromonspur zu finden.

Ein weiteres Beispiel für diese sogenannte Kollektivintelligenz ist die Jagdstrategie einiger Ameisenarten. So weiß bei der Jagd auf eine Schabe jede Ameise, was sie zu tun hat: Die kleineren halten die Schabe an den Beinen fest, während die größeren anfangen, sie zu zerschneiden und mit ihrem Gift zu töten. Es scheint alles abgesprochen. Tatsächlich jedoch können Ameisen nicht komplex denken; ihr Wahrnehmungsspektrum beschränkt sich auf verschiedene Gerüche und den sehr guten Tastsinn. Trägt eine Ameise ein Holzstück zum Bau, so weiß sie vermutlich nicht, dass dieser Stock zur Nestauszubesserung dienen wird. Die Kollektivintelligenz entspricht jedoch vermutlich der eines Schimpansen.

Ein interessantes Beispiel für kollektive Intelligenz liefert die Ameisenart Cataulacus muticus. Diese Ameisen leben im Inneren einer Bambusart. Sie schützen sich folgendermaßen vor Hochwasser, wenn Regen einsetzt:

  1. Die Ameisen verriegeln mit ihren Köpfen den Stamm von innen wie mit einem Korken
  2. Eingedrungenes Wasser wird aufgenommen und nach dem Regen außerhalb ausgeschieden (geprägte Bezeichnung: „Kollektivpinkeln“).

Nestarten

Die meisten Nester bestehen aus kleinen Holz- oder Pflanzenteilen, Erdkrumen, Harz von Nadelgehölzen oder anderen natürlichen Materialien. Innerhalb einer Ameisenart können verschiedene Nestarten auftreten.

Nomadisch lebende Ameisengattungen, wie die Wander- und Treiberameisen, bauen keine Nester. Da sie sich ständig auf Raubzügen durch die Savannen Afrikas oder die Regenwälder Südamerikas befinden, brauchen sie keine festen Nistplätze. Die Königin und die Brut werden etwas entfernt von der bis zu 20 m breiten Front mitgetragen. Des Nachts bilden die Arbeiterinnen und Soldaten ein lebendes Biwak aus ihren Körpern um die Königin und ihre Brut. Dabei halten sich die Ameisen mit ihren Mandibeln an den Abdomen eines anderen Tieres fest. In diesen Biwaks aus Tausenden von Körpern ist die Königin vor allen äußeren Einflüssen besser geschützt als es in irgendwelchen Nestern überhaupt möglich wäre. Hindernisse überwinden sie, indem sie aus ihren Körpern eine Brücke bilden, über die das restliche Volk hinweg wandern kann.

Erdnest

Eingang zu einem Erdnest zwischen den Fliesen einer Terrasse

Eingang zu einem Erdnest zwischen den Fliesen einer Terrasse

Das Erdnest ist die häufigste Nestart, bei der zumindest der Großteil aller Gänge und Kammern unterhalb der Erdoberfläche liegt. Erdnester sind sehr witterungsanfällig, sodass sie meistens nur an besonders geschützten Stellen wie beispielsweise unter wärmespeichernden Steinen zu finden sind. Manche Arten bilden auch einen Kraterwall um ihr Nest.

Die meisten Erdnester – wie zum Beispiel die der Gelben Wiesenameise (Lasius flavus) – verfügen über eine kleine Kuppel. Solche Erdnester können mehr Sonnenstrahlen auffangen, als flache Nester.

Hügelnest mit Streukuppeln

Der Bau der Roten Waldameise ist ein Hügelnest mit Streukuppeln

Der Bau der Roten Waldameise ist ein Hügelnest mit Streukuppeln

Eine bessere Durchlüftung, aber gleichzeitig auch eine bessere Wärmespeicherung bieten die Hügelnester mit Streukuppeln. Diese Nester sind meistens um morsche Baumstümpfe errichtet, die ihnen Halt geben. In solchen Hügeln leben die meisten Arten der Gattung Formica. Die obere Schicht aus Pflanzenteilen schützt das Nest vor Regen und Kälte; die unteren Schichten sind aus Erde. Die Gänge sind so angelegt, dass Wasser an ihnen abperlen kann. In solchen Nestern, die bis zwei Meter hoch werden und einen Durchmesser von fünf Metern erreichen können und nochmals so tief wie hoch sind, gibt es zahlreiche Etagen und Galerien. Solche Nester haben durch ihre pflanzlichen Bestandteile stark mit Pilzen zu kämpfen, weshalb die Ameisen alle ein bis zwei Wochen die Oberfläche des Nestes komplett umgraben. Dies kann man sehr gut beobachten, wenn man etwas Farbe auf dieses sprüht: Nach spätestens zwei Wochen ist diese vollständig verschwunden und taucht nach vier bis sechs Wochen an einer anderen Stelle wieder auf. Im Winter dient der obere Teil der Hügelnester als Frostschutz, während alle Ameisen in den tieferen Kammern ihre Winterruhe halten.

Holznest

Verschiedene Ameisenarten schneiden mit ihren Mandibeln Nester und Gangsysteme in morsches oder hohles Totholz, wie auch lebende Bäume, wobei den letzteren im Allgemeinen trotzdem noch genügend Wasser- und Nährstoffleitungen zum Überleben bleiben. Die Eingänge befinden sich an den Wurzelenden, so dass man dem Stamm das Nest von außen nicht ansehen kann. Vor allem die mitteleuropäische Schwarze Rossameise (Camponotus herculeanus) nagt ausgeprägte Nestkammersysteme, sogenannte Hängende Gärten, in morsche Stämme.

Die Glänzendschwarzen Holzameisen (Lasius fuliginosus) bauen als einzige heimische Vertreter Kartonnester in Bäume. Sie zerkleinern dazu kleine Holz- und Erdmaterialien und durchtränken diese geknetete Kartonsubstanz mit aus dem Kropf hervorgewürgtem Honigtau. Diese Baumasse enthält bis zu 50 Prozent Zucker. Darauf züchten sie den Pilz Cladosporium myrmecophilum, der durch seine Hyphen (pilztypisch fadenförmige Zellstruktur) den Nestwänden Stabilität verleiht. Beide Lebewesen leben in Symbiose, denn der Pilz findet so optimale Nahrungsgründe.

Kartonnester sind jedoch vor allem bei tropischen Ameisen zu finden, die diese meist freihängend bauen.

Seidennest

Weberameisen der Gattung Oecophylla bauen ihre Nester mittels eines Seidensekrets ihrer Larven, mit dem Blätterbüschel zusammengesponnen werden. Meistens sind diese Nester ebenfalls freihängend. Andere bauen ihre Nester ausschließlich aus Seide, die sie mit totem organischem Material (Detritus) bedecken oder tarnen.

Ameisenpflanzen

Ameisenpflanzen bzw. Myrmecophyten umfassen all jene Pflanzen, die Ameisen zur Nahrung (beispielsweise als Elaiosom-produzierende Pflanzen) zur Fortpflanzung oder als ständigen Wohnraum (Domatien) benötigen.

Domatien sind Pflanzen mit Hohlräumen, in denen Ameisen nisten (Myrmekophylaxis). So leben die Arten der tropischen Gattung Tetraponera (Pseudomyrmecinae) und die malaysischen Cataulacus muticus (Myrmicinae) in den hohlen Stängeln zweier Riesenbambusarten. Teilweise züchten Ameisen in den Pflanzen Blattläuse, wie die Arten der Gattung Azteca, die in hohlen, durch Querwände unterteilten Zweigen und Stämmen der Pflanzen der Gattung Cecropia leben.

Weitere Pflanzen, in denen Ameisen wohnen, sind die der Gattung Myrmecodia, oder eine Büffelhornakazie der Spezies Acacia sphaerocephala, in deren hohlen Dornen die Ameisen nisten.

Andere Nistmöglichkeiten

Die kleineren Arten, vor allem die der Leptothorax benötigen keine größeren Territorien. Diese nutzen kleine Asthöhlungen von diversen Larven oder wohnen in Schneckenhäusern oder Eicheln.

Interaktion mit anderen Lebewesen

Fressfeinde

Einige Ameisenlöwenarten fangen Ameisen mit Hilfe von Trichtern, welche sie in sandigen Boden höhlen.

Einige Ameisenlöwenarten fangen Ameisen mit Hilfe von Trichtern, welche sie in sandigen Boden höhlen.

In Mitteleuropa ernähren sich einige Vogelarten wie z.B. der Grün-, Bunt- und Schwarzspecht, kleine Schlangen, Amphibien, Spinnen, Insekten aber auch Wildschweine von Ameisen. Die Larven der Ameisenjungfern, die Ameisenlöwen, sind unter anderem auf das Erbeuten von Ameisen spezialisiert. Der Grünspecht deckt die Hälfte seines täglichen Nahrungsbedarfs mit circa 3000-5000 Ameisen.

Außerhalb Europas sind vor allem Ameisenbären bedeutende Fressfeinde.

Viele Wirbellose (wie z. B. Raubwanzen) imitieren die Pheromone der Ameisen und legen damit Ameisenstraßen, auf denen die Ameisen ihren Feinden entgegenlaufen. Einige Spinnentiere, Tausendfüßlerarten und Käfer imitieren speziell die Pheromone der Ameisenlarven. So können sie ungehindert, teilweise auch getragen von den Brutpflegerinnen, in den Bau zu den Brutkammern eindringen und sich der Larven bedienen. Beide Formen können zu der chemischen Mimikry gezählt werden.

Ameisengäste

Ameisengäste sind Tiere, die in Ameisenbauten leben. Dazu gehören vor allem Insekten, aber auch Webspinnen. Formen des Zusammenlebens sind Synechthrie bzw. Syllestium, Synökie und Symphylie.

Bei der räuberischen Form – Synechthrie oder Syllestium – des Zusammenlebens ernährt sich der Ameisengast von Ameisen, Ameisenlarven oder Ameiseneiern. Dabei werden verschiedene Strategien angewandt: Ameisenspinnen ahmen Ameisen in Form und Verhalten nach, während sich beispielsweise einige Bläulingsraupen durch einen dicken Schutzmantel vor Angriffen der Ameisen schützen.

Die Synökie bezeichnet ein Zusammenleben verschiedener Arten ohne sonderliche gegenseitige Beeinflussung. Verschiedene Springschwanzarten, die Larven der Schwebfliegengattung Microdon, die Blattkäfergattung Clytra, Grillen der Gattung Myrmecophila (z.B. die Ameisengrille), Ameisenfischchen (Atelura spec.) und die Kurzflügler der Gattung Dinarda leben von den Nahrungsvorräten der Ameisen. Außerhalb der Ameisenbauten finden sich häufig Rosenkäferlarven.

Bei der Symphylie werden die Ameisengäste beschützt und oftmals auch gefüttert. Die Ameisen erhalten dafür zum Beispiel nahrhafte Drüsensekrete. Zu solchen Gästen zählen die Kurzflügler der Gattungen Lomechusa und Atemeles, Keulenkäfer der Gattung Claviger und einige Bläulingsraupen.

Ameisen und Bläulinge

Ameisen bei einer Raupe des Großen  Wander-Bläulings (Lampides boeticus)

Ameisen bei einer Raupe des Großen Wander-Bläulings (Lampides boeticus)

Eine Rossameise (Camponotus) melkt eine Bläulingsraupe

Eine Rossameise (Camponotus) melkt eine Bläulingsraupe

75 Prozent der weltweit vorkommenden Bläulingsarten (eine Schmetterlingsfamilie) leben myrmekophil, also von oder mit Ameisen. Dabei kommen Symbiose und Parasitismus mit allen Zwischenstufen vor. Einige Raupen, wie beispielsweise der Silbergrüne Bläuling (Polyommatus coridon), oder der Storchschnabel-Bläuling (Plebeius eumedon) dienen den Ameisen ähnlich den Pflanzenläusen als Honigtauquellen. Dafür werden sie vor Fressfeinden beschützt. Andere Bläulingsraupen leben parasitär oder symbiotisch als Ameisengäste im Ameisenbau. So wird die Raupe des Lungenenzian-Ameisenbläulings von Ameisen der Art Myrmica ruginodis adoptiert und ohne Gegenleistung wie eine Ameisenlarve gefüttert. Die Raupe des Dunklen Wiesenknopf-Ameisenbläulings wird von der Roten Gartenameise (Myrmica rubra) ebenfalls wie die Brut gepflegt, gibt aber Zuckerwasser an die Ameisen ab. Zusätzlich frisst die Raupe die Ameisenbrut.

Einige Bläulinge sind vollkommen von einer speziellen Ameisenart abhängig. So braucht der Quendel-Ameisenbläuling Knotenameisen der Art Myrmica sabuleti zur Entwicklung. Gegen Absonderung eines zuckerhaltigen Sekrets darf sich die Raupe von Ameisenlarven ernähren. Ein Rückgang der Ameisen aufgrund einer veränderten Viehwirtschaft auf den Britischen Inseln (die Ameisen bevorzugen kurzes, also beweidetes Gras) führte dort zum Aussterben des Bläulings.

Parasiten

Ameisen können von blutsaugenden Milben befallen sein. Daneben gibt es Milben der Gattung Antennophorus: Sie leben auf den Ameisen und bringen die Ameisen durch Reizung dazu, Nahrungstropfen abzugeben, von denen sich die Milben ernähren. Milben der Art Laelops oophilus leben bei den Larven und lassen sich von den Brutpflegerinnen füttern.

Zu den Innenparasiten gehören die Larven einiger Schlupfwespenarten und verschiedene Fadenwürmer. Auch dienen Ameisen dem Kleinen Leberegel als zweiter Zwischenwirt.

Ameise und Mensch

Wirtschaftliche Bedeutung

Die Ernteameisen der Spezies Pogonomyrmex barbatus, die man als Holzschädlinge betrachtet, können die Forstwirtschaft fördern indem sie den Abbau und die Umsetzung von Holz beschleunigen, das bereits von anderen Insekten befallen ist. Zwar wirken sich die vielen samensammelnden Ameisen schädigend auf die Landwirtschaft aus, wenn sie in der Umgebung von Kornfeldern und Getreidespeichern zu zahlreich werden, doch im Normalfall kann ihre Anwesenheit die Produktion begünstigen, weil sie der Zunahme schädlicher parasitischer Käfer entgegenwirkt. Blattlaushaltende Ameisen sind häufig Schädlinge in Gärten; doch man sollte auch die großen Vorteile dieser und anderer Ameisen für die Belüftung und Durchmischung des Bodens berücksichtigen. Weitere bedeutende Beiträge zur Forstwirtschaft in tropischen und subtropischen Gebieten leisten wohl die räuberischen Treiber- oder Wanderameisen. Sie beseitigen effektiv andere, noch schädlichere Insekten und sind daher in menschlichen Wohngebieten nicht immer unwillkommen.

Gefahren für den Menschen

Ameisenstiche von Tetramorium sp.

Ameisenstiche von Tetramorium sp.

Die Roten Feuerameisen wurden Anfang der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts nach Australien eingeschleppt. Unter den für sie sehr günstigen Umweltbedingungen des australischen Outbacks haben sie sich stark vermehrt, u. a. auch in der Nähe von Städten. Tatsächlich betrachten sie die Menschen als Eindringlinge in ihr Revier und versuchen sich zu verteidigen. Ihre Bisse und das Gift ihres Stachels wirken bei manchen Menschen allergieauslösend wie Bienen- oder Wespenstiche. Da Ameisenvölker naturgemäß in großer Anzahl auftreten und dementsprechend auch mit sehr vielen Tieren gleichzeitig angreifen, erleiden die betroffenen Menschen gleichzeitig Dutzende bis Hunderte von Bissen. Jedoch sei erwähnt, dass keine Ameisenart bekannt ist, die auf größere Säugetiere Jagd macht.

Haltung

Einheimische oder exotische Ameisenarten können in speziellen, vorgefertigten Aufzuchtstationen, den sogenannten Formicarien gehalten werden. Ameisenzucht ist inzwischen zu einem beliebten Hobby geworden; sie zählt zum Wissensbereich der Terraristik. Die nötigen Anschaffungen hängen vom Anspruch der jeweiligen Art ab. Beispielsweise ist der Aufwand für die Blattschneiderameisen Atta cephalotes ungewöhnlich hoch, da sie ständig Nachschub an frischen Blättern brauchen, um ihre Nahrung (einen Pilz) züchten zu können. Heimische Arten, wie etwa die Schwarze Wegameise (Lasius niger), können dagegen auch in einem einfachen Gipsnest mit angeschlossener Arena (sandiger Boden) gehalten werden.

Zu beachten ist bei europäischen Arten die Einhaltung der Winterruhe von Mitte Oktober bis April, die entweder in geeigneten Behältnissen im Kühlschrank oder frostgeschützt auf dem Balkon oder im Garten verbracht werden sollte. Ohne diese Winterruhe kommt es zu einer Schwächung des Ameisenstaates, die zum Absterben der Kolonie führen kann.

Beachtenswertes und Merkwürdiges

Blattschneiderameise mit einem Blattstück

Blattschneiderameise mit einem Blattstück

  • Die Biomasse aller Ameisen auf der Erde übersteigt jene des Menschen bei weitem, obwohl eine einzelne Ameise je nach Art und Kaste nur etwa 6 bis 10 mg wiegt und 0,8 mm (eine Art der Gattung Leptothorax) bis 25 mm (Australische Bulldoggenameise) lang wird.
  • Die Vermessung eines Nestes von Blattschneiderameisen ergab eine Tiefe von acht Metern unterhalb des Erdbodens und eine Gesamtfläche von 50 m2.[2]
  • Eine sibirische Ameisenart überwintert in einer Art Kältestarre bei Temperaturen unter -40 °C.
  • Ameisenpuppen wurden früher in der Medizin zu „Puppenspiritus“ verarbeitet. Dieses Mittel, so glaubte man, helfe gegen rheumatische Beschwerden.
  • Wüstenameisen (Cataglyphis fortis) halten unter den Ameisen mit circa einem Meter pro Sekunde den Geschwindigkeitsrekord in der Fortbewegung.

Systematik

Ameisen zählen zur Insektenordnung der Hautflügler (Hymenoptera). Innerhalb dieser stehen sie als Familie Formicidae in der Überfamilie Vespoidea, den Faltenwespenartigen, in der Unterordnung der Taillenwespen (Apocrita). Die Ameisen sind also nahe Verwandte der Echten Wespen (Vespinae), werden aber gelegentlich und irrtümlich auch als eigene Überfamilie Formicoidea geführt.

Die Familie der Ameisen besteht aus 21 Unterfamilien (und 4 ausgestorbene Unterfamilien)[3] zu denen insgesamt 12.029 bisher beschriebene Ameisenarten zählen.[4] Da viele Arten noch unbekannt sind, schätzen Entomologen die Gesamtzahl der Arten auf über 20.000 in über 350 Gattungen.[5]

In Europa kommen etwa 180 verschiedene Ameisenarten vor.[5] Der Großteil der Ameisenarten lebt jedoch in den Tropen und Subtropen.

Eine bekannte einheimische Art ist die zu den Schuppenameisen zählende Rote Waldameise (Formica rufa). Neben der Unterfamilie der Schuppenameisen (Formicinae) gibt es in Mitteleuropa noch die der Ur- und Stechameisen (Ponerinae), der Knotenameisen (Myrmicinae) und der Drüsenameisen (Dolichoderinae). In anderen Regionen der Welt kommen noch beispielsweise die Treiber-, Heeres- oder Wanderameisen (Ecitoninae in der Neuen Welt, Dorylinae in der Alten Welt) und Bulldoggenameisen (Myrmeciinae) hinzu.

In Bernstein eingeschlossene Ameisen zeigen, dass diese Insekten schon vor etwa 80 Mio. Jahren existierten.[5] Auch ältere Fossilien sind bekannt, jedoch sind dies nicht unbedingt Vorfahren der heutigen Ameisen. Da diese Fossilfunde von Ameisen mehrere Gattungen umfassen und daher schon eine Evolution stattgefunden haben muss, schätzt man den wahren Ursprung der Ameisen in der Kreidezeit vor über 100 Millionen Jahren.[6]

Nach Bolton (2003) werden innerhalb der Formicidae folgende Unterfamilien unterschieden:[3]

Einige Ameisenarten

Quellen und weiterführende Informationen

Einzelnachweise

  1. Christian Göldenboog, Wenn weibliche Wesen Staat machen (Autor ist Wissenschaftsjournalist)
  2. „Nest Architecture of Atta laevigata“ in „Studies on Neotropical Fauna and Environment“, Volume 39, Number 2, August 2004, pp. 109-116
  3. a b BOLTON, B.: „Synopsis and classification of Formicidae“ in „Memoirs of the American Entomological Institute“, Volume 71, 2003, pp. 1-370
  4. http://atbi.biosci.ohio-state.edu:210/hymenoptera/tsa.sppcount?the_taxon=Formicidae Letzter Zugriff: 25. Juni 2007
  5. a b c Hölldobler and Wilson: „The Ants“. Springer (1990) ISBN 3-540-52092-9
  6. Wilson, Hölldobler, „The rise of the ants: A phylogenetic and ecological explanation“ Proc. Natl. Acad. Sci. USA vol. 102 (May 2005) 7411-7414

Literatur

Weblinks

Commons

Commons: Ameisen – Bilder, Videos und Audiodateien

Wiktionary

Wiktionary: Ameise – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen und Grammatik

Von „http://de.wikipedia.org/wiki/Ameisen

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Bibliografische Angaben für „Ameisen

Samstag, 16 Februar 2008 Posted by | 2008-02-16 | , , , | 1 Kommentar

Bauernregel Freitag 15. Februar 2008

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Gotthold Ephraim Lessing

Der über uns

Hans Steffen stieg bei Dämmerung (und kaum
konnt er vor Näschigkeit die Dämmerung erwarten)
in seines Edelmannes Garten
und plünderte den besten Apfelbaum.

Johann und Hanne konnten kaum
vor Liebesglut die Dämmerung erwarten
und schlichen sich in ebendiesen Garten
von ungefähr an ebendiesen Apfelbaum.

Hans Steffen, der im Winkel oben saß
und fleißig brach und aß,
ward mäuschenstill vor Wartung böser Dinge,
daß seine Näscherei ihm diesmal schlecht gelinge.
Doch bald vernahm er unten Dinge,
worüber er der Furcht vergaß
und immer sachter weiteraß.

Johann warf Hannen in das Gras.
„O pfui!, rief Hanne, welcher Spaß!
Nicht doch, Johann! – Ei was?
O schäme dich! – Ein andermal – o laß –
O schäme dich! Hier ist es naß.“
Naß oder nicht; was schadet das?
Es ist ja reines Gras.

Wie dies Gespräche weiterlief,
das weiß ich nicht. Wer braucht’s zu wissen?
Sie stunden wieder auf, und Hanne seufzte tief:
„So, schöner Herr, heißt das bloß küssen?
Das Männerherz! Kein einzger hat Gewissen.
Sie könnten es uns so versüßen.
Wie grausam aber müssen
wir armen Mädchen öfters dafür büßen!

Wenn nun auch mir ein Unglück widerfährt! –
Ein Kind – ich zittre. – Wer ernährt
mir denn das Kind? Kannst Du es mir ernähren?“
„Ich?, sprach Johann, die Zeit mag’s lehren.
Doch wird’s auch nicht von mir ernährt:
Der über uns wird schon ernähren;
dem über uns vertrau.“

‚Dem über uns.‘ Dies hörte Steffen.
‚Was‘, dachte er, ‚will das Pack mich äffen?
Der über Ihnen? Ei, wie schlau!‘
„Nein, schrie er, laßt euch andere Hoffnung laben!
Der über euch ist nicht so toll.
Wenn ich ein Bankbein nähren soll,
so will ich es auch selbst gedrechselt haben.“

Wer hier erschrak und aus dem Garten rann,
das waren Hanne und Johann.
Doch gaben bei dem Edelmann
sie auch den Apfeldieb wohl an?
Ich glaube nicht, daß sie’s getan.

Quellenangabe
Name Wert
author Projekt Gutenberg-DE
author Gotthold Ephraim Lessing
type poem
title Der über uns
sender Magnus Müller
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Arthur Schnitzler

Gespräch in der Kaffeehausecke

»Hier wollen wir bleiben«, sagte Anatol und ließ sich auf dem roten Samtfauteuil nieder. Fred setzte sich ihm gegenüber und zog die gelben Fenstervorhänge fester zu. Es war spät am Abend und das Kaffeehaus wenig besucht. Über den Billardtischen waren die Gasflammen ausgedreht, die Kassierin rechnete weiter, nachdem sie einen flüchtigen Blick auf die Neueingetretenen geworfen.

»Da gefällt es mir«, fuhr Anatol fort, nachdem er sich eine neue Zigarre angezündet. »Kein Lärm, sehr angenehm zu sitzen, der Tisch wackelt nicht – ja, da bleiben wir.« »Aber kein Kellner zu sehen«, warf Fred ein, obwohl ihn bereits zwei derselben gefragt hatten, was er befehle. In diesem Augenblick standen auch schon die zwei Tassen schwarzen Kaffees, die Anatol bestellt hatte, vor den beiden Freunden.

»Ach so«, sagte Fred und warf zwei Stück Zucker in seine Tasse. »Findest du nicht auch, daß wir hier bleiben könnten?« fragte Anatol. »Das Lokal hat etwas Alt-Wienerisches, was mir sehr sympathisch ist. Die Billards sind viel zu lang, die Kassierin ist viel zu häßlich, die Decke ist viel zu grau, die Beleuchtung viel zu schlecht – lauter Dinge, die ich sehr hübsch finde. Und dabei, wie gesagt, sitzt man sehr angenehm.«

»Ich nicht«, fand Fred, der, eine Zeitung in der Hand, nervös hin und her rückte. Anatol schob den Vorhang von dem Fenster leicht zurück und blickte hinaus. Da war eine dunkle Straße der Innenstadt, nur ein Gewölbewächter schritt auf und ab; es schneite ein wenig, das Pflaster aber war grau und naß. »Stimmungslos«, sagte Anatol und ließ den Vorhang wieder fallen.

Nach geraumer Zeit erst fragte Fred: »Was sagtest du?« »Nichts. Hast du Paul heute gesehen?«

»Ja, vormittag; ich war bei ihm in der Redaktion. Er hat viel zu tun, er arbeitet wahrscheinlich noch. – Wo warst du im übrigen heute?«

»Heute? – In einem halben Jahr werd‘ ich dir’s erzählen, – bis es vorbei ist.«

»Du weißt also schon, wann es vorbei sein wird?«

»Traurig genug, daß ich überhaupt schon ans Ende denke.«

»Das ist ja selbstverständlich – bei derlei Dingen…«

»Derlei Dinge… du machst schon wieder deine Unterschiede.«

»Es gibt doch welche.«

»Vielleicht… ach, gewiß. Schließlich ist auch, was ich jetzt erlebe, etwas anderes als alles frühere.«

»Natürlich.«

»O, aber nur, weil ich es eben jetzt erlebe; aus keinem andern Grund. Darüber täusche ich mich nicht. Daß ich mich aber nicht darüber täuschen kann, das ist das Unglück; und dabei stehe ich Qualen aus.«

»Qualen… Eifersucht?«

»Ja. Das ist der einzige wirkliche Schmerz.«

»Hast du einen Grund?«

»Den umheimlichsten von allen: die Vergangenheit. Diese tückische unsterbliche Vergangenheit, gegen die man sich nicht auflehnen, die man über sich ergehen lassen muß wie ein Schicksal.«

»Und du kannst es nicht überwinden?«

»Nein, unmöglich. – Im übrigen, eine Frage, die allerdings nur theoretisches Interesse hat.«

»Nun?«

»Gäbe es auch eine Eifersucht auf die Vergangenheit, wenn man ihr Bild völlig aus der Erinnerung der Geliebten reißen könnte?«

»Wie das?«

»Stelle dir vor, wir hätten ein Mittel zur Verfügung – meinetwegen eine chemische Substanz, mittelst der wir einen bestimmten Lebensabschnitt aus dem Gedächtnis eines Wesens vollkommen verwischen könnten.«

»So daß sie gar nicht mehr weiß, daß überhaupt etwas geschehen ist?«

»Ja. Was vorbei ist, das ist nicht mehr. Es ist in gewissen Fällen so vorbei, als ob es nicht gewesen wäre; nur die Erinnerungsbilder sind da, auf die wir eifersüchtig sind. – Nun will ich dir noch eine andere Möglichkeit vor Augen führen. Ein Weib wird dir zuliebe jemandem untreu. Im Anfang – du magst sie noch so sehr lieben – wirst du auf jenen andern wenig, wahrscheinlich gar keine Eifersucht empfinden. Du hast ihn überwunden, und dieses Gefühl der Obermacht genügt dir. Sie verläßt jenen. Und jetzt erst beginnt sich deine Eifersucht zu regen. Er ist nicht mehr da, sein lebendiges Wesen ist unwirksam geworden, seine Schattenmacht beginnt. Und mit der wirst du nicht fertig – nimmer, nimmer.«

»Ich glaube doch«, erwiderte Fred. »Insbesondere, wenn du dir deinen eigenen Zustand in einem gleichen Fall versinnlichst; wenn du dich fragst: wie wirken ähnliche Erinnerungsbilder auf mich? – Und du wirst dir sagen: mir ist, als hätte es ein anderer erlebt, es hat nichts in mir zurückgelassen.«

»All das, mein lieber Fred, nützt nichts, gar nichts. Was war, ist, – das ist ja der tiefe Sinn des Geschehenen. Ach, und das sind Qualen, Qualen!«

»Du mußt dich von diesen Dingen endlich befreien.«

»Freilich müßt‘ ich. Denn, in der Tat, ich bin ihrer müde, dieser unsäglichen Leiden, die Abenteuer dieser Art für mich bringen. Vielleicht kommen andere damit zuwege, ich aber schleppe alles mit mir weiter; andere schütteln es von sich ab völlig; ich kann das nicht. Auf mir lastet alles, alles, was ich je erlebt; das nichtigste Erlebnis nistet sich auf die Dauer bei mir ein.«

»Weißt du, was für dich gut wäre?« meinte Fred. »Du solltest einmal lieben, wo es keine Erinnerung, wo es keine Vergangenheit gibt. Ein frisches, junges, unberührtes Mädel, für die du der erste, einzige bist. Das müßte der Frühling für dich sein, so glaub‘ ich.«

»Der Frühling, mein Lieber, das ist ein Glück für die, die an den Sommer und Herbst und Winter nicht denken, der ja kommen muß. So ein junges Blut in meinen Armen – was würd ich empfinden? Oder, da ich mich noch rechtzeitig entsinne, was hab‘ ich da empfunden? – Die Eifersucht auf den, der kommen wird. Denn er kommt, und sie wird ihm sagen: ›Du bist der erste, den ich wirklich liebe.‹ Und dann bin ich der, welchen sie verflucht, weil er ihr die Reinheit genommen, der, den sie haßt, weil der andere sie meinetwegen quält. Ich bin der, von dem sie mit jenem andern so sprechen wird: ›Ach, das… Unbesonnenheit – Leidenschaft – was hab‘ ich damals von der Liebe gewußt!‹ Nein, nein, später ist man für das Weib, das man als erster besessen, nicht mehr der, der sie die Liebe gelehrt, – man ist einfach der, der sie verführt hat.«

»Aber die Gegenwart selbst, ohne Zukunftsgedanken?«

»Wenn es das gäbe, Fred! Für mich existiert der Augenblick nicht, – der große selige Augenblick, das Vorher und das Nachher vernichten ihn.«

»Aber sieh, auch da, glaube ich, könnte man sich durch eine einfache Gedankenfolge retten. Das Mädel in deinen Armen denkt an keine Zukunft; die Zukunft existiert einfach nicht für sie, solange sie dir gehört.«

»Solange sie dir gehört… wie lange? Sie tritt auf die Straße, sieht einen andern, er erinnert sie an mich, denn er ist ein Mann. Gerade wenn man der Geliebte eines völlig reinen Mädchens geworden ist, muß man vor Eifersucht wahnsinnig werden.«

»Du.«

»Nun ja, das ist meine Natur. Ich bin eifersüchtig wie ein Narr. Der erste wie der letzte Atemzug meiner Liebe ist die Eifersucht. Was ich aber jetzt erlebe, ist wohl das schlimmste, das einem Menschen meiner Art passieren kann.«

»Wieso?«

»Vor allem einmal liebe ich, wie ich noch nie geliebt habe.«

»Das ist selbstverständlich.«

»Es ist ein so wunderbares Wesen: leichtsinnig, graziös, süß und tief«

»Hm.«

»Und ich kenne den, der früher ihr Geliebter war. Kenne ihn… Meine ohnehin so leicht erregte Vorstellungsgabe steigert sich dadurch ins Unermeßliche, ins Unerträgliche. Ich weiß, wie jener Mensch spricht, – ich weiß, daß er schön und liebenswürdig ist, – ich sehe es vor mir, wie er küßt, wie er einem Weib zu Füßen sinkt und ihre Kniee umfängt. Sie freilich sagt mir: ›Du liebst mich mehr, ich fühle es, und ach, ich liebe dich tausendmal, unendlich mehr – ganz anders überhaupt.‹«

»Nun, du glaubst es doch.«

»Gewiß glaube ich es mit all der Torheit, die uns zu Betrogenen und zu Glücklichen macht. Aber…«

»Aber?«

»Mit alldem ist’s nicht genug. Nicht genug, daß ich jenen Mann kenne – ich war einer seiner besten Freunde zur Zeit, da er dieses Mädchen liebte. Ich kannte sie damals noch nicht. Aber er sprach mir von ihr, Tag für Tag, ich begleitete ihn zu den Rendezvous, ich half ihm ein Armband aussuchen, das er ihr zum Geschenk gab, er erzählte mir getreulich, was sich zwischen ihnen ereignete, ich kannte ihre Koseworte, – all das, ohne daß ich sie je gesehen hatte. Ich hörte zu und lächelte. Auch daß sie sterben müsse, wenn er sie je verließe, sagte sie ihm. Und auch das weiß ich… alles, alles.«

»Das ist allerdings nicht angenehm.«

»O mein Lieber, ich bin noch nicht zu Ende. Ich erlebte es mit, wie seine Schwärmerei zu Ende ging.«

»Nun?«

Anatol aber sprach nicht weiter und drehte seine Zigarre nervös zwischen den Zähnen hin und her.

»Ein andermal«, sagte er nach einigen Minuten, »ich kann heute nicht mehr.«

Sie schwiegen beide eine lange Weile. »Ja, hier wollen wir bleiben«, sagte Anatol endlich. »Ich will es den andern mitteilen, daß wir endlich das richtige gefunden haben. Diese Ecke hier finde ich ganz heimlich. – Und du«, setzte er ganz unvermittelt hinzu, »mein lieber Fred, bist vollkommen glücklich?«

»Ich – ha, ha! – nein, das ist nichts für uns, mein lieber Anatol, das Glück!«

»Nun, du glaubst?«

»Nun hab‘ ich’s aufgegeben. Ja, bis vor wenigen Jahren hatte ich noch den Mut, mir zu sagen: Mein lieber Fred, vielleicht bist du doch nur einer von den dummen Buben, die sich einbilden, unglücklich zu sein, und bist eigentlich außerordentlich glücklich. Auch kamen die gewissen andern und sagten. O, Sie haben’s gut! Sie wissen gar nicht, wie gut Sie’s haben… Und dergleichen. Mit 28 Jahren aber ist man sicher kein dummer Bub mehr. Eines allerdings hat aufgehört: die Süßigkeit, die Poesie des Schmerzes. Ich bin nicht so tollkühn, ihn Weltschmerz zu nennen. Es ist ein dürres, widerliches Weh geworden, an dem man nicht einmal seine rechte Freude mehr haben kann.«

»Wenn ich dich so reden höre, Fred, fällt es mir wieder schwer aufs Gewissen, wie subjektiv ich bin. Denn höre, ich kann dir deine Trübsal kaum glauben. Für mich gibt es in diesem Augenblick nur einen wahren Schmerz: der, den ich empfinde. Nicht eifersüchtig sein ist alles.«

»Und ich«, warf Fred ein, »beneide dich um dieses Weh. Es ist doch wenigstens etwas. Ich bin jetzt, was meine Seele anbelangt, bettelarm. Man löscht aus. Gehn wir.«

Sie zahlten und gingen. Die Straße war grau, naß, verödet. Fred ging nach Hause und legte sich schlafen. Anatol schlug einen andern Weg ein – vor ihr Fenster. Da blieb er stehen, aber es regte sich nichts. Sie schlief ruhig. Auch er ging nun nach Hause. Er legte sich zu Bett, nahm aber noch Papier und Bleistift und schrieb, lang, lang, bis die Kerze verlöschte.

Quellenangabe
Name Wert
type narrative
booktitle Sterben
author Arthur Schnitzler
year 2000
publisher Fischer Taschenbuch Verlag
address Frankfurt am Main
isbn 3-596-29401-0
title Gespräch in der Kaffeehausecke
pages 112-117
created 20011101
sender gerd.bouillon@t-online.de
firstpub 1895
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Freitag, 15 Februar 2008 Posted by | 2008-02-15 | , , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Bauernregel Donnerstag 14. Februar 2008

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Ernst Ferstl

Keine Frage

Liebenden
stellt sich
die Frage
nach dem Sinn
des Lebens
nicht.Sie sind
bereits
die Antwort
darauf.

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Bettina von Arnim

Die Günderode

Wenn ich abends auf den Turm geh, an Tagen, wo er da war, sind die Gedanken, die mir da oben von den Sternen kommen, immer so übereinstimmend mit seinen Reden, daß ich manchmal meinen muß, sie hätten’s ihm eingegeben für mich. – Solche Gedanken, die mir lieb sind, schreib ich in ein Buch, um die schönsten draus zu wählen und Dir zu schreiben; am Tag vorher, als ich vom Turm kam – es war spät, ich war müde und schrieb eilig, ohne mich zu besinnen, was mir noch im Kopf schwärmte von da oben:›Darum ist’s auch oft, warum das Göttliche nicht in uns haftet, weil wir selbst schlecht werden, indem wir mit dem Bösen streiten; wir wurden boshaft, indem wir das Böse verfolgten.‹ – ›Gott hat den Adam nicht aus dem Paradies verjagt, der Adam ist ihm von selbst entlaufen. Wo könnt ein Engel eine gottgeschaffne Kreatur aus dem Paradies jagen wollen? – Alles Göttliche ist Steigen, was nicht mitsteigen kann, das sinkt.‹ -›Wo könnte aber das Göttliche aufsteigen, wenn nicht aus dem Ungöttlichen? – Wie könnte das Göttliche vom Ungöttlichen sich sondern wollen? – nein, es ist recht seine göttliche Natur, sich nicht von ihm zu sondern; es mischt sich mit ihm und reizt es, des Göttlichen inne zu werden, nur Verachtung löst sich ab vom Göttlichen, nur der Tod löst sich ab, und vieles ist der Tod selbst, wodurch die Menschen sich vom Ungöttlichen absondern wollen, sich des ewigen Lebens teilhaftig machen wollen.‹ -›Die Freiheit muß zur Sklavin werden des Sklaven, sie muß sich den Sklavensinn erobern, wie könnt sie sonst Freiheit sein? – in was kann Freiheit sich aussprechen als im Gebundensein und unterworfen dem göttlichen Trieb, das Ungöttliche göttlich zu machen! – Wer ist mächtig, die Ketten zu tragen, wenn nicht die Freiheit? – und wer kann die ohnmächtigen Sinne beleben als nur das Leben selbst?‹ –

›Man sagt zwar, das Göttliche vertrage nicht das Ungöttliche, aber es muß alles vertragen können, nur in ewigem Verwandeln in sich besteht das Göttlichsein.‹

Das hab ich heut auf dem Turm gelernt, und dann hab ich noch gedacht:

›Wenn du dich im Geist begegnest mit dem, was du liebst, so trete auf im Schmuck deiner Begeisterung, sonst würde es dich nicht erkennen.‹ –

›Daß dich der Geliebte berühre im Geist, kann nur aus Begeisterung geschehen, so kann auch nur Begeisterung zu ihm reden.‹ –

Als ich den Ephraim begleitet hatte, ging ich gleich auf den Turm, obschon das nicht gilt, wenn die Sterne noch nicht am Himmel stehen; aber ich mochte nicht wieder ins Haus, es war mir zu behaglich in freier Luft. Fühlst Du das auch, das Glücklichsein, bloß weil Du atmest – wenn Du im Freien gehst und siehst den unermeßlichen Äther über Dir – daß Du den trinkst, daß Du mit ihm verwandt bist, so nah, daß alles Leben in Dich strömt von ihm? – Ach, was suchen wir doch noch nach einem Gegenstand, den wir lieben wollen? – gewiegt, gereizt, genährt, begeistigt vom Leben – in seinem Schoß bald, bald auf seinen Flügeln; ist das nicht Liebe? ist das ganze Leben nicht Lieben? – und Du suchst, was Du lieben kannst? – so lieb doch das Leben wieder, was Dich durchdringt, was ewig mächtig Dich an sich zieht, aus dem allein alle Seligkeit Dir zuströmt; warum muß es doch grade dies oder jenes sein, an das Du Dich hingibst? – nimm doch alles Geliebte hin als eine Zärtlichkeit, eine Schmeichelei vom Leben selbst, häng mit Begeisterung am Leben selbst, dessen Liebe Dich geistig macht; – denn daß Du lebst, das ist die heiße Liebe des Lebens zu Dir; es allein hegt in sich den Zweck der Liebe, es vergeistigt das Lebende, das Geliebte. – Und alle Kreatur lebt von der Liebe, vom Leben selbst. Ja, so ein Gedanke, Günderode! einer könnt fragen, ob er nicht Einbildung sei? – aber mich kümmert’s nicht, ob alle es nicht glauben, ich bin mir genug und brauch keine Beglaubigung dazu. Tiefere Wahrheit erkennen, ist ja das Leben verstehen – so empfindet man ja, daß große Taten die schönsten Momente des Lebens sind, also ein wirkliches, heißes Umarmen mit dem Leben selbst. Solche himmlische Momente, aus denen sich nachher die Gewißheit der Liebe ergibt. – Ja, eine große Tat allein ist Feier der Liebe mit dem Leben, und sind die Menschen nicht lebentrunken, wenn sie groß gehandelt haben, wie der Liebende trunken ist vom Genuß, von der Gewißheit, geliebt zu sein? – ist das nicht jene Seligkeit, deren jeder andere bar ist, der nicht den Mut hat, der heiligen Inbrunst des Lebens sich liebend hinzugeben, und an der großen Tat vorbeischleicht? – ja, was ist der innere Genuß solcher Beglückter, als trunken sein von Begeisterung, die zu ihnen strömt als Gegenliebe; denn rein und groß sein im innersten Gewissen, das ist von dem Leben durchdrungen sein. –

Man sagt, die große Tat belohnt sich selbst, oder, er hat den Lohn in der eignen Brust – und so ist keiner zu ermessen, in dessen Brust dies Verheißen ewiger Inbrunst zwischen Leben und Lebendem diesen Lohn erzeugt. Es ist der einsame, tiefverborgne Glücksmoment, der keinen Zeugen hat, der nie sich nachfühlen läßt, den jeder wahrhaft Liebende verschweigt, der ihn über alles Erdenschicksal hebt und der auch, über alles, was in der Welt anerkannt wird, ihn stellt, was ihm das Gepräg des Erhabenen gibt.

Ja, die Großtaten, die leidenschaftlichen Küsse des Lebens, lassen einen sichtlichen Eindruck zurück, der sich selbst, ich will’s glauben, auf Kinder und Kindskinder vererbt, denn wo käme der Adel her? – ist der nicht aus der heiligen Kraft entsprossen, wo das Leben mit seiner Liebe den Geliebten errungen hat? – dies heimliche, innerliche Genießen einer den andern ungekannten Seligkeit? wo man alles aufgibt, bloß um dem Liebenden – dem Leben zu genügen? – ja, das muß wohl auch in der Erscheinung – im Leib sich abdrücken; und man könnte darauf kommen, in den Gesichtern alter Geschlechter nachzuspüren, was wohl für eine Art von Begeisterung den Keim zu diesen veredelnden Zügen, zu dieser erhabnen Vornehmheit legte, ob es kühnes Tun, mutiges oder selbstverleugnendes war, was diese Liebesopfer einst vom Ahnen heischten – das ist mir schon bei Arnims Zügen eingefallen – und ein Mann göttlicher Leidenschaft fürs Leben, der ist ein Gründer des erhabensten Geschlechts, der ist ein Fürst unter den Menschen, und sollte er selbst in Lumpen unter den Menschen wandeln, und wer vor diesem Adel nicht Ehrfurcht hat, das ist der Pöbel, der nimmer zum Adel taugt, weil er das verkennt, was sein Ursprung ist, ihn also nicht in sich erzeugen kann, er nenne sich Fürst oder Knecht. – Das war mein Gespräch heut mit den Sternen.

Dienstag

Heute ist der siebente Tag, daß ich meinen ersten Brief abschickte, am Samstag der zweite und heut? – soll ich diesen schließen und Dir schicken? – ich mein als, es sei Dir zu viel vielleicht – das wird aber nicht, ich hab Dir’s versprochen, Dir alles von da oben zu schreiben, Du hast mich mehrmals dazu aufgefordert, was kann ich davor, daß mir so viel in den Kopf kommt oder vielmehr in die Feder, denn wenn ich glaub, mit einer Zeil fertig zu sein, so bring ich die selbst nicht aufs Papier vor so viel hundert andern, die sich dazwischen drängen. So hatt ich gestern im Sinn, wie es doch so dumm ist, wenn man sich über sein eigen Leben wollt besinnen und glauben, es läg schon hinter einem, was doch noch nicht der Anfang ist vom Leben, sondern nur der Grund, die Veranlassung dazu. –

Wenn der deutsche Kaiser gekrönt ist, vom Dom bis zum Römer über eine Bahn von Scharlachtuch geht, so fällt das Volk dicht hinter ihm über das Tuch her und schneidet es unter seinen Tritten ab, zerreißt’s in Fetzen und teilt es unter sich, so daß, wenn er auf dem Römer ankommt, so ist nichts mehr von der Scharlachbahn zu sehen. So scheint mir auch aller Lebenseingang wie die rote Kaiserbahn gleich nach jedem Schritt aufgehoben und nichts sein, bis das Leben dich wie den Kaiser in so große Verpflichtung nimmt, daß kein Augenblick mehr dein gehöre, sondern du ganz im Leben aufgehest, da kannst du erst deines Lebens Anfang rechnen, dann aber hebt sich das Sterbenwollen von selbst auf. Alles Leben, was sich mit dir berührt, hängt von dir ab, aber du bist kein abgesondertes Leben mehr – und wirkliches Leben ist ein Ausströmen in alles, das läßt sich nicht aufheben – wie’s mich verwundert hat, wie Du sagtest, viel lernen und dann sterben, jung sterben! – es kam mir in den Sinn; als hätt ich wohl meine Zeit sehr vernachlässigt, daß ich nun schon so alt sei und noch gar nichts gelernt, so würd ich wohl das Jungsterben bleibenlassen müssen oder lieber gar nichts lernen. – Aber die kaiserliche Scharlachbahn! – ich sag Dir, alles, was Du Dir vom Leben abschneiden kannst, ist bloß das Präludium dazu, und das hebt sich von selbst auf, es ist vielleicht ein idealischer Voranfang; – willst Du mit diesem das Leben aufheben? – das heißt, den Kaiser mitsamt dem Tuch zerrissen. – Und doch ist das ganze Leben nur, daß Du eine Ehrenbahn durchwandelst, die Dich wieder ins Ideal ausströmt. Ich fühl’s, wie kann man zu was Höherem gelangen, als daß man sich allen Opfern, die das Leben auferlegt, willig hingebe, damit der Wille zum Ideal sich in das Leben selbst verwandle – wie kann man selbst werden als durch Leben? – und so muß man auch willig das Alter ertragen wollen, und die ganze Lebensaufgabe muß aufgenommen sein und kein Teil derselben verworfen. – Wenn Du früh sterben willst, wenn Du es unwürdig achtest, weiterzugehen, wirst Du damit nicht jeden schmähen, der seine Lebensbahn nicht aufhob? – Die da mühselig ihre Last tragen, sind die zu schmähen? – Heldentum ist höher als Schmach! – Vor der Philisterwelt, die meinen Geist doch nicht begreift, schäm ich mich nicht, für sie nicht Jugend zu sein, die von den heiteren Frühlingstagen nichts weiß, welche der Geist durchlebt. – Weißt Du, was schlecht ist im Alter? – wenn es ein Aufbau, ein Übereinandertürmen rumpliger Vorurteile geworden, durch das die heilige Anlage der Jugend nicht mehr durchdringt, aber wo der Geist durch alles gehäufte Elend des Philistertums, dieser ganz unwahren, aber wirklichen Wahrheit, durchdringt zur Himmelsfreiheit, zum Äther und dort aufblüht, da ist Alter nur das kräftigste Lebenszeichen der Ewigkeit. – Mir scheinen alle Menschen um mich wie nichts oder doch eine geringe und unzuverlässige Gattung von Naturen, eben weil der Geist nicht in ihnen liegt, die höchste Blüte im Alter zu erreichen – eine zernagte Blüte. – – Aber Ephraim deucht mir eine vollkommne Geistesblüte, die jetzt im Frühlingsregen steht; die Tage sind lau, aber trüb – aber die Ahnung ist voll himmlischem Jugendreiz, die andern fühlen und sehen ihn nicht, wo steht aber auch je ein Philister bei der knospenden Zeit still, voll Schauer, voll Gebet zur erwachenden Blüte? –

Was war’s also mit Deinem Frühsterbenwollen? – wem zu Gefallen willst Du das? – Dir selbst zulieb? – also rechnest Du die scharlachne Kaiserbahn für Deine Jugendblüte, bloß weil sie so glanzvoll schimmert; aber sieh doch, die Welt achtet sie ja nicht, sie zerreißt sie in Fetzen, und Du stehst an ihrem End, und ist nicht mehr eine Spur davon, und da willst Du Dich mit zerreißen? aber der Trieb zu blühen ist erst dann wahre Geisteseingebung, wenn jene Scheinblüte Dich nicht mehr täuscht, wenn Du die Blüte ganz aus Dir selbst erzeugst, dann will ich sagen: ja, Du bist der Geist des Frühlings – aber mutlos das Leben verwerfen ist nicht Jugendgeist – ach, ich fühle wohl, daß ich hier weit mehr recht hab wie Du und daß ich Dir Trotz bieten kann; aber ich weiß auch, daß Du die tiefere Geisteswahrheit, die in meinem Vergleich liegt, deutlicher wahrnimmst als ich und daß Du gewiß Gewaltigeres ahnest als ich begreife. Es geht immer so zwischen unseren vertrauungsvollen Reden, daß ich stottere und daß Du mir dann reiner begreiflich machst, was ich wollte. – Mir steht hier nur der Jude vor Augen, der, über die sinkende Blüte der Eltern hinaus, die schweren Lebensbedingungen erfüllt, jeden mühevollen Weg zur Erhaltung der Enkel macht, keinen Tag mehr als den seinen verlebt, nicht um sich selber sich kümmert, in der Tagshitze zu den Seinen hinwandernd, sich mühsam beugt, um die Brosamen zu sammeln auf dem Weg und sie den verwaisten Kindern zu bringen. – Sein Weg war sonst Wissenschaft, Studium der alten Sprache, Philosophie; und nun! – wirft ihn das Geschick hinaus aus der Bahn, durch seine Aufgaben, die mehr mit dem wirklichen Leben zusammenhängen? – mir deucht nicht – mir deucht, es sei die erste heilige Blütezeit seines jugendsprossenden Geistes – so ist er auch friedevoll und ruhig im jungen Sonnenlicht keimend und treibend, lebenswarm ist der Boden – die Luft und sein Wille und sein Denken – und was er sagt, ist wie die Rebe, in die der Saft steigt einstiger Begeisterung – und ich weiß nichts mehr von Veralten, Verwelken, seit ich diesen Mann angeschaut hab; jeder Tag auf Erden ist ein Steigern der Blütebegeistigung, so nenn ich’s, in der Eil weiß ich’s nicht anders auszudrücken – und der letzte Tag ist immer noch lebentriebvoller wie der vorletzte. Wie es auch sei, es ist ein ewig Vorrücken in den Frühling – und unser ganz Leben, glaub ich, hat keinen andern Zweck. –

Die Sterne haben mir’s gesagt für Dich. –

Quellenangabe
Name Wert
type fiction
booktitle Die Günderode
author Bettine von Arnim
year 1983
publisher Insel Verlag
address Frankfurt am Main
isbn 3-458-32402-X
title Die Günderode
pages 05.10.08
sender gerd.bouillon@t-online.de
firstpub 1840
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Liebe

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Dieser Artikel behandelt Liebe als zwischenmenschliche Beziehung. Für weitere Bedeutungen siehe Liebe (Begriffsklärung).

Liebe (von mhd. liebe „Gutes, Angenehmes, Wertes“) ist im engeren Sinne die Bezeichnung für die stärkste Zuneigung, die ein Mensch für einen anderen Menschen zu empfinden fähig ist. Analog wird dieser Begriff auch auf das Verhältnis zu Tieren oder Sachen angewendet. Im weiteren Sinne bezeichnet Liebe eine ethische Grundhaltung („Nächstenliebe“), oder die Liebe zu sich selbst („Selbstliebe“).

Im ersteren Verständnis ist Liebe ein Gefühl oder mehr noch eine innere Haltung positiver, inniger und tiefer Verbundenheit zu einer Person, die den reinen Zweck oder Nutzwert einer zwischenmenschlichen Beziehung übersteigt und sich in der Regel durch eine tätige Zuwendung zum anderen ausdrückt. Hierbei wird nicht unterschieden, ob es sich um eine tiefe Zuneigung innerhalb eines Familienverbundes („Elternliebe“) handelt, um eine enge Geistesverwandtschaft („Freundesliebe“) oder ein körperliches Begehren („geschlechtliche Liebe“). Auch wenn letzteres eng mit Sexualität verbunden ist, bedingt sich auch in letzterem Falle beides nicht zwingend (z. B. sog. „platonische Liebe“).

Der Pelikan, der sich seine Brust aufreißt, um seine Jungen mit seinem Blut zu füttern, ist ein altes Sinnbild der aufopfernden Liebe.

Der Pelikan, der sich seine Brust aufreißt, um seine Jungen mit seinem Blut zu füttern, ist ein altes Sinnbild der aufopfernden Liebe.

Inhaltsverzeichnis

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Begriffliches

Ausgehend von dieser ersten Bedeutung wurde der Begriff in der Umgangssprache und in der Tradition schon immer auch im übertragenen Sinne verwendet und steht dann allgemein für die stärkste Form der Hinwendung zu anderen Lebewesen, Dingen, Tätigkeiten oder Ideen. Diese allgemeine Interpretation versteht Liebe also zugleich als Metapher für den Ausdruck tiefer Wertschätzung.

Kulturell und historisch ist „Liebe“ ein schillernder Begriff, der nicht nur in der deutschen Sprache in vielfältigen Kontexten und in den unterschiedlichsten Bedeutungsschattierungen verwendet wird. Das Phänomen wurde in den verschiedenen Epochen, Kulturen und Gesellschaften unterschiedlich aufgefasst und erlebt. Jede Zeit und jeder soziale Verband setzt je eigene Verhaltensregeln für den Umgang mit der Liebe. Daher können die Bedeutungsebenen zwischen der sinnlichen Empfindung, dem Gefühl und der ethischen Grundhaltung „Liebe“ wechseln.

Ebenso vielschichtig wie die Bedeutungen der Liebe sind die Bedeutungen der Antonyme. Im Hinblick auf die emotionale Anziehung zwischen Personen ist es der Hass. Im Sinne der Abwesenheit von Liebe kann aber auch die Gleichgültigkeit als Antagonismus angesehen werden. Im christlichen Verständnis gilt auch die Angst – als der Mangel oder die Abwesenheit von Liebe und Geborgenheit – als Gegensatz der Liebe. Fehlentwicklungen der Liebesfähigkeit sind im Sinne des „reinen“ Liebesbegriffes das Besitzdenken (Eifersucht) oder verschiedene Formen der freiwilligen Abhängigkeit bzw. Aufgabe der Autonomie bis hin zur Hörigkeit.

Liebe als intersubjektive Anerkennung

Liebe wird häufig als eine auf Freiheit gegründete Beziehung zwischen zwei Personen gesehen, die ihren Wert nicht im Besitz des adressierten Objekts findet, sondern sich im dialogischen Raum zwischen den Liebenden entfaltet. Die Liebenden erkennen einander in ihrer Existenz wechselseitig an und fördern sich „zueinander strebend“ gegenseitig.

Liebe wird teilweise als anarchisches, asoziales und entgrenzendes Gegenmodell zu den Beschränkungen, Anforderungen, Funktionalisierungen und Ökonomisierungen der menschlichen Alltags– und Arbeitswelt aufgefasst. Auch wenn Liebe kein bewusster oder rationaler Entschluss der Liebenden ist, muss sie deswegen nicht als irrational betrachtet werden.

Im Sinne des Diskurses der Anerkennung (z. B. John Rawls, Axel Honneth) enthält Liebe nämlich die von Hegel betonte „Idee der wechselseitigen Anerkennung“, was ihr ein moralisches Fundament verleiht. Liebe ist daher für Honneth neben dem Recht und der Solidarität eines der drei „Muster intersubjektiver Anerkennung“. Die moralische Grundierung unterscheidet Liebe daher auch vom reinen Trieb.

Klassifizierungen

Die abendländische Auffassung von Liebe wird von der Dreiteilung Platons geprägt, die in der antiken Philosophie später ausgebaut wurde. Sie basiert auf den folgenden Konzepten:

  • Eros – bezeichnet die sinnlich-erotische Liebe, das Begehren des geliebten Objekts, der Wunsch nach Geliebt-Werden, die Leidenschaft
  • Philia – bezeichnet die Freundesliebe, Liebe auf Gegenseitigkeit, die gegenseitige Anerkennung und das gegenseitige Verstehen
  • Agape – bezeichnet die selbstlose und fördernde Liebe, auch die Nächsten- und „Feindesliebe“, die das Wohl des Anderen im Blick hat

Die genauen Bedeutungen und Schwerpunkte der Begriffe haben sich im Laufe der Zeit verändert, so dass – im Gegensatz zum ursprünglich Gemeinten – unter „Platonischer Liebe“ heute ein rein seelischgeistiges Prinzip ohne körperliche Beteiligung und Besitzwunsch verstanden wird, dem das leiblich-erotische Modell von geschlechtlicher Liebe schroff gegenübergestellt wird.

Im Laufe der Zeiten wurden diese Grundformen der Liebe immer wieder differenziert. So bezeichnet man manchmal die Interessenliebe als „stoika“, die spielerisch-sexuelle Liebe als „ludus“, die besitzergreifende Liebe als „mania“ und die auf Vernunftgründen basierende Liebe als „pragma“. Ein besonderes Liebesverhältnis stellt in theistischen Religionen auch jenes zwischen der erbarmenden Liebe Gottes zu den Menschen und der verehrenden Liebe der Menschen zu Gott dar.

In Anlehnung an diese Dreiteilung kann man die Ausprägungen des Phänomens der Liebe in Empfindung, Gefühl und Haltung unterscheiden:

Liebesempfindung

Unter Liebesempfindungen versteht man die primär sinnlichen Liebesgefühle, insbesondere die Verliebtheit und die sexuelle Anziehung. Sie stehen in der Regel in Verbindung mit den beiden anderen Formen der Liebe, können aber auch durch die Wahrnehmung eines fremden Körpers, d.h. durch visuelle, olfaktorische oder taktile Reize, ausgelöst werden oder ganz einfach durch den empfundenen Mangel an einem geliebten Gegenüber. Die Liebesempfindung steht in enger Verbindung mit der Sexualität, d.h. sexuellen Wünschen, Bedürfnissen und Handlungen (z. B. dem Geschlechtsverkehr, auch bezeichnet als „Liebe machen“).

Liebesgefühle

Unter Liebesgefühlen allgemein versteht man ein komplexes, vielfältiges Spektrum unterschiedlicher Empfindungen und Haltungen gegenüber verschiedenen Arten von möglichen Liebesobjekten, in denen die sinnlich-erotische Komponente nur sekundär von Bedeutung ist. Sie führen zu einer Hinwendung und Zuwendung zum Anderen, dem Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit geschenkt werden.

Sympathie, Freundschaft, Sorge und emotionale Liebe sind Erscheinungen, in denen Liebesgefühle eine große Rolle spielen. Ebenso können die kontemplative Liebe (z. B. zur Natur), die aktive sorgende Liebe um den Nächsten (caritas), die religiöse bzw. mystische Liebe und das Mitleid hierzu gerechnet werden.

Liebe als Grundhaltung

Liebe als ethische „Geistes-“ oder Grundhaltung, als Tugend, ist das Paradebeispiel für rational begründete Moralität; eine Fremdliebe, die eine Interessenbalance zwischen Egoismus und Altruismus herstellt. Nächstenliebe wird dabei üblicherweise nicht als altruistische Selbstaufgabe aufgefasst. Bei Immanuel Kant wird die Liebe als Grundhaltung mit den Begriffen Achtung und Würde verknüpft. Daraus ergibt sich eine allgemein-menschliche „Pflicht zur teilnehmenden Empfindung“ mit dem Anderen.

In den meisten Religionen ist die Liebe der zentrale Begriff, ein wichtiges Gebot im Christentum lautet „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ (Mk 12,31 EU; Mt 22,39 EU; Röm 13,8-10 EU). Analoges gilt für das Judentum und den Islam. Im Buddhismus stehen Mitgefühl (d.h. allumfassendes Mitleid und Mitfreude) und Weisheit im Bezug auf alle fühlenden Wesen (z. B. auch gegenüber Tieren) im Mittelpunkt.

Römisch-Katholische Kirche

Für die Römisch-Katholische Kirche ist Liebe die erste Frucht des Heiligen Geistes. Die Kirche unterscheidet nach Platon zwischen Agape und Eros.

Art des Liebesobjekts

  • Selbstliebe: Selbstliebe wird in der Regel als die Voraussetzung zur Fähigkeit zum Lieben und zur Nächstenliebe angesehen, wobei nach Auffassung von Erich Fromm Selbstsucht Selbsthass bedeute. Selbstsucht äußere sich in der Liebe durch besitzgieriges Interesse. Fromm behauptet, dass zu starke Selbstlosigkeit keine Tugend sei, sondern ein Symptom, durch das unbeabsichtigter Schaden entstehen könne. Pathologische Selbstliebe wird als Narzissmus bezeichnet.
  • Partnerliebe: Die geschlechtliche Liebe kann in gegengeschlechtliche (Heterosexualität) und gleichgeschlechtliche Liebe (Homosexualität) unterschieden werden, und findet oft in Liebesbeziehungen Ausdruck, für die in heutigen europäischen Kulturen das Ideal der Partnerschaft, vermischt mit dem ehemals höfischen Ideal der romantischen Liebe, betont wird. Eine besondere Rolle nimmt in vielen Gesellschaften die eheliche Liebe ein, die oftmals Exklusivität für sich in Anspruch nimmt (siehe Monogamie). Nicht auf exklusiven Zweierbeziehungen beruhende Liebesmodelle (Polygamie) spielen in außereuropäischen Kulturen und in den letzten Jahrzehnten auch im Westen („Polyamory“) eine größere Rolle.
  • Nächstenliebe: Die Nächstenliebe gilt im Sinne von Religion und Ethik primär den Bedürftigen, während die Philanthropie sie zur allgemeinen Menschenliebe ausdehnt (vgl. Menschlichkeit). Die Feindesliebe ist eine im Neuen Testament auf Feinde bezogene Nächstenliebe, die oft als christliche Besonderheit gilt, aber in abgeschwächter Form auch in anderen Religionen vorkommt. Noch weiter geht das Konzept der „Fernstenliebe“.
  • Objekt- und Ideenliebe: Insbesondere in jüngerer Zeit ins Zentrum gesellschaftlicher Begriffe gerückt sind auch „Tierliebe“ oder die „Liebe zur Natur“. In der weitesten sprachlichen Auslegung „liebt“ man seine Hobbys oder Leidenschaften und kann diese dann auch als Liebhaberei oder Vorlieben bezeichnen. Auch Ideale können demnach geliebt werden, etwa durch den Begriff „Freiheitsliebe“ dargestellt, aber auch Zugehörigkeiten wie Vaterlandsliebe (Patriotismus). Diese Vorlieben können bis hin zu Fanatismus gehen, der Begriff Fan wird aber heutzutage auch für nichtfanatische Formen der Bewunderung, Verehrung bzw. Anhängerschaft verwendet.
  • „Objektlose Liebe“: Liebe als Grundhaltung benötigt für christliche Mystiker wie Meister Eckhart kein Objekt. Liebe wird hier als bedingungsloses öffnen verstanden. Der Philosoph und Metaphysiker Jean Emile Charon bezeichnet diese „universale“ Liebe gar als „Finalität der Evolution“ und „Selbsttranszendenz des Universums“.

Ausdrucksformen

Liebe, insbesondere Verliebtheit („Verliebtsein“) kann sich nonverbal, etwa durch Blicke, Mimik, Unruhe oder Körperhaltung ausdrücken. Beruht die Liebe auf Gegenseitigkeit, drückt der Mensch sie durch Zärtlichkeiten, insbesondere Küssen und Berührungen aus. Die körperliche Vereinigung (Sex) kann dabei als intimste Ausdrucksform der Liebe dienen.

Verbale Ausdruckformen sind in erster Linie Bezeichnungen der oder des Geliebten, meistens in Form von Komplimenten und Koseworten bzw. Kosenamen wie „Liebling“ oder „Schatz“.

Besondere, konventionelle Formen sind die „Liebeserklärung“ oder der „Liebesbrief“, die auch in der Literatur eine besondere Würdigung erfahren haben. Auch Rituale wie die Verlobung oder Symbole wie der Freundschaftsring gehören hierzu.

Das Ideal einer „Liebe als Verehrung“ unter Ausschluss einer konkreten körperlichen Beziehung gehört eher in die (Literatur-)Geschichte und fand dort eine besondere Form in der so genannten „hohen minne“, ein Begriff, den Walther von der Vogelweide als Gegenbegriff zur „nideren minne“, also der körperlich erfüllten Minne, verwendet. In dieser poetischen Form der Liebe bleibt die „frouwe“ unerreichbar.

Wissenschaftliches

Biologie und Physiologie

Der Begriff „Liebe“ ist in der Biologie nicht definiert und damit keine wissenschaftliche Kategorie. Allgemein ist es schwierig, emotionale Prozesse mit naturwissenschaftlicher Methodik zu bearbeiten, zumal die zugrunde liegende Biochemie noch nicht ausreichend bekannt ist. Gesichert sind beim Menschen lediglich folgende Erkenntnisse:

Neurobiologie der Verliebtheit

Neueren Untersuchungen des Gehirnstroms und Studien zufolge bewirkt Verliebtheit in Bereichen des menschlichen Gehirns, die auch für Triebe zuständig sind, die höchste Aktivität, was darauf schließen lässt, dass das Gefühl, das gemeinhin als „Liebe“ (i.S.v. Verliebtheit) bezeichnet wird, in seinem biochemischen Korrelat einen starken Zusammenhang mit dem biologischen Trieb aufweist.

Die mitunter sehr lange anhaltenden Wirkungen der Verliebtheit (Limerenz) deuten aber auch auf neuroendokrine Prozesse hin, die dem Phänomen zugrunde liegen. Das würde sich auch in das Entstehungsfeld einfügen, das in der Sexualität zu suchen ist, die ihrerseits maßgeblich der diencephalen neuroendokrinen Steuerung unterliegt. Dabei spielen nicht zuletzt die endogenen Opiate des Hypophysenzwischenlappens eine Rolle.

Verliebt sich ein Mensch, so sorgen verschiedene Botenstoffe für Euphorie (Dopamin), Aufregung (Adrenalin), rauschartige Glücksgefühle und tiefes Wohlbefinden (Endorphin und Cortisol) (umgekehrt können Momente, in denen man nicht mit der geliebten Person zusammen ist, als schmerzhaft empfunden werden) und erhöhte sexuelle Lust (Testosteron sinkt bei Männern, steigt bei Frauen). Auch Sexualduftstoffe (Pheromone) werden vermehrt abgegeben. Hingegen sinkt der Serotoninspiegel stark ab, wodurch der Zustand der Verliebtheit in diesem Punkt eine Ähnlichkeit mit vielen psychischen Krankheiten aufweist. Das trägt dazu bei, dass Verliebte sich zeitweise in einem Zustand der „Unzurechnungsfähigkeit“ befinden können, sich dabei zu irrationalen Handlungen hinreißen lassen und Hemmschwellen abbauen. Nach einiger Zeit (wenige Monate) gewöhnt sich der Körper an diese Dosen, und ganz allmählich (laut WHO maximal nach 24–36 Monaten) beendet das Gehirn diesen sensorischen „Rauschzustand“.

Nach vier Jahren Verliebtheit sind laut internationalen Statistiken die Scheidungen bei Menschen am häufigsten. Nach dieser Phase spielen die Hormone Oxytocin und das männliche Gegenstück Vasopressin, die Vertrautheit und Bindungen verstärken, und Endorphine eine Rolle. Nach etwa zwei bis vier Jahren muss die Verliebtheit in eine andere Form der Liebe übergehen, in der die Beziehung der Partner eher vom freundschaftlichen Ausleben gemeinsamer Interessen geprägt ist; denn die berauschenden Hormone können ab einem bestimmten Punkt ihre Wirkung nicht mehr entfalten. Als Folge stellt der Körper ihre Produktion ganz ein. „Entzugserscheinungen“ können die Folge sein; nun treten auch viele vormals nicht störende Eigenschaften beim Partner offen zutage. Aus rein hormoneller Sicht wäre eine Trennung nun oft ebenso vorteilhaft wie ein weiteres Zusammenbleiben, um die Kinder aufzuziehen.

Evolutionsbiologie der Liebe

Das vertiefte Gefühl der Liebe ist aus evolutionsbiologischer Sicht möglicherweise im Zusammenhang mit der Sexualität entstanden, wobei die Liebe es ermöglichte, die erfolgte Partner-Selektion und damit die Paarbeziehung über längere Zeiträume zu stabilisieren. Es sind zwar bei vielen Tierarten monogame Paarbeziehungen bekannt (z. B. auch bei den Graugänsen von Konrad Lorenz), aber ob diese Tiere dabei so etwas wie „Liebe“ empfinden, ist wohl eine aus erkenntnistheoretischen Gründen unbeantwortbare Frage.

Im Rahmen des Konzepts der biologischen Determiniertheit entsteht Liebe zwingend aus bestimmten körperlichen Reaktionen. Viele Menschen empfinden diese naturwissenschaftliche Einengung der Liebe auf körperliche Funktionszusammenhänge als unzureichende Beschreibung eines inneren Phänomens bzw. subjektiven Erlebens.

Psychologie und Psychiatrie

Cupido schießt blind, der Tod grüßt.

Darstellung aus dem Narrenschiff: Cupido schießt blind, der Tod grüßt.

Die Psychologie beschäftigt sich mit den zahlreichen Spielarten der Liebe und des Liebesentzuges.

Nach Auffassung der Evolutionspsychologen werden Frauen und Männer bei der Partnerwahl von Vorlieben regiert, die sich über Millionen von Jahren von unseren Vorfahren auf uns weitervererbt haben. Diese „SteinzeitPsyche“ soll Frauen auf starke oder statushohe Beschützer-Typen reagieren lassen; Männer dagegen auf junge, hübsche Frauen. Schönheit gelte bei beiden Geschlechtern offenbar als Indiz für „gesunde Gene“, wie auch Humanethologen bestätigen. In diesem Zusammenhang wurde auch vielfach untersucht, was „Schönheit“ in diesem Zusammenhang bedeutet, welche körperlichen Merkmale für beide Geschlechter als attraktiv gelten („Durchschnittlichkeit“ als Ideal).

Die Psychiatrie befasst sich unter dem medizinischen Aspekt mit dem Phänomen. So wird zum Beispiel die Psychopathologie des „Liebeswahns“ im Zusammenhang mit paranoischen Vorstellungen diagnostiziert (vgl. Wahnsinn).

Soziologie

Allgemeines

Es liegen in der Soziologie mindestens vier substantielle, thematisch einander eher ergänzende Ansätze zur Liebe vor. Sie betonen mehr oder weniger die „liebalen“ Aspekte Kommunikation (Interaktion) und Semantik. Demnach wird Liebe definiert als Emotion (z. B. Jürgen Gerhards), Kulturmuster (z. B. Niklas Luhmann), Intimsystem (Becker/Reinhard-Becker/Fuchs) und nicht-kognitive Form kommunikativer Praxis (Günter Burkart, Cornelia Koppetsch).

„Liebe“ wird u.a. als ein gesellschaftlich wirkendes Symbol für Interaktionen betrachtet (vgl. Symbolischer Interaktionismus) und auf seine soziale Funktion hin untersucht. Die Soziologie untersucht zahlreiche Einzelformen der Liebe, etwa die „romantische“ Liebe, die „Liebe“ im Bürgertum, die „Mutterliebe“, die „Vaterlandsliebe“ (oft als Ideologie), die Bezüge zwischen Liebe, Gewalt und Macht u. a. m. Unter den gegenwärtigen Soziologen behandelt z. B. Bálint Balla Liebe in seiner Soziologie der Knappheit eingehend, Horst Herrmann untersucht die (geschlechtsspezifischen) Zusammenhänge von Liebe und Gewalt sowie die gesellschaftlich wirkenden Modelle heutiger Liebesbeziehungen.

Auch hat die Soziologie angrenzende soziale Bräuche wie die Koketterie (Georg Simmel) oder den Flirt untersucht.

Systemtheoretische Ansätze

Die Systemtheorie nahm eine einschneidende Begriffsverengung vor, indem sie Liebe neu als eine „gesellschaftliche Semantik“ bzw. als Code des Miteinander-Umgehens definierte. So formulierte Niklas Luhmann in Liebe als Passion (1982) romantische Liebe als ein Phänomen der Moderne, welches seine Grundlegung vor allem im Bürgertum des 18. Jahrhunderts erfährt.

Liebe fungiert – nach Luhmann – in der heutigen funktional ausdifferenzierten Gesellschaft in erster Linie als „symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium“, das unwahrscheinliche Kommunikation wahrscheinlich machen soll. Die Gesellschaft differenziert sich immer stärker in einzelne Teilbereiche. Jedes einzelne Individuum ist nicht mehr nur in einem Bereich, z. B. der Familie verwurzelt, sondern in vielen Teilbereichen, etwa Freizeit oder Beruf. Auch ist es immer auch nur zu einem Teil verortet und bewegt sich ständig zwischen verschiedenen Bereichen hin und her. Auf Grund dieser kommunikativen „Polykontexturalität“ erschwere sich die identitätsbildende Interaktion.

Guido Reni, Caritas (1604/07). Die Allegorie der fürsorgenden Liebe kann u.a. die mütterlich-familiäre Liebe meinen

Guido Reni, Caritas (1604/07). Die Allegorie der fürsorgenden Liebe kann u.a. die mütterlich-familiäre Liebe meinen

Dem Einzelnen fällt es vor diesem Hintergrund zunehmend schwerer, sich selbst zu bestimmen. Hinzu kommt, dass diese Individualität und Identität im kommunikativen Austausch mit anderen bestätigt werden muss. Diese „höchstpersönliche“ Kommunikation nimmt in einer derart ausdifferenzierten Gesellschaft aber ständig ab, denn zum einen wird durch die Vielzahl an Rollen in den beschriebenen Teilbereichen (z. B. als Tochter, Sekretärin, Freizeitsegler, etc.) dort auch nur unpersönliche Kommunikation erfahren, und zum anderen begreift sich der Mensch als Individuum, also etwas Besonderes, Einzigartiges, anders als die Anderen. Angesichts dieser Entwicklung ist es nicht nur schwierig, miteinander in Kontakt zu treten, es wird auch schwierig, einander überhaupt noch zu verstehen bzw. die Motivation zu finden, sich auf einen doch so Besonderen, Anderen einzulassen. Genau dieses Problem zu bewältigen ist – in dieser Theorie – Aufgabe der Liebe. Fuchs definiert Liebe daher als „wechselseitige Komplettannahme im Modus der Höchstrelevanz“. Liebe als Kommunikationsmedium motiviert dazu, sich dem Anderen unter Ausblendung von Idiosynkrasien in seiner „Ganzheit“ zu nähern und nicht unter der verengenden Perspektive des jeweiligen Sozialsystems (z. B. als Freizeitsegler). Durch diese Komplettannahme entsteht eine wechselseitige Bestätigung des „Selbst-Seins“ und des jeweiligen „Weltbezugs“ .

Liebe, bzw. genauer das Intimsystem, das im Medium Liebe operiert, ist eine Vorform des Sozialsystems „Familie“, dem grundlegende gesellschaftliche Funktionen zukommen (nämlich Reproduktion und Sozialisation). Des Mediums Liebe bedarf es, da unwahrscheinliche Ereignisse (zwei Menschen begegnen sich unter Millionen anderen und begründen und stabilisieren ein Zusammenleben) erwartbar gemacht werden müssen. Liebe ist also wie Geld oder Macht ein so genanntes Steuerungsmedium, das die Chance auf das Eintreffen unwahrscheinlicher Sinnzumutungen steigert. Überraschend ist dabei jedoch, dass Intimsysteme auf dem paradoxen, komplexen und sehr täuschungsempfindlichen Medium Liebe basieren.

Sonstige Aspekte

Wesentlich ist im sozialen Kontext die Unterscheidung zwischen der einseitigen und der gegenseitigen Liebe. Erstere hat ihren Spezialfall in der im Volksmund so genannten unglücklichen Liebe (vgl. Liebeskummer).

Viele Bezeichnungen für Fachgebiete sind, ebenso wie eine Reihe anderer Begriffe, auf dem Präfix phil- aufgebaut. Hierzu zählen insbesondere die „Philosophie“ (ursprünglich: „Liebe zur Weisheit“) und die „Philologie“ (ursprünglich: „Liebe zu Sprachen“). Die „Philatelie“ sei stellvertretend für andere Sammelleidenschaften genannt, der Name „Philipp“ („Philhippos“, verschiedene Schreibweisen) bedeutet „Pferdeliebhaber“.

Tizian, Himmlische und irdische Liebe (1515)

Tizian, Himmlische und irdische Liebe (1515)

Einen christlichen Standpunkt innerhalb der Existenzphilosophie vertritt Gabriel Marcel in „Sein und Haben“: Der Mensch existiert ursprünglich nicht in der Abgrenzung, sondern der Teilhabe am Mitmenschen und am göttl. Sein, in dieser Seinsteilhabe verwirklicht sich die Liebe, die sich vorbehaltlos öffnet, wenn sich der Mensch in einer innerlichen, dem Sein hingebenden Andacht, diesem gewahr wird.

Polytheistische Religionen kennen zumeist Göttinnen, denen die Liebe zugeordnet wird und die sie befördern (vgl. Aphrodite, Hera). In monotheistischen Religionen ist die Allliebe Gottes eine seiner Eigenschaften; da er aber auch Zorn oder Eifersucht zu seinen Eigenschaften zählt, hat die Theologie hier ein komplexes Arbeitsfeld. Selbst in der negativen Theologie, wie auch in der Mystik wird als einzige Aussage über das Unsagbare in der Regel dennoch die Feststellung Gott ist die Liebe anerkannt; vgl. dazu auch die Natürliche Theologie.

Siehe auch

Literatur

Allgemeines

Philosophie

Psychologie

Soziologie und Kulturgeschichte

Belletristik

Hier ist kein Ende: Nulla unda tam profunda quam amoris furibunda. (Mittelalterliches Latein: „So gewaltig keine Flut wie der Liebe Wut.“)

Weblinks

Wiktionary

Wiktionary: Liebe – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen und Grammatik

Wiktionary

Wiktionary: Ich liebe dich – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen und Grammatik

Commons

Commons: Liebe – Bilder, Videos und Audiodateien

Wikiquote

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Bibliografische Angaben für „Liebe

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Donnerstag, 14 Februar 2008 Posted by | 2008-02-14 | , , , , , , , , , , , | 1 Kommentar

Bauernregel Mittwoch 13. Februar 2008

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Michelangelo Buonarroti

Bettina von Arnim

Clemens Brentanos Frühlingskranz

Clemens.
Sehr viel Ärger wird Dir alles machen, was ich eben im Begriff bin Dir zu schreiben. Ich spür schon, daß ich sehr alles das sein werde, was Du im Ganzen ein ungezognes oder ungebärdiges Ding nennen kannst, wenn Du willst; – erstens, da der zweite mir gesendete Brief, den Du wunderschön edel nennst, nichts als Lüge über mich und von mir ist, so behalte nur Deinen ersten ganz und gar für Dich – denn es ist mir gar nichts daran gelegen, dergleichen durchzustudieren! – Und ich wollte doch lieber etwas anders tun, als dergleichen Geschwätz nur zu berücksichtigen an Deiner Stelle, ob dies oder jenes ist oder war. Ich sage Dir feierlichst, warte, bis ich irgendeine Explosion gemacht habe; dann schreie: hätte ich mir das gedacht! – obschon auch dies nach geschehener Tat nichts helfen kann! – aber dann hat doch Dein Nachseufzer einen Grundton, und kann daher schon eine Melodie aus sich entwickeln. – Du hast mich nach Frankfurt promoviert – jetzt, wo ich da bin, läufst du wie eine Glucke am Ufer, wo das Entchen schwimmt, und glucksest Dich ganz müde vor Angst. Aber ich schwimme gar auf keinem gefährlichen Element, es ist lauter Einbildung von Dir!Deine Illusionen hüpfen wie die Heuschrecken in Deinem Brief herum; ich weiß nicht, welche ich zuerst erwischen soll. – Die allerledernste Heuschrecke ist mir die, wo Du mich mit Gewalt willst auf den großen Unterschied hinweisen zwischen einem vortrefflichen Weib und einem braven Manne. Mögen sich diese zwei beiden zusammenfinden auf irgendeinem glücklichen Stern, nur das einzige bitte ich mir aus, daß Du es mir nicht zu wissen tust; und ein für allemal will ich von diesem Heiligtum gänzlich ausgeschlossen sein! – Und zweitens – Deine Warnung vor aller männlichen Gesellschaft! Die Günderode sagt zu mir, sie kenne keine männliche Gesellschaft außer die meine. Ich, lieber Clemens, kenne auch keinen männlichen Umgang als den mit den Hopfenstecken, die mir die Milchfrau besorgt hat für den kommenden Frühling, sie sind die derbsten unter meinen Bekannten, auch gehe ich zwar mit ihnen um, aber nicht zart; ich schneidle dran zurecht kleine Rinnen, an denen die Bindfäden hin und her sich flechten. – Manchmal hab ich die ganze Stube voll Hobelspäne und Schwielen in der Hand. Die »nicè ingrata«, obschon sie Dein Universitätsfreund ist und, nachdem Du ihr den Doktorschmaus bezahlt hattest, mit Deinen besten Kleidern durchging, hat zwar einen Bart und möchte vielleicht auch für einen Mann gehalten sein; aber sie sieht in den Spiegel und singt »nicè bella«, und wer zweifelt, daß sie eine »Nicè« ist. Gerne fliehe ich sie, soweit der Schall ihrer Stimme trägt. Clemens, vor Ärger kann ich das Schöne in Deinen Briefen nicht würdigen, ich will im ursprünglichen Geist mit Dir eins sein, aber mich faßt eine Ungeduld, Deine Belehrungen zu überspringen; – es ist ein wahrer Schiffbruch mit der Moral, sie ist wie ein Uhrwerk, an dem die Kette gesprengt ist, sie rasselt sich aus, und auf einmal steht die Uhr still, und so tot sind mir diese Werke der Belehrung! Ich laufe zur Günderode, sie liest mit mir Deinen Brief; wir sind beide drüber hinaus, wir zanken einander, wir lachen einander aus, wir kommen auf keinen grünen Zweig! – Gestern gingen wir bei schönem Frost um die Tore, Günderödchen und ich – es war schon dämmerig und die Allee ganz leer; ich war aufs Glacis gesprungen und wollte das Kunststück machen, von einem Tor zum andern zu kommen, ohne herabzufallen, da trat der Mond hervor, und ein leiser Wind machte ihm durch die Wolken Bahn, da sprang ich wieder herab und zog es vor, mit der Günderode einen sanften philosophischen Schritt zu halten.
Adieu! – Noch einmal! Dein mitgeteilter Brief ist voll Unkraut der Lüge.

Bettine.

St. Clair ist hier – erste männliche Unterhaltung in der Ecke des Fensters -, ich könne eine Jeanne d’Arc sein, in mir läge Stoff zur Heldennatur, die Auriflamme zu ergreifen, für die Erhaltung der Freiheit und Menschheitsrechte. Diese Unterhaltung hat mir geschmeichelt – ich liebe Kriegestaten! – Kühn! Entschieden! – das sind Eigenschaften, die ich in meiner Seele ausbilden möchte – aber der Sklavenmarkt der Gesellschaft ist dazu nicht. – Wohin fliehen! – überall triffst Du auf einen Boden, der der Saat der Drachenzähne nicht günstig ist.

Quellenangabe
Name Wert
type fiction
booktitle Clemens Brentanos Frühlingskranz
author Bettina von Arnim
year 1985
publisher Insel Verlag
address Frankfurt am Main
isbn 3-458-14247-9
title Clemens Brentanos Frühlingskranz
pages 03.07.08
sender gerd.bouillon@t-online.de
firstpub 1844
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© Projekt Gutenberg

Frost

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Weitere Bedeutungen werden unter Frost (Begriffsklärung) aufgeführt.
Reif auf einer Wiese

Reif auf einer Wiese

Ein mit Frost überzogenes Eichenblatt.

Ein mit Frost überzogenes Eichenblatt.

Der Ausdruck Frost (german. Ableitung von frieren) bezeichnet das Auftreten von Temperaturen unterhalb 0 °C Grad Celsius (Gefrierpunkt von Wasser) insbesondere in der Umwelt, wovon vor allem Lebewesen, das Wasser und der Boden betroffen sind. Der Dauerfrost des Winters führt zur Winterruhe der Natur.

In den gemäßigten Breiten wird folgende subjektive Skala zur Beschreibung der Frosthärte benutzt.

  • geringer Frost: 0 bis -2 Grad Celsius
  • leichter Frost: -2 bis -5 Grad Celsius
  • mäßiger Frost: -5 bis -10 Grad Celsius
  • strenger Frost: -10 bis -15 Grad Celsius
  • sehr strenger Frost: unter -15 Grad Celsius

Sinken die Temperatur in 2 m Höhe unter 0 °C durch nächtliche Ausstrahlung bei wolkenlosem Himmel und in windgeschützten Lagen, spricht man von Nachtfrost. Dieser kann als Frühfrost im Herbst Erntefrüchte (Kartoffeln, Zuckerrüben) gefährden oder als Spätfrost im Frühjahr zu Schäden im Obst-, Wein- und Gartenbau führen.

Bodenfrost bedeutet, dass die Temperatur, die 5 cm über dem Boden gemessen wird, unter den Gefrierpunkt sinkt, während die Temperatur der offiziellen Messhöhe von 2 m über der Null-Grad-Grenze bleibt. Boden der das gesamte Jahr über gefroren bleibt, nennt man Dauer- oder Permafrostboden.

Der winterliche Frost kann je nach Region wenige Tage oder mehrer Monate dauern. In der Natur führt er zur Winterruhe bzw. Dormanz, hat direkten Einfluss auf die Keimruhe von Samen und löst die Schosshemmung von Nutzpflanzen durch Vernalisation.

Unter anderem für Straßendecken ist es besonders schädlich, wenn die Temperaturen über längere Zeit um den Gefrierpunkt pendeln und es zudem feucht ist. Der Wechsel zwischen Frost und Tauwetter führt dazu, dass Wasser in winzige Spalten eindringt und dort gefriert. Eis hat eine geringere Dichte als Wasser, braucht also mehr Platz. Es dehnt die kaum sichtbaren Spalten mit enormer Kraft ein wenig aus, sodass beim nächsten Mal etwas mehr Wasser hinein passt. Nach vielen Wiederholungen entstehen so sichtbare Schäden, es kommt zur Frostverwitterung. Frost führt so bei ungeschützten Wasserleitungen auch zu einem Wasserrohrbruch mit folgenden Wasserschäden.

In der Seefahrt bezeichnen die Begriffe Weißer Frost (engl.: White Frost) und Schwarzer Frost (engl.: Black Frost) eine Vereisung der Schiffsaufbauten. Weißer Frost entsteht aus der Gischt bei überkommender See (Salzwasser) in starkem Sturm, Schwarzer Frost bildet sich aus Nebel oder Nieselregen (Süßwasser) und kann zum Kentern des Schiffes führen.

Frostwarnung

Für verschiedene Bereiche, wie insbesondere die Landwirtschaft und Bauwirtschaft, ist es wichtig schon im vornherein zu wissen, ob es zur Bildung von Frost kommen wird. Aus diesem Grunde wird eine Frostwarnung ausgesprochen, wenn Frost wahrscheinlich ist. Entscheidend hierfür ist nächtliche Tiefsttemperatur, die zum Beispiel über die Taupunktregel vorrausberechnet wird. Dabei existieren drei verschiedene Grade die durch Sterne symbolisiert werden: kein Nachtfrost (*), Nachtfrost möglich (*) und Nachtfrost sehr wahrscheinlich (**). In der Landwirtschaft bietet eine Schneedecke den besten Frostschutz im Nutzpflanzenanbau, bei Spätfrösten im Frühjahr wird zum Schutz der empfindlichen Kulturen verbreitet die Frostschutzberegnung angewendet.

Siehe auch

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Bibliografische Angaben für „Frost

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Mittwoch, 13 Februar 2008 Posted by | 2008-02-13 | , , , , , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Bauernregel Dienstag 12. Februar 2008

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Kasimir und Eulalia

oder

Jaromir und Rosaura

(Ein Jahrmarktslied.)

Dem Hengste geb ich meine Sporen
Und rase wild durch Wald und Haid,
Von jedem Jammer ungeschoren,
Durch menschenleere Einsamkeit.
Es jagt in wirbelndem Getreibe
Der Riesenwolken schwarzes Heer,
Verdeckt des Mondes volle Scheibe,
Von ferne donnert schon das Meer.
Ich sehe schwach im Vorwärtsstürmen,
Es wird die Seele mir so weit,
Ein Schloß mit scharfumrißnen Türmen
Hochwachsen aus der Dunkelheit.
Ein Eichbaum ragt, an den ich binde
Mein dampfend Roß mit raschem Griff.
Wie schnell ich dann den Fußpfad finde
Hinauf zur Burg auf schroffem Riff.
Das Mädchen ruht in meinen Armen,
Sie lacht und weint an meiner Brust.
O Götter, seufz ich, habt Erbarmen,
Verkürzt mir nicht die kurze Lust!
Eulalia gibt sich mir zu eigen;
O Kasimir! haucht heiß ihr Kuß.
Es stürzt die Nacht, die Stunden steigen,
Der Wächter bläst den Tagesgruß.
Der Morgen drängt sich aus dem Tore,
Das Lucifer geöffnet hat,
Ein feiner Rauch zieht auf vom Moore,
Im Tau trinkt sich die Sonne satt.
Das liebe Mädchen winkt am Fenster:
Wann kommst du wieder, Jaromir?
Geduld, zur Zeit der Nachtgespenster
Bin ich, Rosaurchen, wieder hier.

Quellenangabe
Name Wert
type poem
booktitle Bunte Beute
author Detlev von Liliencron
firstpub 1903
year 1903
publisher Schuster & Loeffler
address Berlin
title Bunte Beute
created 20050419
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© Projekt Gutenberg

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Otto Julius Bierbaum

Die Haare der heiligen Fringilla

Es lebten einmal (wer weiß, wie lange es her ist), durch das Band des heiligen Sakramentes der Ehe rechtmäßig und katholisch miteinander verbunden, in einem schönen Schlosse ein Prinz und eine Prinzessin. Den Prinzen wollen wir Flodoard, die Prinzessin aber Eulalia nennen, – denn wir haben uns in dem Taschenbuch der fürstlichen Häuser davon überzeugt, daß es keinen Prinzen Flodoard gibt, der mit einer Prinzessin Eulalia ehelich und katholisch verbunden wäre.

Der Prinz, – nun, das war ein ganz annehmbarer Herr. Hübsch wohl eigentlich nicht, auch nicht gerade aufdringlich intelligent, aber er konnte so mit hingehen und machte mit den anderen Prinzen seines Hauses eine ganz harmonische Gruppe. Eine rosige Hautfarbe, gehoben durch einen kohlpechrabenschwarzen Spitzbart und muntere, ganz hellblaue Augen, alerte Bewegungen, die Kleider direkt aus London, – wer mehr verlangt, ist unverschämt. Zudem strich er die Kniegeige und war ein Gönner der mimischen Künste.

Prinzessin Eulalia ermangelte der Reize, die in Märchenbüchern und Zeitungsberichten den Prinzessinnen anzuhaften pflegten. Dafür entstammte sie aber auch einem grausam alten Fürstenhause, das infolge seiner unerhörten Vornehmheit eigentlich auf fortwährende Inzucht angewiesen und daher auch noch durch allerhand kleine geistige Schönheitsfehler ausgezeichnet war. Wir müssen es uns versagen, darauf näher einzugehen, weil wir weder die Absicht noch den Beruf haben, ein Lehrbuch der Psychopathologie mit besonderer Berücksichtigung der ältesten Dynastengeschlechter zu schreiben, und es muß uns genügen, auf die spezielle Form hinzudeuten, in der die psychischen Leberflecke bei Prinzess Eulalia auftraten. Die hohe Dame war, um es mit der gebührenden Delikatesse auszusprechen, religiös etwas stark empfindlich. So bekam sie z. B. Zustände epileptoider Natur, wenn sie genötigt gewesen war, einem Ketzer die Hand zu reichen; erst eine dreistundenlange Waschung in reichlich mit Weihwasser versetzter Eau de Cologne war, wie sie behauptete, imstande, die also besudelte Hand wieder in den früheren Zustand rechtgläubiger Immakulanz zu versetzen. Dies nur ein Beispiel, dem wir noch eine ganze Reihe ähnlicher anzufügen vermöchten, wenn wir nicht vorzögen, zu unserer eigentlichen Geschichte zu kommen.

Prinz Flodoard wußte die Ehre wohl zu schätzen, die darin lag, daß er mit einem, wenn auch etwas welken Sproß jenes grausam alten Fürstenhauses durch die Ehe verbunden war, aber er huldigte der vielleicht frivolen, aber begreiflichen Anschauung, daß diese Ehre ihn nicht an dem Genusse derjenigen Vergnügungen hindern zu müssen brauchte, die ihm jene Ehe nur in unvollkommenem Maße gewährte. – Wie wir schon erwähnten, schenkte er den mimischen Künsten den Vorzug seiner Gunst. Wäre sein Interesse nur von der oberflächlichen Art gewesen, wie sie auch in den bürgerlichen Schichten des Volkes auftritt, so würde er sich darauf beschränkt haben, es von seiner Loge aus zu betätigen: da er aber ein Mann von Gründlichkeit und überdies einer jener vorurteilsfreien Prinzen war, die auch die direktere Berührung mit den Untertanen nicht scheuen, so überschritt er die Schranke, die ihn von den darstellenden Künstlern trennte, und begab sich so oft als es nur ging, d. h. stets dann, wenn er ohne seine hohe Gemahlin das Theater besuchte, hinter die Kulissen. Nur so, sagte er sich, kann ich mit dieser wunderlichen Welt in innigeren Kontakt kommen. Und so war es.

Das Fräulein hieß Fanny und verkörperte die heroischen Weiblichkeiten jüngeren Alters. Denn sie besaß eine starktönende Stimme, lange Beine, volle Arme, glutvolle Augen und einen Busen, der jeder vorgeschrieben Wallung gewachsen war.

Ob Fanny den Ruhm einer großen Künstlerin verdiente, das mögen auf Ehre und Gewissen jene Herrschaften entscheiden, die in der Stadt ihrer Tätigkeit über diese Dinge gegen das übliche Zeilenhonorar zu Gerichte sitzen; an uns ist es lediglich, zu konstatieren, daß Prinz Flodoard in jeden gewünschten Kontakt mit ihr kam und keine Ursache hatte, daran zu zweifeln, daß sie Temperament besaß und heroischer Anstrengungen fähig war.

Somit wäre alles gut gewesen, und wir brauchten diese Geschichte nicht zu schreiben, wenn nicht Prinzessin Eulalia durch eine boshafte Manicure (mit der Fanny einen kleinen Raufhandel gehabt hatte) von der Sache Wind bekommen hätte.

– O! sagte sie, o! und ließ ihren Beichtvater kommen.

Pater Ivo war ein Kapuziner von der verehrungswürdigen Einfalt eines frommen Greises und dem treuherzigen Glauben eines unverdorbenen Kindes. Seit mehr denn fünfzig Jahren trug er seine Kutte und wußte nichts mehr von der Welt und ihrer Arglist, denn was er davon gewußt hatte, hatte er vergessen. – Diesem wackeren Mönche also erzählte Prinzessin Eulalia mit sanft umschreibenden Worten das Greuliche und fragte zum Schluß: Was ist zu tun? Was kann hier helfen?

– Nichts, als die Haare der heiligen Fringilla! antwortete Pater Ivo.

– Ah! sagte die Prinzessin.

– Ja! sagte der Pater.

– Nämlich, fuhr er fort, die Haare der heiligen Fringilla, auf der bloßen Brust in einer geweihten Kapsel aus dem Holze des Judasbaumes getragen, haben die Kraft, die bösen Lüste zu vertreiben, indem sie sie im eigentlichen Sinne hinfällig machen, so zwar, daß…

– Ich verstehe, sprach die Prinzessin, indem sie zu den übrigen Falten ihrer Stirn noch eine bekam; das wird das Richtige sein. Wie aber und woher bekommen wir so schnell Haare von der heiligen Fringilla und Holz vom Judasbaume?

– Hier, antwortete Pater Ivo prompt, griff in seine Kutte und brachte eine Kapsel zum Vorschein, hier sind Haare und Kapsel. Ich bedarf ihrer ohnehin längst nicht mehr, fügte er mit einem milden Lächeln hinzu.

Die Prinzessin nahm die Kapsel mit Dank und Andacht entgegen und hätte sie gerne geküßt, wenn sie nur etwas gelüftet gewesen wäre. So mußte sie sich begnügen, sie mit Devotion zu betrachten. Das Ding sah eigentlich wie eine der alten Taschenuhren mit hohem, rundem Glasdeckel aus, nur daß unter dem Glas kein Ziffernblatt, sondern, auf einem Pölsterchen von weißem Samt, eine Anzahl brauner, ganz, ganz feiner schlichter Haare zu sehen war, die sich fast wie Seidenfäden ausnahmen, so fein waren sie.

Mit dieser Kapsel in den überaus weißen und natürlich hellblau geäderten Händen begab sich die Hoheit Eulalias in die Gemächer ihres Gatten, der eben die Kniegeige traktierte, indem er den ganzen Schmelz seiner Empfindungen für Fanny auf ihre vibrierenden Saiten strich. Als er seine hohe Gemahlin bemerkte, beendigte er die empfindungsreiche Pieße mit einer mehr ausdrucksvollen als harmonischen Figur und sah den Spross des grausam alten Fürstenhauses fragend an.

Der Spross aber sprach: Nimm, mein Geliebter, hier in dieser Kapsel aus dem Holze des Judasbaumes einige Haare vom Scheitel der heiligen Fringilla, hänge die Kapsel um Deinen Hals und trage sie fürderhin auf Deiner bloßen Brust.

Was hat sie denn? dachte sich Prinz Flodoard; es herrschen doch nicht die Pocken oder der Typhus in unserer Stadt, und ich bin überdies in der Unfallversicherung! Sprechen aber tat er so: Aus welchem Grunde wünschest Du dieses?

– Es ist gut gegen allerlei Anfechtungen, erwiderte mit Betonung und einem eigentümlich bohrenden Blicke die Prinzessin.

Der Prinz hatte eine bange Empfindung, nicht unähnlich der, die auch Prinzen haben, wenn sie beim Zahnarzt sind und dieser die elektrische Bohrmaschine herbeizieht. Daher sprach er schnell: Ich danke Dir sehr für diese Aufmerksamkeit. Wie Du weißt, habe ich stets zu den besonderen Verehrern der heiligen Fringilla gehört.

Die Prinzessin neigte hoheitsvoll, aber nur ein bißchen, das Haupt und sprach: So wirst Du, hoff‘ ich, immer und überall, stets und wo Du auch bist, jederzeit und bei allen Gelegenheiten eingedenk sein, wessen Haare Du auf Deiner Brust trägst, so daß schon der Gedanke allein Deinen Fuß vor jedem Straucheln behüten wird, abgesehen von der magischen Kraft der heiligen Haare selber.

Daß sie etwas weiß, ist sicher, dachte sich der Prinz. Es ist doch scheußlich, daß in diesem Neste alles auskommt. Sprechen aber tat er so: Du kannst Dich in jeder Hinsicht vollkommen beruhigen, meine Teure. Ich werde die Kapsel sofort umhängen und gewiß immer an sie denken. Überdies ist sie, wie ich sehe, so voluminös, daß ich sie unausgesetzt fühlen; werde.

Prinzess Eulalia tat, was sie nur selten zu tun pflegte: sie lächelte. Und, indem sie lächelte, sprach sie: daran erkenn‘ ich meinen Pater Ivo; er denkt an alles. Prinz Flodoard aber dachte sich: Es wird höchst unschick aussehen, wenn dieser Knollen die Hemdbrust aufbeult. Man wird denken, daß ich eine Hühnerbrust habe.

Indessen, umhängen mußte er sich die Kapsel doch.

Am Abende desselbigen Tages, da sich dieses begeben hatte, befand sich Flodoard (denn in solcher Gesellschaft wollen wir ihn bloß Flodoard schlechthin nennen) bei Fanny. Es war ein schwüler Sommerabend, von der Art, wie die Dichter sie bevorzugen, wenn sie auf hitzige Ereignisse kommen wollen. (Doch wünschen wir mit solchen Dichtern nicht verwechselt zu werden, denn wir haben keinerlei hitzige Absichten, – vielmehr wird diese Geschichte gleich aus sein.)

Flodoard sowohl wie Fanny befanden sich in jenem leichten Kostüme, in dem man sich nur dann am offenen Fenster zeigt, wenn man kein vis-à-vis hat. Das Fannys war aus Seide und rosarot, das Flodoards dagegen, bis auf die große rote Krone unter der Brustkrause, durchaus weiß und aus Batist. Der Schwüle wegen hatte Flodoard es unterlassen, den weißen Kragen seines Gewandes zu schließen, so daß der Hals sowohl wie ein Teil der Brust sichtbar ward, und so kam es, daß Fannys Blick unter anderem auch auf die uns hinlänglich bekannte Kapsel fiel.

Es war vielleicht indiskret, daß sie es tat, aber Fanny fragte, indem die rosarote Seide sich dem durchaus weißen Batiste näherte: Schau, was hast Du denn da hängen?

Es war vielleicht frivol, daß er es tat, aber Flodoard antwortete, indem der durchaus weiße Batist die Berührung der rosaroten Seide sanft erwiderte: Das sind Haare vom Scheitel der heiligen Fringilla.

– Die helfen gewiß gegen Erkältung, meinte Fanny.

– Nein, sie sollen vielmehr gegen Erwärmung helfen, witzelte Flodoard.

– Haare von einer Heiligen hab‘ ich mein Lebtag nicht gesehn; die muß ich mir näher anschau’n, entschied Fanny, hing dem witzigen Herrn die Kapsel ab und ging damit zum offenen Fenster.

Obwohl wir vorhin bemerkt haben, daß es ein schwüler Sommerabend war, als sich alles dieses begab, erhob sich doch plötzlich in den hohen Bäumen des Parkes, nach dem hinaus die Fenster der neugierigen Heroine gingen, ein Wind und entführte (»auf seinen Fittichen« wollen wir sagen, weil es sich um verehrungswürdige Gegenstände handelt) die Haare der heiligen Fringilla in das grünschwarze Dämmericht. Allwissend, wie wir es dank unserer Eigenschaft als epischer Dichter sind, können wir hinzufügen, daß ein junger Spatz, der eben sein erstes Verhältnis mit einer fast noch weichschnäbeligen Spätzin hatte und sich in einem verlassenen Staarkasten der ausgelassensten Flitterwochen erfreute, unverschämt genug war, die zarten Reliquien mit seinem frechen Schnabel in freier Luft aufzufangen und sie mit den Worten: »Gute Polsterung ist das sicherste Fundament eines liebevollen Lebens« seiner Geliebten unter die warme Basis zu schieben. Habent sua fata capilli.

Fanny, die offenbar nicht mehr Gewissen als eine Spätzin hatte, geriet über die Entführung der Haare nicht etwa in Verzweiflung, sondern sagte bloß kurzhin: Weg sind sie!

Aber Flodoard, der an die Dame aus dem grausam alten Herrscherhause dachte, rief erschrocken aus: Kruzi Türken, das ist aber ‚mal unangenehm!

Worauf die Heroine eine spöttische Nase machte, indem sie sich einer bei Menschen sonst seltenen Fähigkeit bediente, die darin bestand, daß sie auf dem Nasenrücken ein paar Längsfalten erzeugte. Dazu sprach sie: Du hast aber auch immerzu Angst vor Deiner grauslichen Hoheit. Übrigens macht das gar nix. Ich leg‘ einfach ein paar Haare von mir in die alte Tombackuhr.

Flodoard fand das im ersten Augenblick ingeniös, aber dann wurde er verzagt: das geht ja nicht: Du hast ja blonde Haare!

Dies ist die Peripetie der Geschichte. Hier setzt das Wunderbare ein. Die sonst nie versagende Füllfeder des Dichters erlahmt in diesem Augenblicke und vermag nur das Äußerliche der mirakulosen Begebenheit zu registrieren: Fanny kicherte und ging ins Nebenzimmer, von woher man das Schnippsen einer Schere und ein nochmaliges Kichern vernahm.

Am nächsten Morgen, als Prinz Flodoard an der Seite seiner hohen Gemahlin erwachte, sah er, daß diese im Bette aufgerichtet saß und mit starren Augen in die Kapsel sah, die sie ihm im Schlafe abgenommen hatte.

Der Prinz erschrak heftig und fragte: Wa… Was tust Du denn da?

Prinzess Eulalia starrte weiter und flüsterte fast ekstatisch: Flodoard, sage mir, hast Du die Kapsel geöffnet?

Der Prinz antwortete hurtig, aber sanft: Nein, meine Teure, das tat ich nicht.

Prinzess Eulalia sandte die Widerhaken zweier Inquisitorenblicke in seine Seele und flüsterte noch ekstatischer; Schwöre, daß Du die Kapsel nicht geöffnet hast!

Der Prinz überlegte sich den Sachverhalt und sprach dann mit Festigkeit: Ich schwöre!

Die Prinzess erhob ihre Augen zum Betthimmel, als ob dort, wo sich die Falten des Mulls in einem gekrönten Bausch trafen, etwas Unerhörtes zu sehen sei.

Auch Prinz Flodoard wandte seine Blicke dorthin, doch war es ihm nicht gegeben, irgend etwas Besonderes zu bemerken.

An diesem Tage wurde Pater Ivo zu früherer Stunde als je ins Schloß gerufen. Prinzessin Eulalia empfing ihn mit allen Anzeichen feierlicher Gehobenheit. Und sie sprach: Mein teurer Pater, ich glaube, daß die Gnade bei uns eingekehrt ist.

– Sie kehrt bei allen ein, die rechten Sinnes sind, antwortete der fromme Greis. Aber: wieso?

– Seht her, antwortete die Prinzessin, – die Haare der heiligen Fringilla haben Locken bekommen!

– O! rief der Pater aus, o! o! o! wie heiß muß die Brust des Prinzen sein!

Die Prinzessin nahm einen strengen Ausdruck an: Wie? So weltlich erklärt ihr dies? Und selbst wenn es die Brust meines Gatten gewesen wäre, die dies vermocht hat, – wäre es nicht ein Wunder? Schlichte Haare, die zu Locken werden, ohne daß man sie wickelt oder brennt?!

– Ja, es ist ein Wunder! entschied der Mönch, der sich seiner nationalistischen Anwandlung schämte.

– Aber was mag es bedeuten? fragte die Prinzess.

Pater Ivo überlegte eine Weile, durchdachte alle Wunder ähnlicher Art, erwog, verwarf, verglich, schied aus und sagte schließlich was folgt: So ist es, meine erhabene Tochter; merket wohl auf! So und nicht anders: Gleich einem göttlichen Zugpflaster haben die Haare der heiligen Fringilla alle böse Brunst aus dem Herzen Eures hohen Gatten gezogen und sind so im Feuer verbotener Lüste zu Locken geworden! Nicht zufrieden damit, ein Abwehrmittel zu sein, sind sie ein Heilmittel geworden. Preisen wir die Macht der Gnade! Der Prinz ist für alle Zeiten gerettet! Meine erhabene Tochter darf fürderhin ruhig schlafen!

Von diesem Tage an erhielt Prinz Flodoard sogar den Hausschlüssel.

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Eulalia-Sequenz

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Die Eulalia-Sequenz (französisch Chanson/Séquence/Cantilène de sainte Eulalie), welche um 880 entstand, gilt als frühestes Beispiel französischer Hagiographie und als erstes literarisches Sprachdenkmal des Französischen. Sie steht der gesprochenen Sprache der damaligen Zeit vermutlich sehr viel näher als die Straßburger Eide.

Inhaltsverzeichnis

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Inhalt

Der Text berichtet vom Martyrium der jungen Eulalia, die durch ihre Gläubigkeit den Zorn des heidnischen Herrschers auf sich zog. Durch Folter sollte sie sich vom Christentum abwenden und stattdessen dem Teufel dienen. Doch weder Gold noch Schmuck konnten sie umstimmen. Sie zog die körperlichen Qualen dem Verlust ihrer (spirituellen) Unschuld und dem Verrat an Gott vor und wurde schließlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Die Flammen konnten ihr jedoch nichts anhaben, da ihr Herz rein war von Sünde, und so sollte sie den Tod durch Enthaupten erleiden. Sie ergab sich in den Willen Gottes und bat ihn um Erlösung. Beim Vollzug dieser Todesstrafe flog ihre Seele in Gestalt einer weißen Taube aus ihrem Mund gen Himmel. Der knappe Epilog schließt die Dichtung mit Bitte um Interzession.

Hintergrund

Eulalia von Mérida ist eine spanische Heilige. Ihr Name setzt sich zusammen aus gr. eu ‚gut‘ und lalein ‚sprechen‘ und bedeutet somit ‚die Redegewandte‘. Ihre Verehrung ist im Abendland und im römischen Afrika weit verbreitet. Sie erscheint auf Mosaikbildern in Sant’Apollinare Nuovo in Ravenna, und mehrere Inschriften erwähnen ihre Reliquien. Nach der Passio des Prudentius (Peristephanon, 3. Hymnus) soll sie als junges Mädchen heimlich vom elterlichen Landgut in die Stadt Mérida gegangen sein, um dort vor dem Statthalter Einspruch gegen die Verfolgung ihrer Glaubensgefährten zu erheben, was ihr den Zorn des herrschenden Kaisers Maximian einbrachte. Sie wurde gefangen genommen und mit Feuer gefoltert (mit heißem Öl besprenkelt, Knie verbrannt, in den Feuerofen geworfen), doch wie durch ein Wunder blieb sie unversehrt. Der späteren Legende nach stieg bei ihrem Tode durch das Schwert ihre befreite Seele als weiße Taube gen Himmel. Dabei fiel Schnee, der den Leichnam einhüllte. Sie verstarb am 10. Dezember 304. Dieser Tag ist auch ihr Gedächtnistag. In Darstellungen sieht man sie häufig durch spitze eiserne Haken der Brüste beraubt, teilweise auch gekreuzigt. Außerdem wird sie auf einem brennenden Scheiterhaufen stehend dargestellt, mit Märtyrerkrone und Feuerofen, der auf ihre Folter im Feuer hinweist. Dieser Ofen wird jedoch fälschlicherweise als ihre Todesursache interpretiert.

Seit dem 7. Jahrhundert ist die Verehrung einer gleichnamigen Märtyrerin in Barcelona bezeugt. Da die Quellen zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert jedoch nur die heilige Eulalia von Mérida kennen, sind beide wohl identisch. Eulalia von Barcelona soll als Vierzehnjährige um 305 unter Kaiser Diokletian gekreuzigt worden sein. In Darstellungen versengt dabei vielfach ein Mann ihr Antlitz mit einer Fackel. In Barcelona wird schon früh eine Kirche zur heiligen Eulalia entstanden sein, in deren Altarstein Reliquien eingegossen waren. Durch spätere Legenden wurde sie zur Lokalheiligen Barcelonas. Ihr Gedenktag ist der 12. Februar. Sie ist zudem die Patronin der Reisenden und Schwangeren. Teile ihrer Reliquien befinden sich auch im Kreuzaltar des Breslauer Doms.

Überlieferung, Datierung und Ursprungsort

Überliefert ist die Eulalia-Sequenz in einer Handschrift der Bibliothek von Valenciennes (Hs. 150, ehem. 143, fol. 141v) und stammt ursprünglich aus der Bibliothek des Benediktinerklosters von Saint-Amand-des-Eaux. Dort wurde sie 1837 durch August Heinrich Hoffmann von Fallersleben neu entdeckt. Über das Datum ihrer Abfassung ist sich die Forschung einig. Die Sequenz steht auf den letzten Seiten einer Handschrift des Kirchenvaters Gregor von Nazianz. Ihr voran geht ihre lateinischen Version (Hs. 150, fol. 141r), gefolgt wird sie von einem in Deutsch verfassten Gedicht, dem Ludwigslied (Rithmus teutonicus/ Chanson de Louis), das vom selben Schreiber zu stammen scheint. Dieses wurde zu Ehren Ludwigs III., König von Frankreich (Sohn Ludwigs II.), verfasst (Einan kuning uueiz ih/ Heizsit her hluduig; Hs. 150, fol. 141v-143r). Aus dem Wortlaut ist zu schließen, dass es noch zu Lebzeiten des Königs entstand, es wurde aber erst kurz nach dem Tode Ludwigs III. (5. August 882) in die Handschrift übertragen. Dort wird der Sieg über die Normannen bei Saucourt (3. August 881) gefeiert. Somit kann auch die Eulalia-Sequenz auf diese Zeit datiert werden (wohl nicht später als 882). Nach heutigem Konsens wurde sie von einem Mönch des Klosters Saint-Amand kurz nach der Überführung der Reliquien Eulalias von Barcelona in das Frauenkloster Hasnon nahe Saint-Amand im Jahre 878 aufgezeichnet. Ob es sich dabei um den dort tätig gewesenen Musiker und Dichter Hucbald († 930) handelt, ist allerdings umstritten.

Aufgrund der Sprache bzw. des Dialektes, in dem die Sequenz verfasst wurde, ist ihr Entstehungsort in Nordfrankreich zu suchen, vielleicht sogar in der Nähe des nördlich von Valencienne gelegenen Klosters Saint-Amand, das im 9. Jahrhundert ein bedeutendes spirituelles, kulturelles, literarisches und künstlerisches Zentrum darstellte. Der Dialekt ist demnach in einem Grenzbereich zwischen Pikardisch und Wallonisch anzusetzen. Die sprachlichen Merkmale aus diesem Dialektgebiet sind zwar deutlich (z.B. Verlust des unbetonten finalen t in perdesse und arde; lei ist betontes weibliches Pronomen im Singular als typische Form der nord-östlichen Dialekte), doch finden sich auch Besonderheiten, die sich nur über die Tradition einer damals vorherrschenden, überregionalen Literatursprache, einer scripta, erklären lassen (eingeschobenes d in sostendreiet, voldrent). Es handelt sich also auch bei der Eulalia-Sequenz nicht um eine getreue Wiedergabe der gesprochenen Sprache des 9. Jahrhunderts. Außerdem sind manche Wörter, besonders die Latinismen, vermutlich vielmehr aufgrund des Metrums als aufgrund des vorherrschenden Sprachgebrauchs gewählt worden.

Die Sequenz im Wortlaut

Originaltext

  1. Buona pulcella fut Eulalia,
  2. Bel auret corps, bellezour anima.
  3. Voldrent la veintre li Deo inimi,
  4. Voldrent la faire diaule servir.
  5. Elle no’nt eskoltet les mals conselliers,
  6. Qu’elle Deo raneiet, chi maent sus en ciel,
  7. Ne por or ned argent ne paramenz
  8. Por manatce regiel ne preiement;
  9. Niule cose non la pouret omque pleier
  10. La polle sempre non amast lo Deo menestier.
  11. E por o fut presentede Maximiien,
  12. Chi rex eret a cels dis soure pagiens.
  13. Il li enortet, dont lei nonque chielt,
  14. Qued elle fuiet lo nom chrestiien.
  15. Ell’ent adunet lo suon element;
  16. Melz sostendreiet les empedementz
  17. Qu’elle perdesse sa virginitét;
  18. Por os furet morte a grand honestét.
  19. Enz enl fou lo getterent com arde tost;
  20. Elle colpes non avret, por o nos coist.
  21. A czo nos voldret concreidre li rex pagiens;
  22. Ad une spede li roveret tolir lo chieef.
  23. La domnizelle celle kose non contredist:
  24. Volt lo seule lazsier, si ruovet Krist;
  25. In figure de colomb volat a ciel.
  26. Tuit oram que por nos degnet preier
  27. Qued auuisset de nos Christus mercit
  28. Post la mort et a lui nos laist venir
  29. Par souue clementia.

(Version Ayres-Bennett 1996: 31 entnommen)

Übersetzung ins Neufranzösische

  1. Eulalie était une bonne jeune fille.
  2. Elle avait le corps beau et l’âme plus belle encore.
  3. Les ennemis de Dieu voulurent la vaincre;
  4. Ils voulurent lui faire servir le Diable.
  5. Elle n’écoute pas les mauvais conseillers
  6. Qui lui demandent de renier Dieu qui demeure au ciel là-haut,
  7. Ni pour de l’or, ni pour de l’argent, ni pour des bijoux
  8. Ni par la menace ni par les prières du roi.
  9. Rien ne put jamais la faire plier ni amener
  10. La jeune fille à ne pas aimer toujours le service de Dieu.
  11. Et pour cette raison elle fut présentée à Maximien
  12. Qui était en ces temps-là le roi des païens.
  13. Il lui ordonna, mais peu lui chaut,
  14. De renoncer au titre de chrétienne.
  15. Elle rassemble sa force.
  16. Elle préfère subir la torture plutôt
  17. Que de perdre sa virginité.
  18. C’est pourquoi elle mourut avec un grand honneur.
  19. Ils la jetèrent dans le feu pour qu’elle brûlât vite.
  20. Elle n’avait pas commis de faute, aussi elle ne brûla point.
  21. Le roi païen ne voulut pas accepter cela.
  22. Avec une épée, il ordonna de lui couper la tête.
  23. La jeune fille ne protesta pas contre cela.
  24. Elle veut quitter le monde; elle prie le Christ.
  25. Sous la forme d’une colombe, elle s’envole au ciel.
  26. Prions tous qu’elle daigne intercéder pour nous,
  27. Afin que le Christ ait pitié de nous
  28. Après la mort et nous laisse venir à lui
  29. Par sa clémence.

(Version dem Weblink Nr. 1 (27. Juli 06) entnommen.)

Übersetzung ins Deutsche

  1. Eine gute Jungfrau war Eulalia,
  2. Schön war ihr Körper, noch schöner ihre Seele.
  3. Wollten sie besiegen die Feinde Gottes,
  4. Wollten sie machen dem Teufel dienen.
  5. Sie hörte nicht auf die bösen Berater,
  6. Dass sie Gott entsage, der im Himmel oben thront.
  7. Nicht für Gold, nicht für Silber, nicht für Schmuck
  8. Noch durch königliche Drohung noch durch Bitte;
  9. Nichts konnte sie jemals beugen
  10. Das Mädchen nicht zu lieben den Dienst an Gott.
  11. Und deshalb wurde sie vor Maximian gebracht,
  12. Der König war in dieser Zeit über die Heiden.
  13. Er ermahnte sie, aber das kümmerte sie wenig,
  14. Dass sie dem Namen Christin entsage.
  15. Sie sammelte ihre Kräfte;
  16. Lieber ertragen würde sie die Folter
  17. Anstatt ihre [spirituelle] Unschuld zu verlieren.
  18. Dafür starb sie mit großer Ehre.
  19. Ins Feuer warfen sie sie, dass sie alsbald verbrenne.
  20. Sie hatte keine Sünde, also verbrannte sie nicht.
  21. Das wollte nicht glauben der heidnische König;
  22. Mit einem Schwert befahl er, ihr den Kopf abzuschneiden
  23. Das Mädchen dieser Sache widersprach nicht:
  24. Wollte dieses irdische Leben lassen, sie bat Christus;
  25. In Gestalt einer Taub fliegt sie gen Himmel.
  26. Bitten wir alle, dass sie für uns beten möge
  27. Dass mit uns Christus Gnade habe
  28. Nach dem Tod, und uns zu ihm kommen lasse
  29. Durch seine Milde.

(Übersetzung durch die Verfasserin des Artikels. Die Übersetzung ist bewusst so nahe wie möglich an die altfranzösischen Struktur angelehnt.)

Formale und inhaltliche Eigenschaften

Formal folgt die Eulalia-Sequenz dem Hymnus des Prudentius, dem Canticum Virginis Eulaliae, der jedoch über zweihundert Verse umfasst. Die 29 Verse der Sequenz sind unterschiedlicher Länge, und über das genaue metrische Schema sind sich die Forscher uneins (zumeist werden 9- bis 13-Silber sowie ein 7-Silber als Schlussvers gezählt). Die Verse sind außerdem durch Assonanz gekennzeichnet. Der Originaltext ist in Karolingischer Minuskel verfasst und sehr gut lesbar. Die Gattung Sequenz (oder Cantilène) verdankt ihre Entstehung der Liturgie. Dabei handelt es sich um eine melodieunabhängige Form geistlicher (hagiographischer) Dichtung, die gegen das 9. Jahrhundert aufkam. Eine Melodie, wie sie von manchen Forschern dennoch angenommen wird, ist nicht bekannt. Formal ist die Eulalia-Sequenz ohne Nachfolge geblieben. Inhaltlich steht sie in der Tradition der lateinischen Heiligenviten. Sie unterscheidet sich dabei von der lateinischen Version, wenn beispielsweise Kaiser Maximian als Richter auftritt und Eulalia durch das Schwert stirbt, weil ihr die Flammen nichts anhaben können.

Sprache

Die Eulalia-Sequenz ist in Altfranzösisch, also einer aus dem Vulgärlatein entwickelten Sprache, verfasst. Dieser Text weist einige der Hauptmerkmale dieser romana lingua auf, wie beispielsweise einen tief greifenden Wandel im Phonemsystem, Vereinfachungen im Deklinationssystem, Entwicklung hin zur Verbalperiphrase, erstes Auftreten des Artikels, des Personalpronomen in der 3. Person, des Konditionals (conditionnel) etc. Die Schreibform des Altfranzösischen in der Eulalia-Sequenz ist dabei in der Wiedergabe der Phonie schon recht gut entwickelt. Man erkennt außerdem neben der abnehmenden Latinität einen zunehmenden französischen Habitus. Dennoch finden sich noch Latinismen (anima, Deo, inimi, rex, Christus, post, clementia) und Halblatinismen (menestier, colpes, virginitét). Die Kirche stand dem Volk bzw. der Volkssprache bereits viel näher als es beispielsweise juristische Texte wie die Straßburger Eide taten. Viele dieser Wörter wurden im theologischen Sinn verwendet und dabei direkt aus der lateinischen Liturgie in die Volkssprache entlehnt.

Phonologie

Vokale

Besonders auffällig sind die diphthongierten Formen des betonten o > uo in freier Stellung (buona, ruovet), aber auch e > ei (concreidere) oder o > ou (bellezour). Das a in derselben Position wird zu e (presentede, spede) oder bleibt noch erhalten (buona, pulcella). Die Diphthongierung erscheint jedoch nicht in einsilbigen Wörtern wie por. Dieses Wort ist auch ein Beispiel für Metathese (por < PRO). Ebenso fehlt das prothetische e in spede (nicht espede > neufrz. épée).

Konsonanten

Besonders häufig ist die Palatalisierung des [j] (MINACIA > manatce [ts], BELLATIONEM > bellezour, FUGIAT > fuiet), k bzw. g im Wortinneren verschwindet ganz (PLICARE > pleier, PRECAMENTUM > preiement).

Morphosyntax

Adjektivmorphologie

Der neue romanische analytische Komparativ ist hier noch nicht belegt. Bellezour ist als Relikt des lateinischen synthetischen Komparativs (BELLATIONEM) zu sehen.

Artikel

Zum ersten Mal sind bestimmter und unbestimmter Artikel in einem Text belegt. Der bestimmte Artikel kommt vom lateinischen Demonstrativpronomen ILLE, ILLA (li Deo inimi, les mals conselliers, lo Deo menestier). Er wird dort verwendet, wo Personen oder Dinge bereits eingeführt wurden. Wird eine Person oder Sache zum ersten Mal genannt, so geht ihr der unbestimmte Artikel voran (ad une spede). Der unbestimmte Artikel leitet sich von den lateinischen Numeralia UNUS, UNA ab. Diaule ‚Teufel‘ steht jedoch noch ohne Artikel.

Verben

Reste des lateinischen Plusquamperfekts werden hier in Funktion der einfachen Vergangenheit verwendet (HABUERAT > auret; POTUERAT > pouret; FUERAT > furet etc.). Es zeigt sich außerdem bereits die Entwicklung von synthetischen zu analytischen Formen (z.B. fut presentede als Passivform). Es sind zahlreiche Konjunktivformen vorhanden (AMAVISSET > amast, PERDIDESSET > perdesse, HABUISSET > auuisset). Diese Formen des Konjunktiv Imperfekt im Französischen werden aus den lateinischen Plusquamperfektformen gebildet, haben aber teilweise Präsensbedeutung. Die Form fut in Vers 1 ist typisch für das Altfranzösische, wo Imperfekt noch sehr selten auftritt. Eret erscheint jedoch bereits und leitet sich ab vom lateinischen Imperfekt.

Klitika

Kontrahierte Formen finden sich häufig in altfranzösischen Texten. Im vorliegenden Text sind es vor allem Enklitika. Folgen zwei einsilbige Wörter aufeinander, so entfällt der letzte unbetonte Vokal des zweiten Wortes, wenn darauf ein Konsonant folgt, und der verbleibende Konsonant schließt sich an die vorangehende Silbe an (enl < en le; nos < non se; no’nt < non inde, wobei zusätzlich ent reduziert wird).

Satzstellung

Die Satzstellung im Alftfranzösischen weist noch große Flexibilität auf. So zeichnet sich zum Beispiel der erste Teil des Verses 2 dadurch aus, dass das Subjekt nicht explizit genannt wird, und das Adjektiv von seinem Substantiv durch das Verb getrennt ist (Bel auret corps […]). In Vers 20 ist die Reihenfolge S[ubjekt]O[bjekt]V[erb], in Vers 27 dagegen VSO etc.

Lexik

Der Wortschatz stammt hauptsächlich aus dem religiösen Bereich und betont den Unterschied zwischen Körper und Geist bzw. Seele (corps/anima). Außerdem zeigt sich, dass das ins Französische übernommene Wortmaterial nicht dem klassischen Latein sondern dem Vulgärlatein entstammt. So entwickelte sich fou (> neufrz. feu) aus FOCUS ‚Feuerstelle‘ und nicht etwa aus IGNIS ‚Feuer‘, der klassisch lateinischen Form. Dagegen findet sich noch chieef < CAPUT (‚Kopf‘) anstatt der metaphorischen Form TESTA ‚Tonkrug‘, wie sie im Vulgärlatein belegt ist (neufrz. tête).

Orthographie

Das betonte a in offener Silbe erscheint bereits als e (spede, portede), stellenweise aber auch noch als a (buona, pulcella, anima). Hier ist eher die Tradition der lateinischen Orthographie als eine phonetische Opposition zu vermuten. Das Fehlen einer standardisierten Orthographie zeigt sich auch im Fall von krist/christus. Der Beleg manatce mit der Graphie tc für [ts] belegt die Aussprache mit Verschlussreibelaut, der erst später zu [s] wird. Der Laut [k] wird orthographisch vor o als ein c wiedergegeben (cose ‚chose‘) und ch vor i (chi ‚qui‘). Hilty (1990) nimmt für den ersten Vers ein Anagramm für alleluia an: BuonA puLcELla fUt EulalIA.

Besondere Auslegungsschwierigkeiten

Im Vers 17 bereitet besonders das Wort virginitét Schwierigkeiten. Price (1990) betont, dass Eulalia wohl kaum um den Verlust ihrer Jungfräulichkeit zu bangen hatte, wurde sie doch mit dem Tode bedroht. So befürwortet er die Auslegung pureté, intégrité, innocence, also spirituelle Reinheit, Integrität oder Unschuld. Bereits Barnett (1959) sieht in virginitét hier eine metaphorische Verwendung. So sei spirituelle Reinheit eine grundlegende Eigenschaft eines Christen gewesen.

Hauptprobleme in der Auslegung stellt aber der Vers 15 dar: ell’ent aduret lo suon element. Dabei bereiten drei Wörter Schwierigkeiten: ent, aduret sowie element. Letztere können nur im Zusammenhang erklärt werden, denn element ist direktes Objekt des Verbs aduret.

Hilty (1990) legt ent folgendermaßen aus: Das Adverb habe eine sowohl zeitliche als auch kausale Bedeutung (danach und als Konsequenz). Durch ent wird der negative Ausgang der Unterhaltung Eulalias mit Maximian repräsentiert (Verse 11-14), aber auch – globaler betrachtet – der erste Teil der Sequenz mit dem Folgenden logisch verknüpft: weil sie gut ist und allen Versuchungen widersteht, beginn ihr Martyrium (Vers 19ff.).

Von Forschern und Herausgebern wurde lange Zeit nur die Form adunet berücksichtigt. 1938 untersuchte der amerikanische Forscher H. D. Learned die Handschrift genauer. Aufgrund der unterschiedlichen Tintenstärke kam er zu dem Schluss, dass der damalige Schreiber zunächst ein r notiert hatte. Learneds Ansicht nach verwischte dieser die noch feuchte Tinte, und so wurde das r zu einem n (Learned verwendet das englische Wort „smear“). In der Folge übernahmen Forscher wie Barnett (1961), Avalle (1966) oder Hilty (1968) die Form aduret. Die Form adu[?]et scheint also vielmehr ein paleographisches als ein philologisches Problem darzustellen. Nach Hilty (1990) trägt aduret, das zum Infinitiv adurer gehört, die Bedeutung ‚endurer’ (ertragen). Element sei im Sinne eines der vier Elemente, hier dem Feuer, zu verstehen. Feuer, das Folterinstrument Eulalias, sei ihr Element schlechthin. Es wird zu ihrem Verbündeten, der ihr nichts anhaben will. In der lateinischen Version erstrahlt nach ihrem Tod ihr Stern deshalb so hell, weil in ihr ein inneres Feuer glüht. Somit bedeutet der Vers nach Hilty „elle endure le feu“ (sie erträgt das Feuer). Nach Barnett (1961) steht der Buchstabe u jedoch eher für den Laut [o] oder [u] anstatt für [y], was das Verb adorare ergäbe. Element würde dann ‚faux dieu’ (falscher Gott, Götze) bedeuten, was folgende Interpretation ergäbe: „Maximien l’exhorte à fuir le nom chrétien et à adorer son faux dieu [le dieu à Maximien]“ (Maximian ermahnt sie, dem Titel Christin zu entsagen und [stattdessen] seinen [den Maximians] Götzen anzubeten). Price (1990) schließt sich der Meinung Hiltys an. Er zieht allerdings auch die Lesart adunet in Betracht. Anders als Learned sieht er in der Form n eine bewusste Korrektur. Neben adurer ist in der Tat auch adunare im Spätlatein belegt in der Bedeutung ‚réunir’ (versammeln). Somit könnte der Vers lauten: „elle rassemble tout son courage“ (sie sammelt all ihren Mut). Price verweist jedoch gleichzeitig auf Barnett (1961), nach dem weder für element noch für das lateinische Etymon ELEMENTUM die Bedeutungen ‘courage, force’ belegt seien. Andere Auslegungen des Wortes element gehen sehr weit und fanden weitgehend keinen Eingang in die gängige Lehrmeinung: MENTEM ‚esprit’ (Geist), ALA MENTE (für ALLA MENTE) ‚autrement’ (anderweitig) oder gar lenement < LINAMENTUM ‚drap de lin’, ‚vêtement de lin’ (Wäschestück).

Referenzen

Quelle

  • La Séquence de sainte Eulalie. Manuscrit 150, fol. 141v. Bibliothèque municipale de Valenciennes.

Literatur

  • Auty, Robert/Robert-Henri Bautier et al. (Hrsg.): Lexikon des Mittelalters. München: Artemis Verlag 1989, Bd. IV.
  • Ayres-Bennett, Wendy: A history of the French language through texts. London: Routledge 1996.
  • Barnett, F.J.: „‘Virginity’ in the old French Sequence of Saint Eulalie“. In: French Studies XIII (1959), S. 252-256.
  • Barnett, F.J.: „Some Notes on the Sequence of Saint Eulalia“. In: Studies in Medieval French presented to Alfred Ewert in Honour of his Seventieth Birthday. Oxford: Clarendon Press 1961, S. 1-25.
  • Bossuat, Robert/Geneviève Hasenohr: Dictionnaire des Lettres Françaises. Bd.: Le Moyen Âge. O.O.: Fayard 1992.
  • Hilty, Gerold: „La Cantilène de sainte Eulalie: analyse linguistique et stylistique“. In: Dion, Marie-Pierre: La Cantilène de sainte Eulalie. Actes du colloque de Valencienne, 21 mars 1989. Lille: ACCES/Valenciennes: Bibliothèque municipale de Valenciennes 1990, S. 73-79.
  • Höfer, Josef/Karl Rahmer (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche. Freiburg: Herder 1959, 3. Bd.
  • Huchon, Mireille: Histoire de la langue française. Paris: Le livre de poche 2002.
  • Keller, Hiltgart: Reclams Lexikon der Heiligen und der biblischen Gestalten. Stuttgart: Reclam 1968.
  • Klare, Johannes: Französische Sprachgeschichte. Stuttgart et al.: Klett 1998.
  • Learned, Henry Dexter: „The Eulalia Ms. at Line 15 Reads Aduret, not ‚Adunet‘“. In: Speculum 16/3 (1941), S. 334-335.
  • Price, Glanville: “La Cantilène de sainte Eulalie et le problème du vers 15“. In: Dion, Marie-Pierre: La Cantilène de sainte Eulalie. Actes du colloque de Valencienne, 21 mars 1989. Lille: ACCES/Valenciennes: Bibliothèque municipale de Valenciennes 1990, S. 81-87.
  • Sampson, Rodney: Early Romance Texts: An Anthology. Cambridge: Cambridge University Press 1980.
  • Tagliavini, Carlo: Einführung in die romanische Philologie. Aus dem Ital. übertr. von R. Meisterfeld und U. Petersen. 2. verb. Auflage. Tübingen et al.: Francke 1998.
  • Wimmer, Otto/Hartmann Melzer: Lexikon der Namen und Heiligen. 4. Auflage. Innsbruck et al.: Tyrolia-Verlag 1982.

Weiterführende Literatur

  • Avalle, D’Arco Silvio: Alle origini della letteratura francese. Torino: G. Giappichelli 1966.
  • Dion, Marie-Pierre: La Cantilène de sainte Eulalie. Actes du colloque de Valencienne, 21 mars 1989. Lille: ACCES/Valenciennes: Bibliothèque municipale de Valenciennes 1990.
  • Hilty, Gerold: „La Séquence de Sainte Eulalie et les origines de la langue littéraire francaise“. In: Vox Romanica 27 (1968), S. 4-18.
  • Hilty, Gerold: „Les serments de Strasbourg et la Séquence de Sainte Eulalie“. In: Vox Romanica 37 (1978), S. 126-150.

Siehe auch

Weblinks

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Bibliografische Angaben für „Eulalia-Sequenz

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Dienstag, 12 Februar 2008 Posted by | 2008-02-12 | , , , , , , , , | 1 Kommentar